Entscheidungsstichwort (Thema)

Überlanges Gerichtsverfahren. Entschädigungsklage. Altfall. Übergangsregelung. unangemessene Verfahrensdauer. instanzenübergreifendes Gesamtverfahren. Verfahrenslänge einer Instanz als Streitgegenstand. Gestaltungsspielraum des Richters. Terminierung. Verfahrensförderungspflicht. Einwirkungsmöglichkeit. Zwangsmittel bei Gutachten nach § 109 SGG. Verzinsung des Entschädigungsanspruchs. sozialgerichtliches Verfahren

 

Leitsatz (amtlich)

Die angemessene Dauer des Ausgangsverfahrens richtet sich nach dem Einzelfall. Bezugspunkt ist dabei das Gesamtverfahren jedenfalls soweit es in die Haftungsverantwortung des in Anspruch genommenen Rechtsträgers fällt, auch wenn streitgegenständlich allein die Verfahrensdauer in einer Instanz ist.

Es unterfällt grundsätzlich dem Gestaltungsspielraum des Kammervorsitzenden, in welcher Reihenfolge er anhängige Verfahren zur Sitzung ansetzt. Insbesondere besteht keine Verpflichtung, als verhandlungsreif angesehene Verfahren umgehend zur mündlichen Verhandlung (mit Beweisaufnahme) anzusetzen.

Mit zunehmender Verfahrensdauer steigt die Verfahrensförderungspflicht.

Im Falle der Einholung eines Gutachten nach § 109 SGG darf der Kammervorsitzende mit dem Einsatz von Zwangsmitteln sehr zurückhaltend verfahren.

Ein Entschädigungsanspruch ist auch in Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit zu verzinsen.

Im Entschädigungsverfahren vor dem Landessozialgericht ist keine vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils auszusprechen.

 

Tenor

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Cottbus unter dem Aktenzeichen S 7 U 93/99 geführten Verfahrens eine Entschädigung in Höhe von 3.600,00 € zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 12. September 2012 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu drei Viertel, der Kläger zu einem Viertel zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert wird auf 6.000,00 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt eine Entschädigung wegen unangemessener Dauer des beim Sozialgericht Cottbus unter dem Aktenzeichen S 7 U 93/99 geführten Verfahrens.

Dem Ausgangsverfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Nachdem die zuständige Unfallkasse es 1999 abgelehnt hatte, eine toxische Enzephalopathie als Berufskrankheit nach Ziffer 1302 der Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung (Erkrankung durch Halogenkohlenwasserstoffe) anzuerkennen, erhob der Kläger am 18. August 1999 vor dem Sozialgericht Cottbus Klage, die unter dem Aktenzeichen S 7 U 93/99 registriert wurde. Mit am 12. Oktober 1999 eingegangenem Schreiben begründete er diese. Am 18. Oktober 1999 forderte das Sozialgericht bei ihm Unterlagen und Angaben zu seinen behandelnden Ärzten an, die der Kläger am 02. November 1999 einreichte. Das Sozialgericht strengte daraufhin verschiedene medizinische Ermittlungen an. Parallel hierzu zeigte Mitte November 1999 eine Rechtsanwältin die Vertretung des Klägers an, erhielt Akteneinsicht und legte am 02. Februar 2000 eine ausführliche Klagebegründung vor. Am 12. April 2000 ging - nach zwischenzeitlicher Mahnung durch das Gericht - eine Stellungnahme der damaligen Beklagten ein. Anfang Juli 2000 bat das Gericht um Benennung von Beweismitteln, woraufhin die damalige Bevollmächtigte des Klägers am 24. und ergänzend am 28. Juli 2000 Zeugen benannte.

Ende Februar 2001 erkundigte die Bevollmächtigte sich nach dem Sachstand. Der Kammervorsitzende informierte sie kurz darauf, dass das Verfahren zur Verhandlung vorgesehen sei, ein konkreter Termin aber noch nicht benannt werden könne. Auf eine weitere Sachstandsanfrage Mitte Oktober 2001 erfolgte der Hinweis auf die Erkrankung des Kammervorsitzenden. Nach erneutem Drängen der Bevollmächtigten Mitte November 2001 und einer weiteren Sachstandsanfrage Ende Februar 2002 wurde die Sache mit Ladung vom 02. August auf den 16. August 2002 angesetzt. Auf Nachfrage der Bevollmächtigten wurden unter dem 06. August 2002 zwei bis dahin nicht geladene Zeugen nachgeladen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung konnten nur zwei der vier Zeugen vernommen werden, woraufhin der Rechtsstreit zur weiteren Sachverhaltsaufklärung vertagt wurde. Weiter wurde den Beteiligten Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme zum Ermittlungsergebnis gegeben. Ende August 2002 teilte die damalige Bevollmächtigte des Klägers nochmals die bereits benannte Anschrift der zuvor nicht ladbaren Zeugin mit und bat um einen erneuten Zustellversuch.

Mitte September 2002 schrieb der Kammervorsitzende die Sache erneut zur Sitzung aus und terminierte sie schließlich am 13. November 2003 zum 03. Dezember 2003. Nach Einvernahme der Zeugin im Termin zur mündlichen Verhandlung am 03. Dezember 2003 wurde die Sache erneut zur weiteren Sachverhaltsaufklärung vertagt. Ausweislich des Protokolls wollte der Kläger sich bemühen, Möglichkeiten aufzuzeigen, die zur Ermittlung von Unterlagen seines früheren Beschäftigungsbetriebes führen könnten. Au...

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