Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Übernahme der Krankenbehandlung für nicht Versicherungspflichtige gegen Kostenerstattung. Rückerstattung zu Unrecht erstatteter Aufwendungen nach § 112 SGB X. Hemmung der Verjährung durch Phasen kooperativer Ermittlungen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für die Rückerstattung der Aufwendungen, die der Sozialhilfeträger einer Krankenkasse für die Gewährung von Krankenbehandlung an einen hilfebedürftigen Leistungsempfänger nach Maßgabe des § 264 Abs 7 SGB V zu Unrecht erstattet hat, gilt § 112 SGB X. Erstattungspflichtig nach § 264 Abs 7 S 1 SGB V ist, unabhängig von der An- oder Abmeldung des Hilfeempfängers, der (materiell-rechtlich) zuständige Sozialhilfeträger.

2. Geht bei (Rück-)Erstattungsfällen der Phase kontroverser Auseinandersetzung der Leistungsträger zunächst eine Phase kooperativer Ermittlungen auf der Grundlage einer (stillschweigenden) "Überprüfungsvereinbarung" (vgl BGH vom 30.10.2007 - X ZR 101/06 = juris) voraus, wird während der Ermittlungsphase grundsätzlich (noch) - die Verjährung hemmend - "verhandelt" iS des § 203 S 1 BGB (iVm § 113 Abs 2 SGB X); die während der Ermittlungsphase verstrichene Zeit wird der spätere (Rück-)Erstattungsschuldner regelmäßig nicht als Verjährungszeit zur Anspruchsabwehr geltend machen können, namentlich, wenn sich die kooperativen Ermittlungen wegen in der Sphäre des (Rück-)Erstattungsschuldners liegender Umstände verzögert haben.

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 20.05.2015 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird endgültig auf 78.210,59 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Rückerstattung von Beträgen (77.370,59 € zzgl. Arzt- und Verwaltungspauschale i.H.v. 840,00 €), die er der Beklagten für die Gewährung von Leistungen der Krankenbehandlung nach Maßgabe des § 264 Abs. 7 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) erstattet hat (Zeitraum Januar 2005 bis August 2006).

Der Kläger ist als Landkreis Träger der Sozialhilfe. Mit Schreiben vom 15.09.2004 meldete er den 1963 geborenen H.-J. R., seinerzeit Bezieher von Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII, Hilfe zur Überwindung sozialer Schwierigkeiten nach §§ 67 ff. SGB XII), ohne festen Wohnsitz (im Folgenden: R.), gemäß § 264 Abs. 1 SGB V bei der Beklagten als Leistungsbezieher an. R. sei am 05.08.2004 in eine Einrichtung für Obdachlose in R. (Einrichtung “Sp.„) aufgenommen worden. Es werde um Übersendung der Krankenversichertenkarte gebeten.

Mit Schreiben vom 05.10.2004 teilte der Kläger der Beklagten mit, R. habe die Einrichtung “Sp.„ verlassen. Der Sozialhilfebezug sei zum 30.09.2004 beendet worden und es bestehe kein Leistungsanspruch mehr. In der Anlage werde die Krankenversichertenkarte des R. zurückgegeben.

In der Folgezeit wurde R. im Zuständigkeitsbereich des Klägers noch kurzzeitig im V.-v.-P.-H., R., stationär (psychiatrisch) behandelt und deswegen bei der Beklagten erneut als Leistungsbezieher befristet bis 31.12.2004 angemeldet. Auf einer Liste aller durch die Beklagte betreuten Sozialhilfeempfänger des Klägers vom 28.11.2004 vermerkte der Kläger bzgl. des R., dass er Sp. Bewohner und weiter Betreuter (§ 264 Abs. 2 SGB V) als Haushaltsvorstand sei, die Rechtslage sei noch unklar. Unter dem 21.12.2004 eröffnete die Beklagte den bzgl. des R. zum 31.12.2004 beendeten Datensatz wieder zum 01.01.2005. Ab 01.01.2005 hielt sich R. u.a. in R. und K., jedoch nicht mehr im Zuständigkeitsbereich des Klägers auf und er bezog vom Kläger auch keine Leistungen mehr. Ab 29.08.2006 bezog R. Leistungen nach dem SGB XII vom Landratsamt R..

Die Beklagte stellte dem Kläger (auch) für die Zeit nach dem 01.01.2005 weiterhin Krankenbehandlungskosten des R. zur Erstattung in Rechnung.

Mit Schreiben vom 17.08.2006 teilte der Kläger der Beklagten mit, man habe festgestellt, dass sie Krankenbehandlungskosten für bereits abgemeldete oder verstorbene Personen zur Erstattung abgerechnet habe. Die Beklagte möge die (in der Anlage zu dem Schreiben aufgeführten) Fälle (u.a. den Fall des R.) überprüfen und zu Unrecht erstattete Krankenbehandlungskosten zurückerstatten.

Am 20.06.2007 erstattete die Beklagte dem Kläger ihr vom diesem erstattete Krankenbehandlungskosten des R. für die Zeit von September bis Dezember 2006 zurück.

In einem Telefongespräch vom 25.06.2007 teilte die Beklagte dem Kläger mit, die Angelegenheit werde (weiter) geprüft.

Mit Schreiben vom 24.07.2007 teilte der Kläger der Beklagten mit, R. sei lediglich vom 05.08.2004 bis 30.09.2004 in R. als Betreuungsfall gemeldet gewesen. Die An- und Abmeldungen (bei der Beklagten) würden in Kopie beigefügt.

Mit Schreiben vom 20.10.2008 bat der Kläger die Beklagte um Überprüfung der ihm für die Zeit vom 30.08.2004 bis 30.09.2007 zur Erstattung in Rechnung gestellten Krankenbehandlungskosten des R. i.H.v. 103.269,15 € (abzüglich eines Rücker...

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