Entscheidungsstichwort (Thema)

Kürzung des Zugangsfaktors bei "vorzeitiger" Inanspruchnahme einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung trotz Leistungsverbesserungen durch das RVLVG weiterhin verfassungsgemäß

 

Orientierungssatz

Die Bestimmungen des § 77 Abs 2 S 1 Nr 3, S 2 SGB 6 iVm § 264c SGB 6 idF vom 20.4.2007 (§ 264d SGB 6 idF vom 5.12.2012) sind nicht durch das RVLVG verfassungswidrig geworden (vgl LSG Stuttgart vom 7.3.2018 - L 2 R 284/18, vom 19.7.2018 - L 7 R 257/18 sowie vom 18.10.2018 - L 10 R 2783/16).

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 18.11.2020; Aktenzeichen B 13 R 189/19 B)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 7. Februar 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt im vorliegenden Verfahren eine höhere Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0.

Der 1955 geborene Kläger bezieht seit 19. Februar 2009 aus der gesetzlichen Unfallversicherung einer Verletztenrente (Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v.H.); seit Dezember 2011 ist eine Schwerbehinderung mit einem Grad der Behinderung von 90 festgestellt. Auf den am 15. Oktober 2012 gestellten Antrag auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bewilligte die Beklagte durch Bescheid vom 19. Februar 2013 (Teilabhilfebescheid vom 10. Juni 2013, Widerspruchsbescheid vom 16. September 2013) ab 1. November 2012 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, welche jedoch wegen Hinzuverdienstes aus der von dem Kläger weiterhin ausgeübten Beschäftigung als Hausmeister erst ab einem späteren Zeitpunkt (Mai 2013) zur Auszahlung gelangte. Während des anschließenden Klageverfahrens vor dem Sozialgericht Freiburg - SG - (S 22 R 4345/13) bewilligte die Beklagte dem Kläger antragsgemäß mit Bescheid vom 22. Januar 2014 rückwirkend ab dem 1. Mai 2013 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (laufender Zahlbetrag ab 1. März 2014 520,57 Euro). Das Klageverfahren wurde von Klägerseite im Januar 2014 für erledigt erklärt.

Der Rentenberechnung in dem bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 22. Januar 2014 legte die Beklagte - wie schon zuvor im Bescheid vom 19. Februar 2013 - anstelle von 46,2153 ermittelten Entgeltpunkten bei einem verminderten Zugangsfaktor von 0,892 (36 Kalendermonate x 0,003) 41,2240 persönliche Entgeltpunkte zugrunde.

Am 21. Oktober 2014 beantragte der Kläger unter Verweis auf § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) eine Neufeststellung der Rente ab 1. Juli 2014 „ohne versicherungsmathematische Abschläge“ mit der Begründung, das Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung - RV-Leistungsverbesserungsgesetz - vom 23. Juni 2014 (BGBl. I S. 787) dokumentiere, dass die „Notlage des Sozialversicherungssystems“ behoben sei. Mit Bescheid vom 7. November 2014 lehnte die Beklagte den Antrag „auf Überprüfung des Bescheids vom 22.01.2014“ ab; Neufeststellungsgründe lägen nicht vor. Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, er habe eine Entscheidung nach § 48 SGB X und nicht nach § 44 SGB X begehrt. Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Mai 2015 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen, weil Neufeststellungsgründe weder nach § 44 SGB X noch nach § 48 SGB X bestünden.

Deswegen hat der Kläger am 12. Juni 2015 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Er hat geltend gemacht, die Notlage im Sozialversicherungssystem sei durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz „bewiesenermaßen“ beseitigt. Es hätte demgemäß das „verfassungsrechtlich zwingende Gebot“ bestanden, zu allererst die Eingriffe in verfassungsrechtlich geschützte Positionen zurückzunehmen. Das sei indessen nicht geschehen; dieses gesetzgeberische Unterlassen sei verfassungswidrig, sodass sämtliche Rentenbescheide mit Abschlägen automatisch zum 1. Juli 2014 verfassungswidrig geworden seien. Es liege eine Ungleichbehandlung mit Versicherten vor, welche am 1. Juli 2014 mit 63 Jahren in eine abschlagsfreie Rente gehen könnten, sodass Art. 3 des Grundgesetzes (GG) sowie Art. 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verletzt seien. Ferner liege ein Verstoß gegen Art. 14 GG vor; die Norm des § 77 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) sei als Eingriff in eigentumsgeschützte Rentenanwartschaften nicht mehr aufrechtzuerhalten. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Mit Gerichtsbescheid vom 7. Februar 2017 hat das SG die Klage abgewiesen. In den Gründen hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Anwendung des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI in dem Rentenbescheid sei frei von Rechtsfehlern; solche würden vom Kläger auch nicht geltend gemacht. Die genannte Regelung begegne auch keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.

Gegen diesen seinem Prozessbevollmächtigten am 10. Februar 2017 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 22. Februar 2017 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegte Berufung des Klägers. Unter W...

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