Rz. 40

§ 36a Abs. 3 Satz 2 sieht eine Ausnahme von der Kenntnisgabe vor der Selbstbeschaffung nach Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 vor. Der Leistungsempfänger behält ausnahmsweise seinen Anspruch auf Übernahme der erforderlichen Aufwendungen durch den Träger der öffentlichen Jugendhilfe, obwohl er den Träger nicht rechtzeitig über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat. Dies wird abhängig gemacht von 2 zusätzlichen Voraussetzungen:

  • die Kenntnisgabe muss unmöglich sein und
  • sie ist unverzüglich nach Wegfall des Hinderungsgrundes nachzuholen.

Die Ausnahme trägt dem Umstand Rechnung, dass ein Bedarf auch bereits vor Beantragung oder Kenntnisgabe dringenden und unaufschiebbaren Charakter haben kann. Der Anwendungsbereich ist jedoch eng, zumal § 36 a Abs. 2 für die ambulanten Hilfen eine Sonderregelung bereithält.

 

Rz. 41

Der Begriff der Unmöglichkeit und ihm folgend der Begriff des Hinderungsgrundes ist nicht gleichbedeutend mit dem Hindernis i. S. d. § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB X, der die Voraussetzungen der Wiedereinsetzung regelt und dem Hinderungsgrund i. S. d. § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III als spezialgesetzliche Ausgestaltung des § 27 SGB X (§ 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III meint als Hinderungsgrund z. B. die Unkenntnis des Insolvenzfalls). § 36 a Abs. 3 stellt im Gegensatz zu diesen Vorschriften nicht auf ein Verschulden oder ein Vertreten ab; die Unmöglichkeit ist rein tatsächlich im Sinne einer objektiven Unmöglichkeit zu verstehen. Objektiv unmöglich ist die Kenntnisgabe dann, wenn niemand in der Lage ist, den Jugendträger zu einem bestimmten Zeitpunkt in Kenntnis zu setzen. In Betracht kommt die Unmöglichkeit der Kenntnisgabe namentlich dann, wenn der Träger öffentlicher Jugendhilfe nicht erreichbar ist; sei es an Feiertagen, sei es am Wochenende.

 

Rz. 42

Die Unverzüglichkeit der nachträglichen Mitteilung ist negative Tatbestandsvoraussetzung. Versäumt der Leistungsberechtigte die nachträgliche Mitteilung ganz oder lässt er die Frist nach den Kriterien der Unverzüglichkeit verstreichen, scheidet ein Anspruch aus. Der Begriff unverzüglich ist in Anwendung des Rechtsgedankens des § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB auszulegen und fordert vom Betroffenen, sich ohne schuldhaftes Zögern zu melden (so zutreffend auch v. Koppenfels-Spies, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl. 2022, § 36a Rz. 56); das bedeutet regelmäßig sofort nach Wegfall des Hinderungsgrundes. Dem Betroffenen kommt keine angemessene Überlegungsfrist zugute; die sozialrechtliche Verpflichtung ist insoweit nicht vergleichbar mit der zivilrechtlich geprägten Situation des Anfechtungsrechts, in der dem Anfechtungsberechtigten das Prüfungsrecht zuzubilligen ist, ob er überhaupt von seinem rechtsvernichtenden Recht der Anfechtung Gebrauch machen will. Der Betroffene hat nach Wegfall des Hinderungsgrundes und damit regelmäßig am ersten Tag, an dem der Jugendhilfeträger wieder erreichbar ist, die Kenntnisgabe nachzuholen – nach einem Wochenende also montags, nach einem Feiertag am Folgetag. Diese Verpflichtung trifft den Betroffenen ausnahmsweise nicht, wenn er seinerseits unverschuldet diese Kenntnisgabe nicht unverzüglich nachholen kann. Ob ein schuldhaftes Zögern vorliegt, ist Frage des Einzelfalls; namentlich krankheitsbedingte Gründe kommen hier in Betracht. Die Sanktion Anspruchsverlust setzt aber trotz fehlender ausdrücklicher Regelung voraus, dass der Betroffene die Obliegenheitspflicht zur unverzüglichen nachträglichen Mitteilung kannte oder wenigstens verschuldet, also fahrlässig, nicht kannte (ein ähnlich gelagertes Problem stellt sich im Anwendungsbereich des § 37b SGB III; vgl. stellvertretend hierzu BSG, Urteil v. 25.5.2005, B 11a/11 AL 81/04 R).

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