Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. vollständiger Ausgleich der Hörschädigung bei der Versorgung des Versicherten mit einem Hörgerät

 

Orientierungssatz

1. Bei Hörhilfen handelt es sich um Fälle des unmittelbaren Behinderungsausgleichs. In einem solchen Fall schuldet die Krankenkasse einen möglichst vollständigen Ausgleich der Behinderung. Der Versicherte hat Anspruch auf ein Hörgerät, das ihm im Rahmen des Möglichen auch in größeren Räumen und bei störenden Umgebungsgeräuschen das Hören und Verstehen ermöglicht.

2. Reicht ein Festbetrag objektiv nicht für den Ausgleich der Behinderung aus, so ist der Versicherte auf Kosten der Krankenversicherung mit einem höherwertigen Hilfsmittel zu versorgen ( vgl BSG vom 17.12.2009 - B 3 KR 20/08 R = BSGE 105, 170 = SozR 4-2500 § 36 Nr 2).

3. Aus der gemäß § 2 Abs 1 S 1 SGB 5 bestehenden Verantwortung für die Sachleistungen ergibt sich die Verpflichtung der Krankenkasse, ihre Versicherten zu informieren und zu beraten. Unterlässt sie dies, so ist sie nach § 13 Abs 3 SGB 5 verpflichtet, die Kosten zu erstatten, die daraus entstanden sind, dass sie eine Leistung zu Unrecht nicht erbracht hat. Die Verpflichtung der Krankenkasse wird durch die Vereinbarung von Festbeträgen nicht außer Kraft gesetzt (vgl BSG vom 17.12.2009 - B 3 KR 20/08 R = BSGE 105, 170 = SozR 4-2500 § 36 Nr 2 RdNr 36).

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 27. Juli 2016 sowie der Bescheid der Beklagten vom 30. November 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Mai 2013 und des Teilanerkenntnisses vom 27. Juli 2016 geändert. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 2.291,13 € zu zahlen.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über eine Kostenerstattung für Hörgeräte.

Die 1954 geborene Klägerin ist bei der Beklagten versichert. Ihre behandelnde HNO-Ärztin Dr. H verordnete ihr am 16. Juni 2012 wegen Perzeptionsschwierigkeit beiderseits eine Hörhilfe. Nach dem Anpassungsgericht der Firma K Hörgeräte vom 5. Oktober 2012 wurde ihr angepasst das Hörgerät KINDalera 7 EX WL - sc beiderseits. Der Preis für die gewählte Versorgung betrage 3.815,74 €, der von den Krankenkassen übernommene Festbetrag 738,30 €.

Am 24. Oktober 2012 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Übernahme von über dem Festbetrag liegenden Kosten für Hörgeräteversorgung. Sie habe verschiedene Hörgeräte getestet. Mit den so genannten Festbetragshörgeräten habe kein Ausgleich der Hörbehinderung erreicht werden können. Mit zuzahlungsfreien Hörgeräten sei ihr die Teilnahme an einer Unterhaltung nur in einer ruhigen Umgebung möglich. Das ausgewählte Hörsystem sei mit einer Störgeräusch- und Rückkopplungsunterdrückung ausgestattet, so dass Sprache in geräuschvoller Umgebung besser verstanden werden könne.

Die Beklagte legte den Vorgang dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) vor. Dieser befand am 6. November 2012, dass die Klägerin nicht zu den Personen mit an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit gehöre. Die vorliegenden Messergebnisse bestätigten die Eignung des ausgewählten Hörgerätes, würden jedoch nicht belegen, dass die Klägerin zwingend mit ihm versorgt werden müsste.

Durch Bescheid vom 30. November 2012 bezog sich die Beklagten auf das Gutachten des MDK und erklärte die Übernahme der Kosten in Höhe des Festbetrags. Die Klägerin legte Widerspruch ein und machte geltend, dass die zum Festbetrag erhältlichen Hörgeräte nicht für den angemessenen Ausgleich der bei ihr vorliegenden Behinderung ausreichen würden. Die Festbetragsregelung würde die technische Innovation ignorieren, obwohl sie den Behinderungsausgleich verbessere.

Nach nochmaliger Befragung des MDK wies die Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 22. Mai 2013 zurück. Die eingereichten Unterlagen brächten zum Ausdruck, dass die Firma K selbst nicht davon ausgegangen sei, dass die Beklagte sich über den Festbetrag hinaus an den Kosten der Versorgung zu beteiligen habe. Nach der Rechtsprechung des BSG (Hinweis auf Urt. v. 17. Dezember 2009 - B 3 KR 20/08 R) sei allein für den Personenkreis der an Taubheit grenzenden Schwerhörigen eine festbetragsübergreifende Versorgung notwendig. Der Auffassung der Klägerin, dass ihr subjektives Hörempfinden mit dem jeweiligen Hörgerät maßgeblich sei, könne nicht gefolgt werden. Es sei allein Sache des Hörgeräteakustikers zu entscheiden, welche Hörgeräte er zum Festbetrag abgebe. Nach dem für die Länder Berlin und Brandenburg maßgebenden Versorgungsvertrag seien die Hörgeräteakustiker jedoch verpflichtet, zumindest eine geeignete Hörgeräteversorgung den Versicherten zuzahlungsfrei anzubieten.

Mit der am 7. Juni 2013 bei dem Sozialgericht Cottbus eingegangenen Klage begehrt die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur vollen Kostenerstattung. Sie legte eine Rechnung der Firma K vom 10. Mai 2013 vor, wonach sie am 3. Mai 201...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt SGB Office Professional . Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge