Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Regelungsanordnung. Anordnungsanspruch. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. Sozialhilfe. Hilfe zum Lebensunterhalt. Leistungsgewährung nach § 23 Abs 1 S 3 SGB 12

 

Leitsatz (amtlich)

Anschluss an die Rechtsprechung der Sozialhilfesenate des LSG Berlin-Brandenburg (vgl LSG Berlin-Potsdam vom 13.4.2016 - L 15 SO 53/16 B ER und L 23 SO 46/16 B ER ua = SAR 2016, 65)

 

Orientierungssatz

1. Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ist aufgrund der Rechtsprechung des BSG (vgl zB BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R = SozR 4-4200 § 7 Nr 43) zur Frage der Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB 12 als Ermessensleistung vom Vorliegen eines Anordnungsanspruchs auszugehen.

2. Auch nach der Rechtsprechung des BSG (vgl BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R aaO RdNr 58) ist jedoch nicht in jedem Fall von einer Ermessensreduzierung auf Null nach einem mindestens sechsmonatigen Aufenthalt auszugehen. Der Sozialhilfeträger hat die Umstände des Einzelfalles aufzuklären und eine Ermessensentscheidung zu treffen.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 17. September 2015 geändert. Der Beigeladene wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 404,00 € monatlich vom 24. Mai 2016 bis zum 23. August 2016 sowie Kosten der Unterkunft in Höhe von monatlich 420,00 € für die Zeit vom 23. Juni 2015 (Eingang des Antrags beim Sozialgericht Berlin)

bis zum 01. Juni 2016, beide Leistungen jedoch längstens bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, zu zahlen.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Der Beigeladene hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten des gesamten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zu erstatten. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe in dem Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 17. September 2015 wird zurückgewiesen; der Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

 

Gründe

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 17. September 2015 ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

I. 1.) Der Senat folgt der Auffassung der 66. Kammer des Sozialgerichts in dem angefochtenen Beschluss als auch der 75. Kammer in ihrem Beschluss vom 07. November 2014 (S 75 AS 24706/14 ER), dass sowohl die Dauer des Aufenthalts des Antragstellers in Deutschland (August 2011?) als auch der Zeitraum der Beschäftigung sowie die Freiwilligkeit der Arbeitslosigkeit des Antragstellers nach Beendigung dieser Beschäftigung am 31. August 2013 unklar sind. Deshalb lässt sich nicht abschließend feststellen, ob der Antragsteller freizügigkeitsberechtigt nach § 4a Abs. 1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) oder nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 FreizügG/EU ist. Im Hinblick darauf steht damit derzeit nur fest, dass der Antragsteller sich nunmehr zum Zwecke der Arbeitssuche in Deutschland aufhält. Vor Klärung der offenen aufenthaltsrechtlichen Fragen dürfte ihm damit gegen den Antragsgegner kein Anspruch auf Leistungen  nach dem Sozialgesetzbuch/Zweites Buch (SGB II) zustehen, weil nach dem bislang bekannten Sachverhalt § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II einer Leistungsgewährung entgegensteht.

2.) Der Antragsteller kann sich als französischer Staatsangehöriger für den Bezug von Leistungen nach dem SGB II auch nicht auf das Gleichbehandlungsgebot des Art.1 des Europäischen Fürsorgeabkommens vom 11. Dezember 1953 (EFA), dem u. a. Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland beigetreten sind, berufen, denn nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 03. Dezember 2015 - B 4 AS 59/13 R -, vgl. Terminbericht Nr. 54/15) steht diesem der von der Bundesregierung am 19. Dezember 2011 erklärte Vorbehalt nach Art. 16 Abs. b EFA entgegen, der formell und materiell wirksam ist. Zwar bleiben Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII weiterhin möglich und sind vom Gleichbehandlungsgebot des Art. 1 EFA umfasst; letzteres setzt aber voraus, dass sich ein Antragsteller im streitigen Zeitraum weiterhin auf ein Aufenthaltsrecht berufen kann (vgl. BSG; Urteil vom 03. Dezember 2015 - B 4 AS 59/13 R -, vgl. Terminbericht Nr.54/15), das derzeit nicht feststellbar ist (vgl. hierzu Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15. Januar 2016 - L 28 AS 3053/15 B ER -, juris).

3.) Dem Antragsteller steht dann jedoch ein Leistungsanspruch gegen den Beigeladenen nach dem Sozialgesetzbuch/Zwölftes Buch (SGB XII) zu, den er gemäß § 75 Abs. 5 SGG geltend machen kann und im Zweifel auch geltend macht (vgl. hierzu und zum Folgenden m.w.N. BSG, Urteil vom 03. Dezember 2015 - B 4 AS 44/15 R...

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