Rz. 11

Ist eine Entscheidung nicht beschwerdefähig, wurde teilweise angenommen, dass sie u. U. dennoch mit der außerordentlichen Beschwerde wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit angegriffen werden kann (str. hierzu die Nachweise bei Lipp, NJW 2002 S. 1700, Fn. 2 und 3). Das sei dann zulässig, wenn die Entscheidung nach Meinung des an sich unstatthaft angerufenen Beschwerdegerichts grob fehlerhaft und durch einen "wirklichen Ausnahmefall krassen Unrechts" gekennzeichnet sei (BGH, Beschluss v. 1.10.1985,VI ZB 13/85, WM 1986 S. 178; Beschluss v. 4.3.1993, V ZB 5/93, NJW 1993 S. 1865). Ein Verstoß gegen die Grundsätze über das rechtliche Gehör reiche dazu regelmäßig nicht aus (vgl. BGH, Beschluss v. 1.10.1985 a. a. O.; Beschluss v. 16.4.1986, IVb ZB 14/86, NJW-RR 1986 S. 1263, 1264; BAG, Beschluss v. 19.1.1973, 2 AZR 551/72, NJW 1973 S. 870, 871; a. A. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 7.4.1987, 10 W 33/87, NJW-RR 1987 S. 1200), denn darin liege ein – wenn auch schwerer – Verfahrensfehler, der der Entscheidung weder die rechtliche Grundlage nehme noch sie ihrem Inhalt nach gesetzeswidrig mache. Die Entscheidung müsse mit der geltenden Rechtsordnung schlechthin unvereinbar sein, weil sie jeder rechtlichen Grundlage entbehre und dem Gesetz inhaltlich ersichtlich fremd sei (BGH, Beschluss v. 19.10.1989, III ZR 111/88, NJW 1990 S. 840; BGH, Beschluss v. 8.10.1992, VII ZB 3/92, NJW 1993 S. 135; LSG Berlin, Beschluss v. 14.5.2003, L 17 B 27/03 RA; LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 28.2.2008, 9 Ta 20/08; LAG Hessen, Beschluss v. 29.11.2007, 16 Ta 467/07).

 

Rz. 12

Nach der Neuregelung des Beschwerderechts durch das Zivilprozessreformgesetz vom 27.7.2001 (vgl. Kommentierung vor § 172 Rz. 4 ff.) kann der BGH gegen Beschlüsse der Beschwerdegerichte nur in den Fällen des § 574 Abs. 1 ZPO angerufen werden. Ein außerordentliches Rechtsmittel zum BGH soll deswegen auch dann nicht statthaft sein, wenn die Entscheidung ein Verfahrensgrundrecht des Beschwerdeführers verletze oder aus sonstigen Gründen "greifbar gesetzwidrig" sei; in diesem Fall könne die angefochtene Entscheidung nur durch das Gericht, das sie erlassen habe, auf (fristgebundene) Gegenvorstellung korrigiert werden (vgl. BGH, Beschluss v. 7.3.2002, IX ZB 11/02, NJW 2002 S. 1577; BFH, Beschluss v. 29.1.2003, I B 114/02, NJW 2003 S. 1344; BGH, Beschluss v. 23.7.2003, XII ZB 91/03, NJW 2003 S. 3137; Lipp, NJW 2002 S. 1700; Greger, NJW 2002 S. 3049). Dem ist zu folgen (vgl. aber vor § 143 Rz. 2b zur Frage, ob und inwieweit eine Gegenvorstellung statthaft ist). Mit den seinerzeitigen Neuregelungen (§§ 321a und 572 Abs. 1, § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) hat der Gesetzgeber eine Systementscheidung getroffen, wonach dasjenige Gericht gegebenenfalls für Abhilfe zu sorgen hat, dem der Fehler unterlaufen ist. Der Rechtsgedanke, dass eine erforderliche Selbstkorrektur, soweit sie nicht innerhalb des allgemeinen Rechtsmittelzugs geleistet werden kann, dem Gericht obliegt, dem der Rechtsverstoß zur Last fällt, hat inzwischen für Fälle der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör auch im Verwaltungsprozessrecht normativen Ausdruck gefunden (§ 152a VwGO, § 178a SGG). Diese Rechtslage schließt es aus, ein gesetzlich nicht vorgesehenes Rechtsmittel zum Bundesverwaltungsgericht zuzulassen (so BVerwG, Beschluss v. 29.10.2007, 7 B 54/07, 7 B 39/07; vgl. auch BVerwG, Beschluss v. 16.5.2002, 6 B 28/02, 6 B 29/02, NJW 2002 S. 2657).

 

Rz. 13

Das BVerfG hat durch Beschluss v. 30.4.2003 (1 PBvU 1/02, NJW 2003 S. 1924) festgestellt, dass die fachgerichtlichen Verfahrensordnungen Regelungen zur Prüfung gerichtlicher Entscheidungen auf Einhaltung des Gebots rechtlichen Gehörs haben müssen. Eine solche Prüfung könne nicht der Verfassungsbeschwerde oder eher zufälligen Zulassung eines außerordentlichen Rechtsmittels überlassen bleiben. Dem Gesetzgeber ist aufgegeben worden, bis zum 31.12.2004 eine Regelung zu schaffen, mittels derer an sich abgeschlossene rechtskräftige Gerichtsentscheidungen überprüft werden können, wenn geltend gemacht wird, das Gebot rechtlichen Gehörs sei verletzt worden. Das ist mit der Schaffung der Anhörungsrüge geschehen (hierzu Frehse, SGb 2005 S. 265). Auf die Kommentierung zu § 178a wird verwiesen.

 

Rz. 14

Im Anschluss hieran scheint sich bei den obersten Bundesgerichten die Auffassung durchzusetzen, dass seither eine außerordentliche Beschwerde generell unstatthaft ist, weil dieses Institut dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtsmittelklarheit. widerspricht (vgl. BGH, Beschluss v. 27.2.2008, V ZB 16/08; Beschluss v. 23.1.2008, XII ZB 209/06, MDR 2008 S. 568; Beschluss v. 7.8.2007, 3 B 43/07; BSG, Beschluss v. 6.2.2008, B 6 KA 61/07 B; BSG, Beschluss v. 7.4.2005, B 1 KR 5/04 S; BGH, Beschluss v. 23.1.2008, XII ZB 209/06; BVerwG, Beschluss v. 29.10.2007, 7 B 54/07; BVerwG, Beschluss v. 8.10.2007, 5 B 190/07; Beschluss v. 5.10.2004, 2 B 90/04, NVwZ 2005 S. 232; BFH, Beschluss v. 2.11.2007, VII B 175/07; Beschluss v. 19.12.2007, III S 33/07; Lipp, NJW 2002 S. 1700; zur Gegenvorst...

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