2.2.2.1 Vollbeweis

 

Rz. 4

Beweispflichtige Tatsachen bedürfen grundsätzlich des Vollbeweises. Eine absolute Gewissheit ist regelmäßig nicht möglich und auch nicht erforderlich (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 128 Rn. 3b). In der Regel verlangt das Gesetz für den Beweis die an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSGE 45 S. 285; BSG, USK 8985). Eine Tatsache ist danach bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falls nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (BSG, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 128 Rn. 3b m. w. N.). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei voller Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (vgl. BSG, Urteil v. 24.11.2010, B 11 AL 35/09 R). Strengere Anforderungen stellte z. B. § 93 RKG, wo es darauf ankam, ob der Beweis so stark und zwingend ist, dass jeder Zweifel auszuschließen und eine andere Beweiswürdigung nicht vertretbar ist (BSG, MittLVA Oberfr. 1980 S. 265).

2.2.2.2 Wahrscheinlichkeit

 

Rz. 5

Gegenüber dem Vollbeweis räumen bestimmte gesetzliche Vorschriften dem Anspruchsberechtigten ausdrücklich Milderungen der Beweisanforderungen ein. So begnügt sich der Gesetzgeber etwa in § 1 Abs. 3 BVG (und in Parallelbestimmungen des sozialen Entschädigungsrechts) für den Nachweis des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Schädigung und einer Gesundheitsstörung als Schädigungsfolge mit dem Beweisgrad der (hinreichenden) Wahrscheinlichkeit. Wahrscheinlichkeit in diesem Sinn ist dann gegeben, wenn nach der geltenden ärztlichen wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (BSG, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4 m. w. N.). Wahrscheinlich ist nach anderer Definition diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden (BSGE 45 S. 9 ff.; BSGE 45 S. 285, 287). Wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung anerkannt werden; die Zustimmung kann allgemein erteilt werden (§ 1 Abs. 3 Satz 2 BVG, sog. Kannversorgung).

2.2.2.3 Glaubhaftmachung

 

Rz. 6

Bei der Glaubhaftmachung handelt es sich um den mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts (BSG, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4). Außer im sozialen Entschädigungsrecht (Beispiele dazu in der o. g. Entscheidung des BSG) lassen auch das Fremdrentenrecht und das Recht der Wiedergutmachung die Glaubhaftmachung bestimmter Tatsachen ausreichen. Die Glaubhaftmachung genügt z. B. auch nach § 27 Abs. 2 Satz 2 SGB X (Wiedereinsetzung) oder für die Angaben im PKH-Verfahren (§ 118 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO) und ist im Verfahren wegen einstweiligen Rechtsschutzes nach § 86b erforderlich (vgl. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO). Nach § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB X, § 4 Fremdrentengesetz und § 3 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung ist eine Tatsache glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Gesamtergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken soll, überwiegend wahrscheinlich ist.

Glaubhaftmachung bedeutet also das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, d. h. der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSGE 45 S. 9 ff.; vgl. auch BSG, SozR 5070 § 3 Nr. 1). Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung sind damit grundsätzlich niedriger als diejenigen an die Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, USK 8825; BSG, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4), denn für die Wahrscheinlichkeit wird ein "deutliches" Übergewicht für die in Betracht kommende Möglichkeit gefordert und es entfällt die Wahrscheinlichkeit bei (ernsten) Zweifeln hinsichtlich einer anderen Möglichkeit, während für die Glaubhaftmachung ("gewisse") Zweifel unschädlich sind.

Der Beweismaßstab der Glaubhaftmachung ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, d. h. es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten, das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkei...

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