Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialversicherung. Abgrenzung abhängige Beschäftigung von selbständiger Tätigkeit bei Familienangehörigen. (Mit-)Unternehmerschaft einer Ehegattin. langjährige Zahlung von Pflichtbeiträgen zur Sozialversicherung. unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung. Klagefrist. Verwirkung. kein Verstoß gegen Grundsatz von Treu und Glauben

 

Orientierungssatz

1. Eine Rechtsbehelfsbelehrung ist schon dann unrichtig iS von § 66 Abs 2 SGG, wenn auch nur die abstrakte Möglichkeit eines Irrtums bei dem Adressaten besteht (vgl BSG vom 25.1.1984 - 9a RV 2/83).

2. Die Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit erfolgt danach, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Das Gesamtbild bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen vertraglichen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine - formlose - Abbedingung rechtlich möglich ist. Die tatsächlichen Verhältnisse geben den Ausschlag, wenn sie von Vereinbarungen abweichen (vgl BSG vom 25.1.2006 - B 12 KR 30/04 R.

3. Die Anwendung von § 66 Abs 2 S 1 SGG verstößt im vorliegenden Fall nicht, etwa wegen Verwirkung, gegen das Gebot von Treu und Glauben. Denn Verwirkung tritt in der Regel nicht vor Ablauf der Jahresfrist ein. Voraussetzung für eine Verwirkung des Klagerechts vor Ablauf der Jahresfrist nach § 66 Abs 2 S 1 SGG ist, dass der Beteiligte, der das Klagerecht hat, nicht nur passiv abgewartet, sondern konkreten Anlass zu der Annahme gegeben hat, er werde keinen Rechtsbehelf einlegen. Daher genügt es für eine Verwirkung nicht, dass die Einzugsstelle dem Rentenversicherungsträger üblicherweise keine Rechtsmittelbelehrung erteilt oder dies zwischen den beteiligten Sozialversicherungsträgern sogar ausdrücklich vereinbart ist.

4. Hinweis der Dokumentationsstelle des Bundessozialgerichts: Nachdem die Klage vor dem BSG zurückgenommen wurde, ist dieses Urteil sowie das vorinstanzliche Urteil des SG Berlin wirkungslos.

 

Tenor

Die Berufung der Beigeladenen zu 1) gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. September 2009 wird zurückgewiesen.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1) im Berufungsverfahren trägt die Klägerin zu ½. Die Kosten des sozialgerichtlichen Verfahrens tragen die Klägerin und die Beklagte zu je ½. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind im Übrigen nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten besteht Streit, ob die Beigeladene zu 1) vom 1. Januar 1994 bis zum 31. Juni 2009 bei der Beigeladenen zu 2) rentenversicherungspflichtig beschäftigt war.

Die 1948 geborene Beigeladene zu 1), ein Mitglied der Beklagten, ist gelernte Groß - und Außenhandelskauffrau. Zwischen dem 01. Januar 1994 und dem 30. Juni 2010 arbeitete sie für die Beigeladene zu 2). Deren Inhaber war bis zum 30. Juni 2009 W P, seit 1967 der Ehemann der Beigeladenen zu 1). Am 01. Juli 2009 wurde die Firma von dessen Großneffe D S übernommen. Die Beigeladene zu 1) ist zusammen mit ihrer Schwägerin Eigentümerin des Betriebsgrundstücks, das mit einem auch zu Wohnzwecken genutzten Haus bebaut ist. Die Beigeladene zu 2) pachtete die von ihr genutzten Betriebsräume/-flächen auf diesem Grundstück auf Grund einer mündlichen Vereinbarung zu einem monatlichen Pachtzins i.H.v ca. 511.- €.

Ein schriftlicher Arbeitsvertrag wurde zwischen den Beigeladenen nicht geschlossen. Seit der Arbeitsaufnahme am 01. Januar 1994 war die Beigeladene zu 1) als versicherungspflichtige Beschäftigte zur Sozialversicherung angemeldet. Die entsprechenden Pflichtbeiträge wurden entrichtet. Ausweislich der im Verwaltungsverfahren bei der Beklagten eingereichten Lohn-/Gehaltsabrechnungen für jeweils den Monat Dezember der Jahre 1994 bis 2006 wurden an die Beigeladene zu 1) gezahlt: „Gehalt - Angest.“, welches im Laufe der Jahre von 2.100.- DM auf 2.200.- € anstieg, ein „VWL-AG-Ant.Festbetr.“ sowie ab 1995 eine „Direktvers. PSt. 20%“.

In einem Rentenantrag vom März 2005 gab die Beigeladene zu 1) gegenüber der klagenden Deutschen Rentenversicherung Bund u.a. an, dass sie derzeit als kaufmännische Angestellte und nicht selbständig tätig und ihr Arbeitsverhältnis nicht nach dem 31. Dezember 2003 beendet worden sei.

Im Januar 2006 beantragte die Beigeladene zu 1) bei der Beklagten die Überprüfung ihres sozialversicherungsrechtlichen Status. Im Feststellungsbogen zur versicherungsrechtlichen Beurteilung eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen Angehörigen gab sie übereinstimmend mit ihrem Ehemann an, dass sie seit dem 1. Januar 1994 als Innendienstleiterin bei der Beigeladenen zu 2) zu einem regelmäßigen monatlichen Arbeitsentgelt in Höhe von 2.200 € beschäftigt sei. Zur Beschreibung der ausgeübten Tätigkeit gab sie an: „alleinige Leitung unseres gesamten kaufm. Bereichs m. allen Vollmac...

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