2.7.1 Inhalt des Anspruchs

 

Rz. 22

Soweit eine Inanspruchnahme zu erwarten ist, liegt es im beiderseitigen Interesse der öffentlichen und freien Jugendhilfe, sich um einen Vereinbarungsabschluss zu bemühen. Dass Vereinbarungen lediglich anzustreben sind, macht andererseits deutlich, dass die freien Träger keinen Rechtsanspruch auf den Abschluss einer Vereinbarung gegen den öffentlichen Träger haben können (OVG Schleswig-Holstein, SchLHA 2002 S. 51; BVerwGE 108 S. 56; VG Osnabrück, Beschluss v. 13.11.2009, 4 B 13/09 Rz. 52; VG Münster, JAmt 2005 S. 44; VG Stuttgart, ZfJ 2004 S. 382; VG Oldenburg, Urteil v. 15.2.2005, 13 A 1148/03; VG Halle, Urteil v. 21.9.2006, 4 A 225/04). § 77 gibt der öffentlichen und freien Jugendhilfe auf, Vereinbarungen über die Höhe der Kosten der Inanspruchnahme von Einrichtungen und Diensten anzustreben. Verlangt ist also das Bemühen, nicht der Erfolg; dieser setzt die beiderseitige Mitwirkung voraus.

 

Rz. 23

Aus § 77 i. V. m. §§ 3 bis 5 folgt allerdings, dass die freien Träger einen Anspruch darauf haben, dass der öffentliche Träger ernsthaft in Verhandlungen über Pflegesatzvereinbarungen eintritt und ein verhandlungsfähiges, ausreichend substantiiertes Angebot unterbreitet (VG Halle, Urteil v. 21.9.2006, 4 A 225/04; DIJuF-Rechtsgutachten v. 7.12.2012, J 1.430 Sch, JAmt 2013 S. 91, 92). Ob es im Rahmen dieser Verhandlungen zu einem Abschluss der Vereinbarungen kommt, steht dann im pflichtgemäßen Ermessen des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe.

 

Rz. 24

Die freien Träger haben allerdings einen Anspruch darauf, dass dieses Ermessen durch den Träger der öffentlichen Jugendhilfe fehlerfrei ausgeübt wird (BVerwGE 94 S. 202, 207; OVG Lüneburg, FEVS 34 S. 419, 423; v. Boetticher/Münder, in: Münder u. a., FK-SGB VIII, § 77 Rz. 15; Grube, in: Hauck/Noftz, SGB VIII, § 77 Rz. 17; Ax/Schneider/Ottenströer, VR 2010 S. 328, 331; Engler, RsDE Nr. 71 (2010) S. 41, 63). Die Entscheidung des öffentlichen Trägers kann also daraufhin untersucht werden, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten wurden oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde (§ 114 VwGO; vgl. Stuhlfauth, in: Bader/Funke-Kaiser u. a., VwGO, 6. Aufl. 2014, § 114 Rz. 4 ff.).

2.7.2 Voraussetzungen

 

Rz. 25

Voraussetzung für den Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung ist, dass Einrichtungen und Dienste der Träger der freien Jugendhilfe durch Leistungsberechtigte tatsächlich in Anspruch genommen werden. Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sind indessen selbstverständlich berechtigt, solche Vereinbarungen auch schon vor der ersten Inanspruchnahme abzuschließen.

2.7.3 Ermessensreduzierung auf Null

 

Rz. 26

Im Einzelfall können Rechtsgründe dazu führen, dass sich das Ermessen so verdichtet, dass nur noch der Abschluss der Vereinbarung ermessensfehlerfrei ist. Eine solche Ermessensreduzierung auf Null findet namentlich dann statt, wenn Kostenvereinbarungen mit gleichartigen Trägern bereits abgeschlossen wurden. Aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz ergibt sich dann ein Anspruch auf Abschluss einer gleichartigen Vereinbarung.

 

Rz. 27

Ein Gesichtspunkt der Ermessensreduzierung kann sich auch aus der sog. Förderverpflichtung aus § 74 ergeben. Der Abschluss einer Vereinbarung ist zwar deutlich von der finanziellen Förderung im engeren Sinne nach § 74 Abs. 1 Satz 1 HS 2 zu unterscheiden. Die Förderung nach § 74 Abs. 1 Satz 1 HS 2 gibt einen Anspruch auf allgemeine projektbezogene oder institutionelle finanzielle Unterstützung, die Pflegesatzvereinbarung hingegen eine Grundlage für eine Kostenerstattung nach Maßgabe der Inanspruchnahme der Einrichtung oder des Dienstes. Denn der Förderanspruch gemäß § 74 ist nicht auf die institutionelle und projektbezogene Förderung nach Abs. 1 Satz 1 HS 2 beschränkt. Aufgegeben ist den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe vielmehr auch die Anregung der freiwilligen Tätigkeit auf dem Gebiet der Jugendhilfe gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 HS 1. Wenn also etwa eine Einrichtung institutionelle oder projektbezogene Förderung nicht erhalten hat, andererseits Bedarf für die Leistungsart besteht und das Angebot der Trägervielfalt entspricht, kann dies zu einer Ermessensreduzierung führen. In diesem Sinne stellt eine Pflegesatzvereinbarung also zugleich eine Förderung nach § 74 dar, auf die ein Anspruch des freien Trägers gegeben sein kann (so OVG Hamburg, FEVS 31 S. 404; OVG Lüneburg, FEVS 32 S. 282).

 

Rz. 28

Demgegenüber besteht kein Anspruch auf den Abschluss einer Vereinbarung allein deshalb, weil der Leistungsberechtigte einen Rechtsanspruch auf die Leistungserbringung hat. Eine § 78g entsprechende Bestimmung, wonach die Schiedsstelle den Weg zu einer Vereinbarung ebnet, sofern sich die Parteien nicht einigen können, enthält § 77 nämlich nicht (ebenso v. Boetticher/Münder, in: Münder u. a., FK-SGB VIII, § 77 Rz. 15).

2.7.4 Ermessenserwägungen

 

Rz. 29

Die Frage der Bedarfsdeckung darf der Träger der öffentlichen Jugendhilfe nicht in seine Erwägungen der Ermessensausübung einfließen lassen. Für bereits eingerichtete Einrichtungen und Dienste stünde dies im Widerspruch ...

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