Rz. 18

Einwirkungen sind alle Umstände, die die Gesundheit des Menschen von außen beeinflussen. Obwohl das Gesetz in Abs. 1 Satz 2 nur die Mehrzahl (Einwirkungen) benutzt, kann im Extremfall ein einmaliger Vorgang ausreichen (z. B. Infektion bei der BK 3101). Der Einwirkungsbegriff ist weit auszulegen (Becker, in: Brackmann, SGB VII, § 9 Rz. 49; Kater/Leube, SGB VII, § 9 Rz. 62; Mehrtens/Brandenburg, E § 9 SGB VII Rz. 8.1; Ricke, in: Kasseler Kommentar, SGB VII, § 9 Rz. 9). Er umfasst chemische Substanzen (Metalle und Metalloide, Gase, Lösemittel), Körper- und Zwangshaltungen sowie andere mechanische Belastungen, Erschütterungen und Vibrationen, Druckluft, Lärm, Strahlen, Infektionserreger, Stäube und auch psychische Belastungen. Unerheblich ist, ob der Versicherte die Einwirkungen spürt (Becker, in: Brackmann, SGB VII, § 9 Rz. 49). Ein Nichts oder ein bloßer Mangel sind jedoch keine Einwirkungen, und sei es auch nur in psychischer Form, auf den Körper eines Menschen oder auf eine Gruppe (BSG, Urteil v. 27.4.2010, 2 U 13/09 R).

 

Rz. 18a

Bei der BK 3101 (Infektionskrankheiten) tritt aufgrund der Nachweisschwierigkeit eines konkreten Infektionsvorgangs die besonders erhöhte Infektionsgefahr an die Stelle der Einwirkungen. Sie ist entsprechend den Anforderungen an das Merkmal der Einwirkungen im Vollbeweis nachzuweisen (BSG, Urteil v. 2.4.2009, B 2 U 7/08 R, NZS 2010 S. 345). Die besonders erhöhte Infektionsgefahr ist anhand der Durchseuchung des beruflichen Umfelds und der Übertragungsgefahr bei der versicherten Tätigkeit zu beurteilen (BSG, Urteil v. 2.4.2009, B 2 U 30/07).

 

Rz. 19

Der Verordnungsgeber umschreibt die listenmäßigen Einwirkungen in den Tatbeständen der jeweiligen (Listen-) Berufskrankheit. Während er früher allgemeine und etwas unbestimmt gehaltene Formulierungen wählte ("Erkrankungen durch Blei"), tendiert er nunmehr zu eher konkreten Bezeichnungen ("Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren {25 × 106 [(Fasern/m³) × Jahre]}"). Zum Teil hat der Verordnungsgeber die Listenstoffe absichtlich offen formuliert, damit neue Erkenntnisse berücksichtigt werden können, ohne dass der Wortlaut der Verordnung geändert werden muss (Begründung zur Verordnung über Ausdehnung der Unfallversicherung auf gewerbliche Berufskrankheiten, RArbBl-Amtl Teil 1925 S. 263).

 

Rz. 20

Schweigt der Tatbestand einer Listenberufskrankheit über die erforderliche Intensität (z. B. Lang- oder Mehrjährigkeit der Einwirkungen), Qualität (allergisierende Stoffe) und/oder Quantität im Sinne einer Mindestdosis (z. B. 25 Faserjahre, 100 Feinstaubjahre) eines Listenstoffs, so darf dem Versicherten einerseits nicht anspruchsausschließend entgegengehalten werden, dass der Arbeitgeber bestimmte Grenz- und Richtwerte, wie die Maximale Arbeitsplatzkonzentration (MAK), die Biologischen Arbeitsstoff-Toleranz-Werte (BAT-Werte), die Technische Richtkonzentration (TRK) oder die Strahlenschutzwerte eingehalten hat. Denn diese Arbeitsschutzwerte sollen Krankheiten vermeiden, können aber nicht ausschließen, dass der Versicherte im Einzelfall dennoch erkrankt. Sind alle Grenzwerte eingehalten worden, so wird die Annahme einer Berufskrankheit im Einzelfall gleichwohl häufig scheitern, weil der Ursachenzusammenhang zwischen den (unterschwelligen) Einwirkungen und der Listenerkrankung nicht hinreichend wahrscheinlich ist (Koch, in: Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. 2 Unfallversicherungsrecht, § 35 Rz. 18). Andererseits scheidet eine Anerkennung einer solchen Berufskrankheit aus, wenn die Mindestanforderungen des jeweiligen Tatbestandes der Berufskrankheit nicht gegeben sind. Enthält der Berufskrankheitentatbestand hingegen keinen Mindestdosiswert, so ist in der Kausalitätsprüfung weiter zu klären, ob diese Berufskrankheit jedenfalls mit Wahrscheinlichkeit eine rechtlich wesentliche Teilursache für die im Berufskrankheitentatbestand genannte Krankheit darstellt (BSG, Urteil v. 12.1.2010, B 2 U 5/08 R; Urteil v. 29.11.2011, B 2 U 26/10 R; Spellbrink, BPUVZ 2012 S. 360).

 

Rz. 21

Art und Ausmaß der schädigenden Einwirkungen müssen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit belegt sein (vgl. BSG, Urteile v. 20.1.1987, 2 RU 27/86, und v. 22.6.1988, 9/9a RVg 3/87; Bereiter-Hahn/Mehrtens, § 9 SGB VII Rz. 3; Mehrtens/Brandenburg, E § 9 SGB VII Rz. 14; Nehls, in: Hauck, SGB VII, K § 9 Rz. 36; Ricke, in: Kasseler Kommentar, SGB VII, § 9 Rz. 27).

 

Rz. 22

Der Verordnungsgeber muss Intensität und Umfang der Einwirkungen konkret umschreiben, um eine gleichmäßige Rechtsanwendung zu gewährleisten. Das bedeutet: Die listenmäßigen Einwirkungen müssen sich mit den allgemeinen Auslegungsregeln (Wortlaut, Systematik, Historie, Sinn und Zweck) entschlüsseln lassen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 9.10.2000, 1 BvR 791/95). Dies hat das BSG für die Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV (langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten) wiederholt bejaht (Beschluss v. 31.5.1996, 2 BU 237/95; Urteile ...

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