Leitsatz (amtlich)

Ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Rechtslage (Leistungsausschluss für Unionsbürger nach § 7 Abs 1 Satz 2 bzw. seit 28. August 2007 § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II mit EU-Recht vereinbar?) nicht möglich, ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden.

 

Tenor

Der Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 24.August2007 wird aufgehoben.

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung unter dem Vorbehalt der Rückforderung bei Unterliegen der Antragstellerinnen im Hauptsacheverfahren verpflichtet, diesen zur Sicherung des Lebensunterhaltes folgende Leistungen zu gewähren:

1. Vom 6. August 2007 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens, längstens bis zum 29. Februar 2008 die Regelleistungen für erwerbsfähige Hilfebedürftige in Höhe von monatlich 312,-- € und nicht erwerbsfähige Hilfebedürftige in Höhe von monatlich 208,-- € abzüglich Einkommen in Höhe von monatlich 168,-- € sowie Leistungen für Mehrbedarf für werdende Mütter in Höhe von 53,-- € monatlich.

2. Vom 6. August 2007 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens, längstens bis zum 29. Februar 2008 Kosten der Unterkunft in Höhe von 379,33 €.

Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerinnen aus beiden Rechtszügen.

 

Gründe

I.

Die 1975 geborene Antragstellerin zu 1.) ist lettische Staatsangehörige. Sie reiste im Juli 2005 aus Lettland in das Bundesgebiet ein und gab an, freizügigkeitsberechtigt zu sein, da sie noch nicht seit mehr als 6 Monaten auf Arbeitssuche sei. Seit August 2006 lebt sie mit ihrer 1997 geborenen Tochter, der Antragstellerin zu 2.) in D. (Region E.). Auch dort gab sie an, arbeitsuchend zu sein. Daraufhin wurde ihr am 24. Mai 2007 eine Aufenthaltsbescheinigung gemäß § 5 Abs 1 Freizügigkeitsgesetz/EU ausgestellt (Auskunft der Region E. vom 21. August 2007).

Auf den Antrag vom 22. Dezember 2006 bewilligte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 16. Januar 2007 für den Zeitraum vom 22. Dezember 2006 bis 30. Juni 2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II. Am 16. Mai 2007 teilte der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerinnen, Herr F. mit, dass die Antragstellerin zu 1.) schwanger sei und in eine größere Wohnung (G. in D.) umziehen wolle. Seit 1. Juni 2007 sind die Antragstellerin zu 1.) und der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerinnen, der Vater des ungeborenen Kindes ist, Mieter dieser Wohnung. Den Fortzahlungsantrag ab 1. Juli 2007 lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 25. Mai 2007 mit der Begründung ab, die Antragstellerin zu 1.) habe keine Arbeitserlaubnis vorgelegt.

Dagegen haben die Antragstellerinnen Widerspruch eingelegt, über den - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden ist und am 6. August 2007 beim Sozialgericht (SG) Hannover die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragt. Die Antragstellerin zu 1.) sei nicht nur zur Arbeitssuche eingereist, sondern auch, um ihrer Tochter die Zukunft zu sichern. Sie sei derzeit wegen der komplizierten Schwangerschaft nicht reisefähig. Das SG hat die Auskunft der Region E. vom 21. August 2007 eingeholt und mit Beschuss vom 24. August 2007 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt: Der Anspruch sei nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II ausgeschlossen, weil sich das Aufenthaltsrecht der Antragstellerin zu 1.) allein auf § 2 Abs 2 Nr 1 Freizügigkeitsgesetz/EU (Aufenthalt zur Arbeitssuche) gründe. Durchgreifende Zweifel an der Europarechtskonformität des § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II bestünden nicht.

Gegen diesen am 29. August 2007 zugestellten Beschluss haben die Antragstellerinnen am 26. September 2007 Beschwerde eingelegt. Die Antragstellerin zu 1.) habe auf die Rechtsmäßigkeit der Leistungsbewilligung vertraut und sei deshalb nicht nach Lettland zurückgekehrt bzw habe das Kind nicht abgetrieben. Bis zum Geburtstermin (2. Januar 2008) sei sie nicht reisefähig. Sie sei im Besitz einer Arbeitsgenehmigung, erhalte aber wegen der Schwangerschaft keine Anstellung. Inzwischen sei die Wohnung fristlos gekündigt worden. Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Die Antragsgegnerin ist im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes zu verpflichten, den Antragstellerinnen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu erbringen.

Nach § 86 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung ist, dass sowohl ein Anordnungsanspruch (dh ein nach der Rechtslage gegebener Anspruch auf die einstweilig begehrte Leistung) und ein Anordnungsgrund (dh eine Eilbedürftigkeit des Verfahrens) gegeben sind.

1. Vorliegend besteht eine Eilbedürftigkeit für die begehrte vorläufige Regelung. Denn die Antragstellerinnen verfügen nicht über die finanziellen Mittel zur Sicherung ihrer Existenz (Erklär...

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