Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Fortführung der Familienversicherung ohne Altersgrenze. Behinderung. Außerstande sein, eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten

 

Orientierungssatz

Ein Anspruch auf Fortführung der Familienversicherung ohne Altersgrenze nach § 10 Abs 2 Nr 4 SGB 5 besteht nur, wenn das Kind unfähig ist, seinen eigenen Lebensunterhalt einschließlich notwendiger Aufwendungen infolge der Behinderung selbst zu bestreiten (vgl BSG vom 10.12.1980 - 9 RV 11/80 = SozR 3100 § 45 Nr 8). Dies ist dann der Fall, wenn das Kind infolge der Behinderung nicht in der Lage ist, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben und mehr als nur geringe Einkünfte zu erzielen. Der Begriff des Außerstandeseins ist mit dem der Erwerbsunfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung vergleichbar (vgl BSG vom 14.08.1984 - 10 RKg 6/83 = BSGE 57, 108 = SozR 5870 § 2 Nr 35).

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 14.12.2020 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht

zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Fortführung einer Familienversicherung in der Zeit vom 16.12.2016 bis zum 30.09.2020.

Der 1991 geborene Kläger war bis einschließlich 15.12.2016 gem. § 10 Abs. 2 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) familienversichertes Mitglied der Beklagten. Bis zu seinem Krankenkassenwechsel am 01.06.2021 war er im Anschluss daran gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 10 SGB V Mitglied in der studentischen Versicherung der Beklagten.

Der Kläger studierte ab 30.08.2012 an der Universität W Business Management. Seit seiner Geburt ist beim Kläger aufgrund einer geburtstraumatischen kompletten Plexusparese rechts mit residueller Armparese ein Grad der Behinderung von 50 festgestellt.

Mit Bescheid vom 09.01.2017 - gerichtet an den Kläger und dessen Mutter - stellte die Beklagte das Ende der Familienversicherung mit der Vollendung des 25. Lebensjahres des Klägers am 15.12.2016 fest. Im beiliegenden Infoblatt teilte die Beklagte mit, die Familienversicherung bestehe grundsätzlich bis zum 18. Lebensjahr und könne in bestimmten Fällen auch bis zum 25. Lebensjahr bzw. darüber hinaus erhalten bleiben. Für Kinder, die aufgrund einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung nicht in der Lage seien, sich selbst finanziell zu unterhalten, bestehe keine Altersbegrenzung. Voraussetzung sei, dass die Behinderung während der Zeit der Familienversicherung bereits bestanden habe.

Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 14.01.2017 die Fortführung der Familienversicherung. Durch seine Geburtsschädigung benötige er in Schule und Studium mehr Zeit als andere. Des Weiteren müsse er seit Geburt viele Therapien und Sport absolvieren, um nicht zu versteifen. Dies belaste ihn finanziell sehr, da er neben dem Studium keiner Nebentätigkeit nachgehen könne.

Mit Bescheid vom 27.03.2017 lehnte die Beklagte die Weiterführung der Familienversicherung ab. Ein Anspruch auf Familienversicherung ohne Altersbegrenzung bestehe nur, wenn das Kind behinderungsbedingt auf Dauer außerstande sei, sich selbst zu unterhalten. Auch der beim Kläger festgestellte Grad der Behinderung von 50 rechtfertige nicht die Fortführung der Familienversicherung.

Hiergegen legte der Kläger unter Hinweis auf seine Schwerbehinderung mit Schreiben vom 04.04.2017 Widerspruch ein und legte auf Anforderung der Beklagten Atteste des ihn behandelnden W1 (Bericht vom 10.05.2017) und des H (Attest vom 17.07.2018) vor. W1 führte aus, beim Kläger bestehe wegen der vorhandenen Plexusparese eine eingeschränkte Beweglichkeit des rechten Schultergürtels. Der Kläger sei dadurch nicht in der Lage, neben seinem Studium eine berufliche Tätigkeit auszuüben und für seinen Lebensunterhalt selbst aufzukommen. H legte dar, die Plexusparese bedinge beim Kläger muskuläre Dysbalancen im gesamten Oberkörperbereich. Deswegen müssten regelmäßige Therapieeinheiten durchgeführt werden, die viel Zeit in Anspruch nähmen. Es bestünden wechselnde Beschwerden, so dass Lernpausen eingelegt werden müssten. Eine Verlängerung der Familienversicherung werde befürwortet.

In den beiden von der Beklagten eingeholten Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 21.06.2018 und vom 02.11.2018 führte W2 aus, die medizinischen Voraussetzungen für einen Verbleib in der Familienversicherung seien nicht erfüllt. Der Kläger sei trotz seiner Behinderung grundsätzlich in der Lage, Arbeiten von wirtschaftlichem Wert zu verrichten. Die Tatsache, dass ihm dies neben seinem Studium nicht möglich sei, treffe auf viele Studierende zu und begründe keinen Anspruch auf einen Verbleib in der Familienversicherung.

Mit Bescheid vom 20.11.2018 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger ab 16.12.2016 Mitglied in der studentischen Versicherung der Beklagten sei. Der monatliche Beitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung betrage derzeit 95,53 €, bis zum 30.06.2017 habe er 93,59 € betragen. Mit Zahlungsaufforderung vom 2...

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