Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 1301. arbeitstechnische Voraussetzung. Einwirkung (human-)kanzerogener aromatischer Amine. Nachweis im Vollbeweis. Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 2402. haftungsbegründende Kausalität. hinreichende Wahrscheinlichkeit. epidemiologischer Nachweis: Risikoverdoppelung. Harnblasenkrebs. ionisierende Strahlung. Wie-Berufskrankheit gem § 9 Abs 2 iVm Abs 1 S 2 SGB 7. neue Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft. Flugingenieur und Flugkapitän

 

Leitsatz (amtlich)

Es gibt weder Studien über das Auftreten von Harnblasenkrebs nach Einwirkung einer bestimmten Strahlendosis noch ist eine Schwellendosis bekannt, unterhalb der das Krebsrisiko ausgeschlossen werden kann. Durch ionisierende Strahlung induzierte Krebserkrankungen lassen sich weder im klinischen Erscheinungsbild noch in histologischen, zytologischen oder molekularen Parametern von spontanen Erkrankungen unterscheiden. Erforderlich ist daher der epidemiologische Nachweis einer sog Risikoverdoppelung für die Verursachung der Krebserkrankung in Verbindung mit nach Art, Intensität und Dauer sowie sonstiger Rahmenbedingungen exakt beschriebener Expositionsverhältnisse. Das Abstellen auf die Verdopplungsdosis erscheint in den Fällen, in denen der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand keine Dosis-Wirkung-Beziehung benennen kann und auch keine arbeitsmedizinischen Kriterien zur Abgrenzung der durch die Einwirkung verursachten und veranlagungsbedingt entstandenen Erkrankungen vorhanden sind, die einzige Möglichkeit, eine hinreichend wahrscheinliche Verursachung der Erkrankung durch die Einwirkung dogmatisch zu begründen.

 

Orientierungssatz

1. Zur Nichtanerkennung eines Harnblasentumors eines Flugkapitäns weder als Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 1301 mangels Vorliegens der arbeitstechnischen Voraussetzungen noch als Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 2402 mangels Vorliegens der haftungsbegründenden Kausalität.

2. Derzeit liegen keine gesicherten medizinisch-wissenschaftlichen oder epidemiologischen Erkenntnisse in Bezug auf den Zusammenhang zwischen einer etwaigen Exposition von fliegendem Personal gegenüber UV-Strahlung, Turbinenöl bzw dessen Pyrolyseprodukten, Desinfektionsmitteln oder Aerosolen bzw einem Gemisch aus diesen Schadstoffen, ggf auch im Zusammenspiel mit einer Strahlenexposition und einer Harnblasenkrebserkrankung vor, so dass auch eine Anerkennung als Wie-Berufskrankheit gem § 9 Abs 2 iVm Abs 1 S 2 SGB 7 ausscheidet.

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 14. August 2018 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Anerkennung seiner Harnblasenkrebserkrankung als Berufskrankheit (BK) der Nr. 2402 oder 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) oder als sog. Wie-Berufskrankheit (Wie-BK) nach § 9 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII).

Der 1942 geborene Kläger beantragte bei der BG Verkehr, der Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden einheitlich: Beklagte), mit Schreiben vom 4. Januar 2010 die Anerkennung einer Berufskrankheit. Bei ihm sei ein Blasenkarzinom festgestellt worden, das nach Aussage seines Urologen eindeutig im Bereich seines beruflichen Umfeldes anzusiedeln sei, da er in den mehr als 36 Jahren seiner Tätigkeit als Flugingenieur und Flugkapitän ganz besonders der Einwirkung von Aerosolen (durch die Kabinenluft) und Strahlung durch kosmische Höhenstrahlung ausgesetzt gewesen sei. Die Beklagte leitete daraufhin ein Verfahren zur Prüfung der Berufskrankheiten nach den Nrn. 1301, 1307 und 2402 der BKV ein.

Im Rahmen der medizinischen Sachermittlungen von Amts wegen zog sie ein Vorerkrankungsverzeichnis der Techniker Krankenkasse vom 16. Februar 2010 sowie Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers (Herr C., Internist, vom 12. Februar 2010; Herr D., Facharzt für Urologie, vom 11. März 2010) sowie Arztbriefe des Krankenhauses Nordwest über die stationären Aufenthalte des Klägers dort vom 20. Januar 2010 bis 23. Januar 2010 und vom 26. Januar 2010 bis 28. Januar 2010 (Klinik für Urologie und Kinderurologie, Prof. Dr. Dr. E. vom 20. Januar 2010 und 26. Januar 2010) bei. Über das Blasenkarzinom hinaus findet sich dort auch die Diagnose eines Prostatakarzinoms.

Unter dem 20. April 2010 legte der Geschäftsbereich Prävention (Herr F.) eine Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition vor. Danach war der Kläger vom 1. April 1965 bis 31. März 2002 als Flugingenieur und Pilot bei der G. AG und dem H-flugdienst tätig. Kontakte zu aromatischen Aminen habe es bei dieser Tätigkeit nicht gegeben, weshalb eine Gefährdung im Sinne der BK Nr. 1301 ausgeschlossen werde. Zwar könne es kurzfristig zur Inhalation von Aerosolen während des Fluges gekommen sein, z. B. wenn Desinfektionsmittel ausgebracht würden. Darüber hinaus könne es akzidentiell zum Eintrag von geringen Turbinenölen bzw. Pyrol...

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