Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. Wertmarke zur unentgeltlichen Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr. Erwerb unter Zahlung eines Eigenanteils trotz Vorliegens der Voraussetzungen für den unentgeltlichen Erwerb. Erstattungsanspruch

 

Leitsatz (amtlich)

Hat ein schwerbehinderter Mensch eine Wertmarke zur unentgeltlichen Beförderung im öffentlichen Personenverkehr gegen Zahlung eines Eigenanteils erworben, obwohl die Voraussetzungen nach § 145 Abs 1 S 5 SGB 9 für den unentgeltlichen Erwerb vorgelegen haben, so besteht kein Anspruch auf Erstattung des Eigenanteils.

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 4. November 2004 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten steht im Streit, ob der Klägerin 182,71 € zu erstatten sind.

Bei der 1914 geborenen Klägerin sind ein Grad der Behinderung (GdB) von 90 seit 23. Dezember 2002 sowie die Merkzeichen B und G festgestellt (Bescheid vom 15. Januar 2003). Zuvor (Bescheid vom 20. Dezember 1994) waren ein GdB 80 sowie das Merkzeichen G ab 13. Oktober 1994 festgestellt.

Mit Schreiben vom 14. März bzw. 8. April 2003 machte die Klägerin geltend, dass sie seit März 2000 laufende Leistungen zum Lebensunterhalt nach § 27 a Bundessozialhilfegesetz (BSHG) beziehe. Sie habe übersehen, dass sie in ihrem Antrag auf “Freifahrt" nach Bewilligung der Leistungen nach dem BSHG, anders als in den Vorjahren, ein Kreuz in der entsprechenden Rubrik auf der Antragsrückseite des Formulars des Beklagten hätte machen müssen. Sie habe daher ab April 2000 für die Wertmarken bezahlt, obwohl ihr diese unentgeltlich zugestanden hätten. Der zuviel bezahlte Betrag belaufe sich von Februar 2000 bis März 2003 auf insgesamt 242,72 €. Diesen möchte sie erstattet haben.

Mit Bescheid vom 30. Mai 2003 erstattete der Beklagte von dem entrichteten Eigenanteil 60,- €. Die Klägerin habe am 8. April 2003 eine Wertmarke zurückgegeben, die noch bis April 2004 Gültigkeit besessen hätte. Für jeden Monat der Erstattung (Mai 2003 bis April 2004) seien daher 5,- € erstattet worden.

Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch mit der Begründung, über die Jahre 2000 bis 2002 sei nicht entschieden worden. Sie habe am 22. Februar 2000 120,- DM an den Beklagten überwiesen, nicht wissend, dass ihr Antrag auf laufende Leistungen nach dem BSHG zum 1. März 2000 bewilligt werde. Sie habe auch in den Folgejahren übersehen, dass diese Bewilligung Auswirkungen auf die Ausgabe einer unentgeltlichen Wertmarke habe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 2004 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Behinderte Menschen würden zwar eine kostenfreie Wertmarke u.a. dann erhalten, wenn sie laufende Leistungen zum Lebensunterhalt nach § 27 a BSHG beziehen. Dies setze allerdings voraus, dass dem Beklagten dieser Umstand bekannt sei. Man habe davon erst im März 2003 Kenntnis erlangt. Eine rückwirkende Erstattung sei nicht möglich, da Erstattungen durch das Gesetz nur für noch nicht abgelaufene Zeiträume vorgesehen seien.

Dagegen erhob die Klägerin am 27. Februar 2004 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG), mit der sie geltend machte, ihr stünden noch weitere 182,72 € als Erstattungsbetrag für die Jahre 2000 bis 2002 zu. Auf Anfrage des SG teilte der Beklagte mit, die Klägerin habe erstmals am 10. Mai 1995 eine Wertmarke im Rahmen einer persönlichen Vorsprache beim Versorgungsamt Stuttgart beantragt. Der Eigenanteil von 120,- DM sei bar einbezahlt worden, die fortlaufenden Zahlungen seien durch Überweisung erfolgt. Dem Bezieher einer Wertmarke würde automatisch ca. 3 Monate vor deren Ablauf ein neues Antragsformular zur Neubeantragung einer Wertmarke zugeschickt. Daraus sei ersichtlich, dass unter gewissen Voraussetzungen eine kostenlose Wertmarke ausgestellt werden könne.

Mit Urteil vom 4. November 2004 verurteilte das SG den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 30. Mai 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Januar 2004 die “Bescheide" vom 24. Februar 2000, 22. Februar 2001, 22. März 2002 und 14. März 2003 über die Herausgabe einer Wertmarke nur gegen Zahlung eines Eigenanteils von 120,- DM bzw. 60,- € abzuändern und der Klägerin 182,71 € zu erstatten. Die Berufung wurde zugelassen. Zur Begründung führte das SG aus, bei den Entscheidungen des Beklagten, die Wertmarke nur gegen Zahlung eines Eigenanteils herauszugeben, handle es sich um Verwaltungsakte, die sich für die Jahre 2000 bis 2002 nachträglich als rechtswidrig herausgestellt hätten. Deshalb bestehe nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ein Anspruch der Klägerin auf rückwirkende Aufhebung und Erstattung. Denn der Beklagte habe aufgrund des falschen Sachverhalts Sozialleistungen, zu der auch die unentgeltliche Ausgabe einer Wertmarke zähle, nicht erbracht. Dem stehe auch nicht § 145 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) entgegen, auf den der Beklagte seiner Entscheidung stütze.

Gegen das ihm am...

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