Entscheidungsstichwort (Thema)

Hilfe zum Lebensunterhalt. Ausländer. Aufenthaltsrecht. Leistungsausschluss. Existenzminimum. Vorläufige Leistung. Ermessensreduzierung auf Null. Multiple Sklerose. Einstweilige Anordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Aus § 41a Abs. 7 SGB 2 kann dann ein Anspruch auf vorläufige Leistungen resultieren, wenn besondere Umstände bestehen, die im Einzelfall geeignet sind, eine Ermessensreduzierung auf Null zu begründen (Abgrenzung zu Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 16.02.2017 - L 8 SO 344/16 B ER).

 

Normenkette

SGB II § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, § 41a Abs. 7 S. 1 Nr. 1; SGB XII § 21 S. 1, § 23 Abs. 1 S. 3, Abs. 3 S. 1; FreizügG/EU § 2; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 S. 1, Art. 20 Abs. 1; SGG § 86b Abs. 2 S. 2

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Beigeladenen wird der Beschluss des Sozialgerichts K. vom 27.02.2017 insoweit teilweise aufgehoben, als darin für den Zeitraum vom 05.02.2017 bis 21.02.2017 eine einstweilige Anordnung erlassen worden ist. Im Übrigen wird der Beschluss des Sozialgerichts K. vom 27.02.2017 abgeändert und anstelle der Beigeladenen der Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit vom 22.02.2017 bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 31.08.2017, vorläufig den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Der Antragsgegner hat die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in beiden Rechtszügen zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes darum, ob und ggf. auf welcher Rechtsgrundlage (Sozialgesetzbuch Zweites Buch ≪SGB II≫ oder Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch ≪SGB XII≫) der Antragsteller Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts hat und ob ein Anspruch sich gegen den Antragsgegner oder die Beigeladene richtet. Die Beschwerde der Beigeladenen richtet sich gegen ihre mit Beschluss des Sozialgerichts K. (SG) vom 27.02.2017 im Wege einer einstweiligen Anordnung ausgesprochene Verpflichtung, dem Antragsteller für die Zeit ab dem 05.02.2017 bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 31.08.2017, vorläufig Hilfe zum Lebensunterhalt, nicht jedoch Leistungen für Unterkunft und Heizung, in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Der am in M. (ehemaliges Jugoslawien, heutiges Bosnien-Herzegowina) geborene Antragsteller besitzt die kroatische Staatsangehörigkeit, hat nach seinen Angaben aber nie in Kroatien gelebt, sondern bis zu seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland im Juni 2015 nur in Bosnien-Herzegowina, wo heute noch seine Eltern und seine Schwester leben.

Er wohnt in einem angemieteten Zimmer in K. mit Gemeinschaftsküche und Gemeinschaftsbädern, für welches er insgesamt 400 € monatliche Miete zahlt, davon 300 € Kaltmiete und 100 € Nebenkostenpauschale (Mietvertrag vom 01.12.2015, Bl. 13 ff. Verwaltungsakte des Antragsgegners - VA).

Er war vom 01.08.2015 bis 31.01.2016 bei der Firma V. in W., einem Betrieb für Gartengestaltung, beschäftigt, wo er zum 31.01.2016 betriebsbedingt gekündigt wurde. Daran schlossen sich versicherungspflichtige Beschäftigungen bei der Zeitarbeitsfirma P. (vom 02.02.2016 bis 01.07.2016) als Produktionshelfer und zuletzt vom 25.07.2016 bis 04.08.2016 bei der P. Dienstleistung Agentur GmbH als Anlagenmechaniker (vgl. Arbeitsvertrag vom 22.07.2016, Bl. 97 ff. VA) an. Im Zuge einer Vorsprache am 01.08.2016 gab der Antragsteller laut Vermerk des zuständigen Sachbearbeiters des Antragsgegners (Bl. 81 VA) an, er rechne, da er erkrankt sei, mit einer Kündigung durch den Arbeitgeber. Auf der Kopie des Kündigungsschreibens vom 01.08.2016 (Bl. 111 VA) ist handschriftlich vermerkt, der Antragsteller sei krank und habe daher die Arbeit nicht weiter ausüben können.

Ausweislich des vom Antragsteller zur SG-Akte gereichten Entlassungsberichts des Städtischen Klinikums K. vom 02.05.2016 (Bl. 16 ff. SG-Akte) wurde bei ihm im Rahmen des stationären Krankenhausaufenthaltes vom 27.04.2016 bis 05.05.2016 eine Multiple Sklerose (im Folgenden: MS) a.e. vom schubförmigen Typ diagnostiziert. Er befand sich dort in Behandlung wegen einer seit einem halben Jahr bestehenden und in der Symptomatik zunehmenden Gangstörung und immer wieder auftretenden Kopfschmerzen. Bei der Aufnahmeuntersuchung bestand klinisch-neurologisch eine spastische Beinparese rechts. Nach Cortisontherapie wurde er in gebessertem Allgemeinzustand entlassen. Ausweislich des ebenfalls zur SG-Akte gereichten vorläufigen Abschlussberichts des Neurologischen Rehazentrums Q. in Bad W. vom 15.06.2016 konnten dort eine Verbesserung des Gehvermögens und des Allgemeinzustandes sowie eine psychische Stabilisierung erreicht werden. Der Antragsteller habe sich für eine immunmodulatorische Medikation mit Plegridy entschieden. Diese wolle er im Anschluss im ambulanten Rahmen beginnen. Wegen der erforderlichen medikamentösen Neueinstellung werde er zunäc...

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