Entscheidungsstichwort (Thema)

Überlanges Gerichtsverfahren. Art 23 ÜberlVfRSchG. abgeschlossenes Verfahren. Sechsmonatsfrist. Entbehrlichkeit des Vorverfahrens. Bemessung der unangemessenen Dauer. Widerspruchsverfahren nicht Teil des Gerichtsverfahrens. instanzenübergreifendes Gesamtverfahren. Haftungsverantwortung. sozialgerichtliches Verfahren

 

Leitsatz (amtlich)

War zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des GRüGV (juris: ÜberlVfRSchG) noch eine Beschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte möglich, kann die Entschädigungsklage bis zum 3.6.2012 erhoben werden.

Für die gerichtliche Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs bedarf es keines vorangehenden Verwaltungsverfahrens.

Mit Blick auf die Dauer des Widerspruchsverfahrens kommt die Verurteilung zu einer Entschädigungszahlung nicht in Betracht.

Die angemessene Dauer des Ausgangsverfahrens richtet sich nach dem Einzelfall. Bezugspunkt ist dabei das Gesamtverfahren jedenfalls soweit es in die Haftungsverantwortung des in Anspruch genommenen Rechtsträgers fällt.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 03.09.2014; Aktenzeichen B 10 ÜG 12/13 R)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert wird auf 3.600,00 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt eine Entschädigung wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Neuruppin zuletzt unter dem Aktenzeichen S 11 VG 324/07 sowie dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg unter dem Aktenzeichen L 11 VG 77/09 geführten Verfahrens.

Dem Ausgangsverfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Ende Mai 2000 versah der seinerzeit als Polizeibeamter tätige Kläger gemeinsam mit einem Kollegen Dienst in einem Regionalzug. Es kam dort zu einem Vorfall, in dessen Verlauf der Kläger sich von dem Kollegen vorsätzlich mit einer Schusswaffe bedroht fühlte. Zeugen waren bei dem konkreten Geschehen nicht zugegen. Ein seinerzeit eingeleitetes strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den Kollegen des Klägers stellte die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) im Sommer 2000 mangels hinreichenden Tatverdachts mit der Begründung ein, dass bezüglich des konkreten Geschehens Aussage gegen Aussage stehe. Der beschuldigte Kollege hatte zwar bestätigt, die Schusswaffe gezogen zu haben, sich hingegen dahin eingelassen, dies lediglich getan zu haben, um das nicht richtig eingeführte Magazin zu richten, und die Waffe dabei nicht direkt auf den Kläger gerichtet zu haben. Auch ein weiteres Ermittlungsverfahren führte nicht zur Anklageerhebung. Im September 2005 stellte die Staatsanwaltschaft dieses mit Blick auf eine etwaige Bedrohung oder fahrlässige Körperverletzung wegen Verfolgungsverjährung und bzgl. des Vorwurfs der schweren Körperverletzung mangels zureichender Anhaltspunkte ein. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Klägers wies der Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg zurück. Den Antrag des Klägers auf gerichtliche Entscheidung verwarf das Brandenburgische Oberlandesgericht mit Beschluss vom 14. Februar 2006 als unzulässig.

Bereits im August 2004 hatte der Kläger beim Landesamt für Soziales und Versorgung eine Entschädigung für Opfer von Gewalttaten beantragt. Nachdem die Gewährung mit Bescheid vom 22. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02. März 2006 mit der Begründung abgelehnt worden war, dass weder die Tathandlung an sich noch der erforderliche Vorsatz des Täters nachgewiesen sei, erhob der anwaltlich vertretene Kläger, der zum 31. März 2006 wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt wurde, am 06. April 2006 beim Sozialgericht Neuruppin Klage, die zunächst unter dem Aktenzeichen S 3 VG 66/06 registriert wurde. Er begehrte mit Blick auf den Vorfall im Zug die Gewährung einer Versorgung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) und machte geltend, infolge dieses Geschehens unter einer posttraumatischen Belastungsstörung zu leiden. Mit der Eingangsverfügung übersandte das Sozialgericht seinem damaligen Bevollmächtigten im April 2006 einen Fragebogen zur Person, der am 12. Mai 2006 ausgefüllt zurückgereicht wurde. Am 08. Juni 2006 ging bei Gericht die Klageerwiderung des damaligen Beklagten ein. Mit am 04. Juli 2006 eingegangenem Schriftsatz nahm der Bevollmächtigte des Klägers hierzu Stellung und beantragte die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Am 01. August 2006 ging bei Gericht die beim Landesamt angeforderte Schwerbehindertenakte des Klägers ein. Diese wurde im Folgenden zu dem parallel vom Kläger geführten Verfahren auf Anerkennung einer Schwerbehinderung genommen, in dem er sich durch andere Bevollmächtigte als im hier streitgegenständlichen Ausgangsverfahren vertreten ließ.

Mit am 02. März 2007 bei Gericht eingegangenem Schreiben trug der damalige Bevollmächtigte des Klägers ergänzend zur Sache vor. Im Juni 2007 bat er um Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung und legte ein Schreiben des "dbb Beamtenbund und Tarifunion" vor, in dem dargelegt wird, dass der Kläger sich nicht mehr ...

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