2.1.1 Abwendung geplanter Straftaten (Nr. 1)

 

Rz. 8

Die Straftaten, die eine Datenübermittlung nach § 71 zur Erfüllung einer besonderen gesetzlichen Pflicht zulässig machen, sind in § 138 Abs. 1 und 2 StGB abschließend aufgeführt. Eine Erweiterung des dortigen Katalogs auf ähnlich gefährliche Delikte ist unzulässig (vgl. Analogieverbot, Rz. 4).

 

Rz. 9

Es ist in der Praxis eher unwahrscheinlich, dass der Sozialleistungsträger im Zusammenhang mit einem Verwaltungsverfahren davon Kenntnis erhält, dass eine der in § 138 StGB genannten Straftaten tatsächlich geplant oder in Ausführung ist und durch eine Anzeige abgewendet werden kann. Nur dann jedoch besteht eine Anzeigepflicht. In Zweifelsfällen rangiert jedoch die Anzeige vor dem Sozialgeheimnis. Der Mitarbeiter der Stelle nach § 35 SGB I ist persönlich verpflichtet. Leichtfertiges Unterlassen der Anzeige hat strafrechtliche Konsequenzen gemäß § 138 Abs. 3 StGB.

 

Rz. 10

Ist eine zuständige Behörde bereits über eine geplante Straftat i. S. d. § 138 StGB informiert und stellt sie in diesem Zusammenhang weitere Ermittlungen an, können diese Auskunftsersuchen nicht auf § 71, sondern nur auf die §§ 68, 72 oder 73 gestützt werden. Die in diesen Vorschriften genannten besonderen Anforderungen sind zu beachten.

2.1.2 Schutz der öffentlichen Gesundheit (Nr. 2)

 

Rz. 11

Nr. 2 verweist auf § 8 IfSG, der die zur Meldung verpflichteten Personen benennt. Gleichzeitig verknüpft er diese Personen mit den Fällen, in denen Meldungen zu erfolgen haben, indem er auf die §§ 6 und 7 IfSG verweist. § 6 IfSG umfasst die meldepflichtigen Krankheiten. Hier handelt es sich um Akuterkrankungen, die der sofortigen ärztlichen Behandlung bedürfen. In diesen Fällen dürfte die erforderliche Meldung regelmäßig von den erstbehandelnden Ärzten abzugeben sein. Die in § 35 SGB I genannten Stellen dürften von dieser Meldepflicht daher nur in seltenen Ausnahmefällen betroffen sein.

 

Rz. 12

Auch die Fälle von meldepflichtigen Nachweisen von Krankheitserregern nach § 7 IfSG dürften in der Praxis der Sozialleistungsträger kaum eine Rolle spielen. Die dort genannten Krankheitserreger, deren Nachweis zu melden wäre, werden regelmäßig von Laborärzten festgestellt, die dann zur Meldung verpflichtet sind. Bei den Stellen nach § 35 SGB I werden vornehmlich deren angestellte Ärzte, sonstige behandelnde Personen und Pflegekräfte von Abs. 1 Nr. 2 berührt. Dies insbesondere in eigenen Krankenhäusern und Rehabilitationseinrichtungen, aber auch beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen.

 

Rz. 13

Liegen die Voraussetzungen des § 8 IfSG vor, ist die in § 35 SGB I genannte Stelle zur Datenübermittlung verpflichtet. Eine Weitergabe ist dann auch gegen den Willen der betroffenen Person zulässig.

2.1.3 Sicherung des Steueraufkommens (Nr. 3)

 

Rz. 14

Die Nr. 3 des Abs. 1 dürfte in der Praxis der Sozialleistungsträger, hier insbesondere bei den Rentenversicherungsträgern, die größte Rolle spielen. Hier ist eine zulässige Datenübermittlung zur Sicherung des Steueraufkommens nach § 22a Abs. 4 und nach § 32b Abs. 3 EStG und den §§ 93, 97, 105, § 111 Abs. 1 und 5 und nach § 116 Abgabenordnung (AO) geregelt.

  • Während es bei den in Nr. 3 genannten Vorschriften der AO im Wesentlichen um die Ermittlung steuerrechtlicher Sachverhalte einzelner Steuerpflichtiger geht, lässt der Verweis auf § 22a Abs. 4 EStG eine Übermittlung von Sozialdaten zu, um zu kontrollieren, ob die Träger der Rentenversicherung ihre Verpflichtung zur Meldung von Daten nach § 22a Abs. 1 EStG (Rentenbezugsmitteilung) erfüllt haben.
  • Der Verweis auf § 32b Abs. 3 EStG lässt die Übermittlung von Sozialdaten zu, damit die Sozialleistungsträger ihrer Verpflichtung zur jährlichen Meldung von Daten über die gewährten Leistungen sowie die Dauer des Leistungsbezugs gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 1 EStG entsprechen können.
  • Nach § 93 AO haben neben den Beteiligten, damit sind hauptsächlich die Steuerpflichtigen gemeint, auch bestimmte Stellen, zu denen auch die Stellen nach § 35 SGB I gehören, den Finanzbehörden die zur Feststellung eines für die Besteuerung erheblichen Sachverhalts erforderlichen Auskünfte zu erteilen.
  • § 97 AO erstreckt diese Verpflichtung auch auf die Vorlage von Urkunden. Jedoch finden beide Bestimmungen erst dann Anwendung, wenn eine Sachverhaltsaufklärung durch die Beteiligten nicht zum Ziele führt oder keinen Erfolg verspricht. Die Finanzbehörden müssen daher in ihren Auskunftsersuchen gegenüber den Sozialleistungsträgern vermerken, dass eine sachgerechte Aufklärung durch die Beteiligten nicht möglich war.
  • § 105 AO hebt die besonderen Verschwiegenheitspflichten, denen die Behörden und sonstigen öffentlichen Stellen unterliegen, wie etwa nach § 203 StGB oder nach § 35 SGB I, gegenüber den Finanzbehörden auf.
  • § 111 AO regelt die Amtshilfeverpflichtung zur Durchführung der Besteuerung.
  • § 116 AO schließlich verpflichtet Gerichte und Behörden, die Finanzämter über Tatsachen zu informieren, welche ihnen dienstlich zur Kenntnis gelangen und die den Verdacht einer Steuerstraftat begründen. Die bloße Vermutung reicht jedoch nicht.
 
Praxis-Beispiel

Erhält eine Stelle nach § 35 SGB I Kenntnis darüber, dass der Bezieher ein...

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