2.2.1 Nachrang

 

Rz. 6

Anspruch auf Sozialhilfe hat nur derjenige, der nicht aus eigenen Mitteln den Lebensunterhalt bestreiten kann, in besonderen Lebenslagen nicht in der Lage ist, sich selbst zu helfen, und auch von anderer Seite keine ausreichende Hilfe erhält. Als eigene Mittel nennt § 2 Abs. 1 SGB XII die eigene Arbeitskraft sowie Einkommen und Vermögen. Eine sinngemäß gleiche Regelung enthält § 9 Abs. 1 SGB II. Als Verpflichtungen anderer sind in § 2 Abs. 2 SGB XII beispielhaft Unterhaltspflichten und Verpflichtungen anderer Sozialleistungsträger genannt. Das SGB II normiert Entsprechendes. Im eigentlichen Sinne beinhaltet der Nachranggrundsatz, dass der Sozialhilfeanspruch hinter anderen vorrangigen Ansprüchen des Betreffenden rechtlich zurücktritt. Trotz rechtlicher Nachrangigkeit des Sozialhilfeanspruches kann dieser gleichwohl bestehen, wenn der vorrangige Anspruch nicht aktuell realisierbar ist, also "keine bereiten Mittel" zur Verfügung stehen. Dies ist allerdings dem mit dem Nachranggrundsatz eng verbundenen Bedarfsdeckungsgrundsatz zuzuordnen (vgl. Rothkegel, Sozialhilferecht, Teil II, Kapitel 7, Rz. 15). Ausprägungen des Nachranggrundsatzes sind die Vorschriften zum Übergang von Ansprüchen, insbesondere Unterhaltsansprüchen nach §§ 93, 94 SGB XII (auch Überleitung genannt) und § 33 SGB II, sowie die Befugnis des Sozialhilfeträgers, die Feststellung einer Sozialleistung zu betreiben sowie Rechtsmittel einzulegen (§ 95 SGB XII).

2.2.2 Bedarfsdeckung

 

Rz. 7

Der Hilfebedürftige hat ein Recht auf persönliche und wirtschaftliche Hilfe, die seinem Bedarf entspricht. Dies ist Ausdruck der aus dem Sozialstaatsprinzip erwachsenden staatlichen Verpflichtung, die Menschenwürde zu schützen, indem durch Sozialleistungen die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein gewährleistet werden. Der danach erforderliche Bedarf umfasst mehr als das bloße Existenzminimum (BVerfG, Urteil v. 9.2.2010, 1 BvL 1/09, BVerfGE 125 S. 175 = NJW 2010 S. 505). Bedarf und Bedürftigkeit bestimmen Inhalt und Umfang der Sozialhilfeleistungen. Der Bedarf kann in Bezug auf persönliche und wirtschaftliche Hilfe bestehen. Letztere beinhaltet Geld- und Sachleistungen. Bedarf und Bedürftigkeit müssen gegenwärtig bestehen. Sozialhilfe dient dazu, in einer gegenwärtigen Notlage Hilfe zu leisten; es muss Zeitidentität bestehen. Grundsätzlich wird Sozialhilfe weder wegen einer in der Vergangenheit bestandenen noch wegen einer künftigen Notlage gewährt. Aus Gründen der Praktikabilität werden die Leistungen zu Monatsbeginn im Voraus gewährt. Die Bewilligung erfolgt nicht durch Verwaltungsakt mit Dauerwirkung i. S. d. § 48 SGB X. Seit dem 1.1.2005 gilt dies freilich nur noch für die allgemeine Sozialhilfe nach dem SGB XII. Die Leistungen der Grundsicherung im Alter werden hingegen grundsätzlich durch Dauerverwaltungsakt für 12 Monate (§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB XII), die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für Arbeitsuchende werden grundsätzlich für 6 Monate bewilligt (§ 41 Abs. 1 Satz 2 SGB II).

2.2.3 Individualisierung

 

Rz. 8

Der Hilfebedürftige hat Anspruch auf die Hilfe, die seinem besonderen Bedarf entspricht. Der Individualisierungsgrundsatz gewährleistet, dass der jeweilige Hilfebedürftige am Leben in der Gemeinschaft teilnehmen und ein menschenwürdiges Leben führen kann. Ausgeformt ist der Grundsatz in § 9 Abs. 1 SGB XII, wonach sich die Leistungen nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach der Art des Bedarfs, den örtlichen Verhältnissen, den eigenen Kräften und Mitteln der Person oder des Haushalts bei der Hilfe zum Lebensunterhalt richten. Freilich hat der Gesetzgeber aus Gründen der Praktikabilität die Leistungsgewährung innerhalb gewisser Grenzen pauschaliert. So werden gemäß § 28 Abs. 1 SGB XII der gesamte Bedarf des notwendigen Lebensunterhalts außerhalb von Einrichtungen mit Ausnahme der Leistungen für Unterkunft und Heizung und die Sonderbedarfe gemäß den §§ 30 bis 34 SGB XII nach Regelsätzen erbracht. Auch die Vorschriften des SGB XII zum Einsatz von Einkommen und Vermögen enthalten pauschalisierende Regelungen. Mit der Einführung von SGB XII und SGB II hat der Gesetzgeber durch weitgehende Pauschalisierungen sowie durch die Einführung eines persönlichen Budgets den Individualisierungsgrundsatz weiter eingeschränkt, aber nicht aufgegeben. Öffnungsklauseln in § 28 Abs. 1 Satz 2, § 42 Abs. 2 SGB XII und § 23 Abs. 1 SGB II gewährleisten, dass ein im Einzelfall in wesentlich abweichender Höhe auftretender Bedarf gedeckt wird.

2.2.4 Rechtsanspruch und Ermessen

 

Rz. 9

Der Bedürftige hat ein Recht auf Hilfe. Dementsprechend besteht grundsätzlich ein Rechtsanspruch auf Sozialhilfe. Jedoch ist gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 SGB XII über Art und Maß der Leistungserbringung nach pflichtmäßigem Ermessen zu entscheiden, soweit das Ermessen nicht ausgeschlossen wird. Auch insoweit besteht jedoch eine weitgehende Ermessensbindung, weil die Leistung ihrer Art und ihrem Ausmaß nach den aktuellen und individuellen Bedarf decken muss.

2.2.5 Mitwirkungspflicht des Leistungsberechtigten

 

Rz. 10

Der mit Wirkung zum 1.1.2005 eingefügte Satz 2 betont die Mitwirkungspflicht. ...

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