Entscheidungsstichwort (Thema)

sozialgerichtliches Verfahren. Klagefristversäumung. Auslandszustellung. lex specialis. Polen

 

Orientierungssatz

Das in § 14 VwZG für Auslandszustellungen (hier: Polen) vorgesehene Verfahren (Ersuchen an die zuständige Behörde des Wohnstaates oder die jeweilige konsularische oder diplomatische Vertretung) wird durch die besondere Zustellungsregelung des Art 22 Abs 3 S 3 SozSichAbk POL vom 8.12.1990, wonach Urteile, Bescheide und andere zustellungsbedürftige Schriftstücke durch eingeschriebenen Brief mit Rückschein zugestellt werden können verdrängt. Der Verzicht des Versicherungsträgers auf einen Rückschein stellt dabei keinen Zustellungsmangel dar, da dies nur dessen Nachweismöglichkeiten beschränkt.

 

Tatbestand

Mit Bescheid vom 15. Februar 1994 und Widerspruchsbescheid vom 23. März 1995 lehnte die Beklagte es ab, Frau M J (im folgenden J.) auf ihren Antrag vom 30. November 1993 Witwenrente aus der Versicherung ihres 1945 verstorbenen Ehemannes J J zu zahlen. Diese Rente war unter Anordnung des Ruhens bereits mit Bescheid der Landesversicherungsanstalt (LVA) Rheinprovinz vom 1. Oktober 1965 festgestellt worden, wobei Beitragszeiten von 1926 bis 1942 zugrundeliegen. Während dieser Zeit war der Ehemann der J. als Doppler bei den Stahlwerken F in H (B) beschäftigt gewesen.

Die Rechtsmittelbelehrung im Widerspruchsbescheid vom 23. März 1995 lautet:

... Gegen diesen Bescheid können Sie innerhalb von drei Monaten nach seiner Bekanntgabe (nach seiner Zustellung) Klage erheben.

Die Klage ist beim Sozialgericht Berlin, Kammer für Angelegenheiten der Arbeiterrentenversicherung, Invalidenstr. 52, 10557 Berlin, einzureichen ...

Der Widerspruchsbescheid wurde am 29. März 1995 als Einschreibebrief zur Post gegeben und am 3. April 1995 der J. an ihrem Wohnort in C (P) ausgeliefert (Auskunft Deutsche Post AG, Niederlassung Briefpost B Südwest, vom 12. Januar 1996).

Gegen diesen Bescheid hat J. mit einem am 18. Juli 1995 in Polen zur Post gegebenen Schreiben, das am 24. Juli 1995 bei dem Sozialgericht (SG) Berlin eingegangen ist, Klage erhoben und geltend gemacht, die Rente müsse trotz ihres Aufenthaltes in Polen ausgezahlt werden.

Am 8. Dezember 1995 verstarb J. Die Klägerin, die unter der gleichen Anschrift wie J. mit dem Gericht korrespondiert und angibt, die einzige Tochter der J. zu sein, hat das Verfahren fortgesetzt.

Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die Klage mit Urteil vom 8. April 1997 abgewiesen. Die Klägerin sei als Sonderrechtsnachfolgerin der J. berechtigt, den Anspruch geltend zu machen. Die Klage sei aber unzulässig, da sie nicht fristgerecht erhoben worden sei, und zudem auch unbegründet, da die Witwenrente nicht - insbesondere nicht nach Ziffer 6 des Schlußprotokolls zum deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommen (SP-DPSVA) - zahlbar sei.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. April 1997 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15. Februar 1994 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. März 1995 zu verurteilen, ihr die der

Witwe M J zustehende Hinterbliebenenrente aus der Versicherung von J J ab dem 1. Januar 1989 nach Polen zu zahlen und den Bescheid der LVA Rheinprovinz vom 1. Oktober 1965 insoweit zurückzunehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die J J betreffende Akte der Beklagten - - hat dem Senat vorgelegen und ist Gegenstand der Beratung gewesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist nicht begründet, da das SG zu Recht entschieden hat, daß die Klage unzulässig ist.

Wie das SG unterstellt auch der Senat, daß die Klägerin nach §§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 59 Satz 2 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) Sonderrechtsnachfolgerin der Klägerin geworden ist, da sie ihre Abstammung von der Klägerin nachgewiesen hat, mit ihr unter einer Anschrift gelebt hat und ein in der Sonderrechtsnachfolge vorgehender Ehegatte (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB I) nicht vorhanden ist. Sie ist damit berechtigt, das durch den Tod der J. unterbrochene Verfahren aufzunehmen, § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V. m. § 239 Abs. 1 Zivilprozeßordnung (ZPO); dies ist durch das Schreiben der Klägerin vom 11. Mai 1996 geschehen.

Die Klage ist unzulässig, weil J. die Klagefrist versäumt hat, die gemäß § 87 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGG in Ansehung des Auslandswohnsitzes der J. drei Monate nach Zustellung (zu deren Notwendigkeit siehe § 85 Abs. 3 Satz 1 SGG) des Widerspruchsbescheides vom 23. März 1995 betrug.

Diese Frist wurde mit der Übergabe des Bescheides am 3. April 1995 an J. in Gang gesetzt und endete damit am 3. Juli 1995 (§ 64 Abs. 2 SGG); die Klage ging aber...

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