Entscheidungsstichwort (Thema)

Überlanges Gerichtsverfahren. Entschädigungsklage. sozialgerichtliches Verfahren. zusätzliche aktive Zeit von einem Zwischenmonat zwischen Ladung und Verhandlungstermin. Verhinderung einer weiträumigen Terminierung. plötzliche Erkrankung des Vorsitzenden Richters. Unschädlichkeit der Aufhebung des Termins durch dessen Vertreter. dreimonatige Organisationszeit für das Gericht. Zuwarten auf ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren bei möglicher Erledigung der Hauptsache. Rück- und Vortrag von nicht aufgebrauchter Vorbereitungs- und Bedenkzeit in andere Instanzen. sechsmonatige Vorbereitungs- und Bedenkzeit für Nichtzulassungsbeschwerden vor dem LSG

 

Leitsatz (amtlich)

Im Falle der Anberaumung eines Erörterungstermins bzw eines Termins zur mündlichen Verhandlung sind nicht nur der Monat, in dem die Ladung erfolgt, sowie der Terminsmonat selbst als Monate der gerichtlichen Aktivität zu bewerten, sondern darüber hinaus ein weiterer dazwischen liegender Kalendermonat.

Im Falle der Erkrankung eines Richters ist es in aller Regel nicht als entschädigungsrelevante Verzögerung zu bewerten, wenn der geschäftsplanmäßige Vertreter eine anberaumte mündliche Verhandlung nicht durchführt, diese vielmehr aufgehoben wird.

Die auf das Auftreten einer Erkrankung eines Richters folgenden drei Kalendermonate sind von Betroffenen als Phasen der höheren Gewalt entschädigungslos hinzunehmen, wenn dem Verfahren in dieser Zeit kein Fortgang gewährt wird. Den Gerichten steht dieser Zeitraum zur Einleitung der notwendigen Schritte zur Verfügung.

Im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren steht den Landessozialgerichten eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von in der Regel sechs Monaten zu.

Da Anknüpfungspunkt der Verfahrensdauer nach § 198 Abs 6 Nr 1 GVG das gerichtliche Verfahren insgesamt ist, können im Berufungs- oder Beschwerdeverfahren nicht ausgeschöpfte Vorbereitungs- und Bedenkzeiten vollumfänglich zur Kompensation im erstinstanzlichen Verfahren aufgetretener Verzögerungszeiten herangezogen werden. Gleiches gilt umgekehrt.

 

Orientierungssatz

Zeiten des Zuwartens auf Ergebnisse oder Ermittlungen in einem parallelen Verfahren (hier ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren nach höchstrichterlicher Klärung der zugrunde liegenden Rechtsfrage) können generell als Zeiten der aktiven Bearbeitung anzusehen sein, wenn zu erwarten ist, dass in einem solchen Verfahren Erkenntnisse gewonnen werden, die auch für das Ausgangsverfahren von Relevanz sind, oder wenn die Beteiligten diesem Vorgehen ausdrücklich zustimmen (vgl BSG vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 12/13 R = SozR 4-1720 § 198 Nr 4).

 

Tenor

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Berlin zuletzt unter dem Aktenzeichen S 52 AL 2594/08 geführten Verfahrens eine Entschädigung in Höhe von 2.800,00 € zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 02. Juni 2014 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Klägerin hat 30 %, der Beklagte 70 % der Kosten des Verfahrens zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt eine Entschädigung wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Berlin zuletzt unter dem Az. S 52 AL 2549/08 geführten Verfahrens.

Am 30. April 2008 erhob die Klägerin vor dem Sozialgericht Berlin Klage gegen einen Bewilligungsbescheid der Bundesagentur für Arbeit, mit dem ihr ab dem 01. Januar 2008 für 360 Tage Arbeitslosengeld auf der Grundlage eines fiktiven täglichen Bemessungsentgelts in Höhe von 57,98 € gewährt worden war. Die Auszahlung wurde wegen eines Ruhens des Anspruchs aufgrund des Eintritts einer Sperrzeit, einer Entlassungsentschädigung sowie Urlaubsabgeltung jedoch erst zum 07. April 2008 aufgenommen. Die Auszahlung erfolgte letztlich nur bis zum 30. April 2008, weil die Klägerin ab Mai 2008 eine von der damaligen Beklagten mit einem Gründungszuschuss geförderte selbständige Tätigkeit aufnahm. Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin die Gewährung höheren Arbeitslosengeldes unter Ansatz eines täglichen Bemessungsentgelts in Höhe von 118,87 €, das sie aus dem im Zeitraum vom 27. Oktober 2004 bis zum 26. Oktober 2005 erzielten Beschäftigungsentgelt errechnete. Sie sah es als verfassungs- und europarechtswidrig an, dass sich der Lohnersatz durch das Arbeitslosengeld nicht anhand des vor der Unterbrechung ihres Berufslebens durch Mutterschaft und Kindererziehung erzielten Arbeitsentgelts, sondern nach dem aktuell voraussichtlich erzielbaren Lohn bemesse.

Zugleich beantragte sie mit Schriftsatz vom 30. April 2008, die Bundesagentur für Arbeit im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gemäß § 86 b des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu verpflichten, ihr einen Vorschuss auf das Arbeitslosengeld auf der Grundlage eines täglichen Bemessungsentgelts i.H.v. 118,87 € sowie einen Vorschuss auf einen Gründungszuschuss auf der Grundlage dieses Betrages zu zahlen.

Unter dem 05. Mai 2008 bestätigte das Sozialgericht den Eingang der zunächst unter dem Aktenzeichen S 56 AL 254...

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