Entscheidungsstichwort (Thema)

Summierung von gewöhnlichen Leistungseinschränkungen. Benennungspflicht. Arbeitsmarkt. Pförtner an der Nebenpforte

 

Orientierungssatz

1. Zur Tätigkeit eines Pförtner an der Nebenpforte.

2. Zur Tätigkeit eines Mitarbeiters in der Sichtkontrolle.

3. Der Arbeitsmarkt hat sich seit der Entscheidung des Großen Senats des BSG vom 19.12.1996 - GS 2/95 = BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 erheblich verändert. Bereits damals war die Zahl ungelernter körperlich leichter Tätigkeiten rückläufig, der Große Senat ging jedoch davon aus, dass es diese Arbeitsplätze in der Berufswelt tatsächlich in nicht nur geringer Zahl gab. Tätigkeiten, die mit diesen Verrichtungen verbunden sind und gleichzeitig der Definition einer leichten Arbeit entsprechen, gibt es am Arbeitsmarkt kaum noch.

4. Auch eine größere Summierung "gewöhnlicher" Leistungseinschränkungen kann letztlich zur Benennungspflicht führen (vgl BSG vom 19.8.1997 - 13 RJ 55/96 = juris RdNr 27).

5. Die Tätigkeit des "Pförtners an der Nebenpforte“, die früher unstreitig vorhanden war, wird im Rahmen einer veränderten Arbeitswelt isoliert nicht mehr angeboten.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 11.12.2019; Aktenzeichen B 13 R 7/18 R)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 15. September 2014 und der Bescheid der Beklagten vom 24. Februar 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Mai 2012 geändert.

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. Oktober 2014 bis zum 31. Dezember 2019 zu gewähren.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger drei Viertel der außergerichtlichen Kosten des gesamten Rechtsstreits zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Weitergewährung seiner Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 31. März 2012 hinaus. Hilfsweise begehrt er die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung über März 2012 hinaus.

Der 1964 geborene, also jetzt 54 Jahre alte Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er hat keinen Beruf erlernt und war von 1980 bis 1982 in einer Papierfabrik und von 1982 bis 1996 bei der E AG, jeweils als Maschinenführer, tätig. Nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit von 1996 bis 2003 arbeitete der Kläger als Wachmann. Von 2004 bis 2007 war er mit einer Autovermietung selbständig. Anschließend war er arbeitsunfähig bzw. arbeitslos.

Mit Bescheid vom 27. Mai 2010 bewilligte die Beklagte dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung aufgrund eines Leistungsfalles vom 17. November 2007 vom 1. September 2009 bis zum 31. März 2012. In den Akten der Beklagten findet sich unter anderem der Bericht des V -Klinikums vom 6. Dezember 2007 über einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 19. November 2007 bis zum 6. Dezember 2007, dort waren ihm nach einem Herzinfarkt am 22. November 2007 zwei Stents gelegt worden, die am 24. November 2007 aufgrund eines erneuten Verschlusses der beiden Stents rekanalisiert werden mussten. In dem der Rentengewährung vorausgehenden Rentenantragsverfahren hatte die Beklagte den Kläger durch die Internistin Dr. P und den Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dipl.- Med. B begutachten lassen. Dr. P war in ihrem Gutachten vom 19. Januar 2010 zu dem Ergebnis gekommen, dass die bei dem Kläger vorliegende koronare Herzerkrankung mit Zustand nach Myokardinfarkt, der Blutdruck und der tablettenpflichtige Diabetes Mellitus zwar zu einem unter dreistündigen Leistungsvermögen als Wachmann geführt hätten, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt jedoch noch sechs Stunden und mehr täglich Tätigkeiten verrichtet werden könnten. Nachtschicht, Zeitdruck, starke Temperaturschwankungen sowie erhöhte Verletzungsgefahr, Klettern und Steigen und häufiges Tragen und Heben von Lasten über 10 kg seien zu vermeiden. Dipl.-Med. B hatte in seinem Gutachten vom 24. April 2010 eingeschätzt, dass der Kläger wegen einer Anpassungsstörung, eines Herzangstsyndroms und einer narzisstischen Persönlichkeit als Wachmann nur noch unter drei Stunden täglich und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt drei bis unter sechs Stunden täglich leistungsfähig sei.

Im November 2011 beantragte der Kläger die Weiterzahlung seiner Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte holte einen Befundbericht des den Kläger behandelnden Arztes für Nerven- und Gemütskrankheiten Herrn S vom 9. Januar 2012 ein. Dieser gab an, dass bei dem Kläger wegen eines chronifizierten mittelschweren bis schweren depressiven Syndroms multifaktorieller Genese und einer Somatisierungsstörung bei chronifiziertem Krankheitsbild ohne Tendenz zur Besserung keine Belastbarkeit für eine Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert bestehe.

In ihrem im Auftrag der Beklagten erstellten Gutachten kam die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dipl.-Med. S am 13. Februar 2012 zu dem Ergebnis, dass der Kläger seine letzte Tätigkeit als Wachmann weiterhin nur unter drei Stunden, Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes jedo...

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