Entscheidungsstichwort (Thema)

Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer. Zulassung der verspäteten Antragstellung. unbillige Härte. lex specialis. Verstoß gegen Treu und Glauben. Verletzung der Beratungspflicht. Ermessensreduzierung. leistungsbegründendes Ereignis

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Härteregelung des § 324 Abs 1 S 2 SGB 3 tritt als lex specialis an die Stelle der Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl LSG Stuttgart vom 23.4.2004 - L 8 AL 4489/03). Die Auffassung, dass im Falle eines unverschuldeten Versäumens der Antragsfrist von vornherein eine unbillige Härte anzunehmen sei, und die Vorschrift nur dahin zu verstehen sei, dass das Vorliegen einer unbilligen Härte nicht auf diese Fallkonstellation beschränkt sei (vgl LSG München vom 10.5.2005 - L 8 AL 380/04) ist daher abzulehnen.

2. Ein verspäteter Antrag ist zuzulassen, wenn sich die Berufung auf die verspätete Antragstellung als Verstoß gegen Treu und Glauben darstellen würde. Dies ist zB der Fall, wenn den Begünstigten kein Verschulden an der verspäteten Antragstellung trifft, die Versäumung der Antragsfrist aber ursächlich auf eine Verletzung der Beratungspflicht der Beklagten zurückzuführen ist. In einem solchen Fall steht der Bundesagentur kein Ermessen mehr zu.

 

Orientierungssatz

Das leistungsbegründende Ereignis ist bei § 421j SGB 3 der Tag, an dem die "schlechter bezahlte" Beschäftigung aufgenommen wird.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 08.02.2007; Aktenzeichen B 7a AL 22/06 R)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 15. Juni 2004 und der Bescheid der Beklagten vom 9. Dezember 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 2004 aufgehoben und die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1. März 2003 bis zum 31. Januar 2005 Leistungen zur Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer zu gewähren.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Leistungen der Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer hat.

Der am XX geborene Kläger war vom 01.07.1984 bis 31.12.2002 als Außendienstmitarbeiter (Anzeigen) bei einem Zeitungsverlag in O. beschäftigt. Sein monatliches Bruttoarbeitsentgelt betrug zuletzt 4.500,00 €. Von Mitte Dezember 2002 bis zum 12.02.2003 war der Kläger arbeitsunfähig krank und bezog während dieser Zeit Krankengeld.

Am 13.02.2003 meldete sich der Kläger beim Arbeitsamt Offenburg (AA) arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld (Alg). Bei der Antragstellung wurde ihm das Merkblatt mit Stand April 2002 ausgehändigt. Darin war ein Hinweis auf die Möglichkeit einer Entgeltsicherung noch nicht enthalten, da es diese Leistung erst seit 01.01.2003 gibt. Am 13.03.2003 teilte der Kläger dem AA mit, dass er seit 01.03.2003 als Außendienstmitarbeiter (Anzeigen) bei der L. Zeitung beschäftigt sei. Diese Mitteilung erfolgte nicht anlässlich einer persönlichen Vorsprache des Klägers, sondern schriftlich unter Verwendung eines dem Kläger von der Beklagten zur Verfügung gestellten Vordrucks (Veränderungsmitteilung). Das AA bewilligte dem Kläger für die Zeit vom 13.02.2003 bis 28.02.2003 Alg in Höhe von wöchentlich 311,15 € (Bemessungsentgelt wöchentlich 1.040,- €, Leistungsgruppe A/O). Mit Bescheid vom 06.05.2003 übernahm die Beklagte auch die Beiträge des Klägers zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung. Die Beschäftigung des Klägers bei der L. Zeitung dauerte bis 31.01.2005, ab 01.02.2005 war der Kläger wieder arbeitslos. Sein monatliches Bruttoarbeitsentgelt betrug bis Juni 2004 ca. 3.600,00 € und danach bis Januar 2005 zwischen ca. 2.222,23 € (September 2004) und ca. 4.035,66 € (Januar 2005).

Am 14.10.2003 stellte der Kläger beim AA einen Antrag auf Leistungen der Entgeltsicherung und berief sich auf eine unbillige Härte, weil er zu Beginn seiner Arbeitslosigkeit nicht auf die entsprechende gesetzliche Regelung hingewiesen worden sei. Mit Bescheid vom 09.12.2003 lehnte das AA den Antrag ab, weil die Antragstellung verspätet erfolgt sei. Die Leistung sei hier nicht vor dem leistungsbegründenden Ereignis beantragt worden, da die Arbeitsaufnahme bereits am 01.03.2003 erfolgt sei und der Antrag vom 14.10.2003 stamme. Eine unbillige Härte werde ebenfalls nicht anerkannt.

Dagegen legte der Kläger am 15.12.2003 Widerspruch ein und machte geltend, ihm stünden Leistungen der Entgeltsicherung aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu. Das AA habe es pflichtwidrig unterlassen, ihn auf die erst am 01.01.2003 in Kraft getretene Regelung über Leistungen der Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer hinzuweisen. Dadurch seien ihm entsprechende Leistungen entgangen. Seine am 01.03.2003 aufgenommene Tätigkeit sei mit einem deutlich niedrigeren Gehalt dotiert. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.02.2004 wies die Widerspruchsstelle des AA den Widerspruch als unbegründet zurück. Unstreitig sei, das...

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