0 Rechtsentwicklung

 

Rz. 1

Die Vorschrift wurde durch Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – KJSG) v. 3.6.2021 (BGBl. I S. 1444) mit Wirkung zum 10.6.2021 eingeführt.

1 Allgemeines

 

Rz. 2

Mit der Vorschrift verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, die Adressatinnen und Adressaten der Kinder- und Jugendhilfe gleichberechtigt und konsequent an Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Selbstorganisierte Zusammenschlüsse als fester Bestandteil der freien Jugendhilfe können diese Beteiligung und die diesbezügliche Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe ganz maßgeblich befördern. Die Tätigkeit nicht-staatlicher Organisationen und Initiativen (in Form von selbstorganisierten Zusammenschlüssen) wird vor Ort als besonders wirksam empfunden, insbesondere weil sie unmittelbar auf die Interessen Betroffener reagieren. Selbstorganisierte Zusammenschlüsse verfolgen damit den Zweck der Selbstvertretung. Selbstvertretung arbeitet meist bedarfsübergreifend mit politischem Anspruch und wird von den Betroffenen bestimmt. Das Normalisierungsprinzip, das Selbstbestimmt-Leben-Modell und das Empowerment-Konzept waren die prägenden Konzepte bei der Entstehungsgeschichte der Selbstvertretungsorganisationen (BT-Drs. 19/26107 S. 72).

2 Rechtspraxis

 

Rz. 3

Abs. 1 enthält eine Begriffsdefinition für selbstorganisierte Zusammenschlüsse im Sinne des SGB VIII. Gemeint sind selbstorganisierte (nicht-staatliche) Zusammenschlüsse Betroffener. Die Organisationsformen reichen von Mitbestimmung in Institutionen und Dienstleistungseinrichtungen bis hin zu autonomer politischer Lobbyarbeit im Gemeinwesen sowie Formen der Selbsthilfe. Die Aktivitäten werden von den Betroffenen bzw. (ehemaligen) Adressatinnen und Adressaten der Kinder- und Jugendhilfe bestimmt. Beispielhaft nennt die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 19/26107 S. 72) Zusammenschlüsse etwa von jungen Menschen, von sog. "Careleavern", von Eltern oder von Pflegeeltern, denen es darum geht, die Interessen der Adressatinnen und Adressaten der Kinder- und Jugendhilfe im Rahmen der Mitbestimmung in Einrichtungen und Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe oder im Rahmen gesellschaftlichen Engagements im Gemeinwesen auf politischer Ebene zu vertreten oder sich in der Selbsthilfe zu engagieren. Jugendverbände stellen eine besondere Form selbstorganisierter Zusammenschlüsse in diesem Sinne dar. Gemeint sind Zusammenschlüsse, die sich nicht nur vorübergehend zusammengefunden haben.

Nicht umfasst sind jedenfalls spontane Zusammenkünfte oder Initiativen oder Interessengruppen, die ohne ein festgelegte und nach außen erkennbare Organisation und vereinbarte bzw. abgestimmte Mitverantwortung zu bestimmten Themen im Gemeinwesen agieren.

 

Rz. 4

Abs. 2 formuliert den Auftrag an die öffentliche Jugendhilfe, mit den Zusammenschlüssen problemorientiert zu kooperieren und auf eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit der freien Jugendhilfe hinzuwirken, damit die "etablierten" bzw. "klassischen" Träger der freien Jugendhilfe mit den Zusammenschlüssen partnerschaftlich zusammenarbeiten. Die Stimme der Betroffenen soll gestärkt werden: Das betrifft sowohl die gesamtgesellschaftliche, die politische als auch die Ebene einzelner Einrichtungen bzw. Institutionen. Gemäß § 71 Abs. 2 sollen dem Jugendhilfeausschuss als beratende Mitglieder selbstorganisierte Zusammenschlüsse nach § 4a angehören.

 

Rz. 5

Abs. 3 stellt klar, dass die Förderung der freien Jugendhilfe sich auch auf die Zusammenschlüsse nach Abs. 1 bezieht. Die Finanzierung der Förderung ist in § 74 geregelt. § 37a Satz 5 normiert die Beratung und Unterstützung der Zusammenschlüsse von Pflegepersonen.

3 Literatur

 

Rz. 6

Beckmann/Lohse, SGB VIII-Reform: Überblick über den Entwurf eines Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes, JAmt 2021 S. 178;

Meysen, Stärkung von Kindern und Jugendlichen in Pflegefamilien und Einrichtungen – und mehr – Reform des SGB VIII mit dem Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – KJSG, FamRZ 2021 S. 401;

Ritscher, Systemische Kinder- und Jugendhilfe, Anregungen für die Praxis, 2011;

Struck, Wir brauchen ein stabiles Gerüst, Bessere Bedingungen für die Arbeit von Selbsthilfeorganisationen junger Adressatinnen der Kinder- und Jugendhilfe, Sozial extra 41 S. 27 (2017);

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