Entscheidungsstichwort (Thema)

Rente wegen Todes aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Witwenrente. widerlegbare Vermutung. Versorgungsehe. kurze Ehedauer. Versorgungsabsicht. lebensbedrohliche Krankheit mit ungünstiger Verlaufsprognose. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Der Ausschluss von Hinterbliebenenversorgung bei einer sog Versorgungsehe ist in Ansehung des durch Art 6 Abs 1 GG garantierten besonderen Schutzes der Ehe verfassungsgemäß (vgl BSG vom 23.9.1997 - 2 BU 176/97). Darüber hinaus verstößt die Vorschrift des § 46 Abs 2a SGB 6 im Übrigen auch nicht gegen den allgemeinen oder einen speziellen Gleichheitssatz des Art 3 GG (vgl BSG vom 5.5.2009 - B 13 R 53/08 R = BSGE 103, 91 = SozR 4-2600 § 46 Nr 5).

2. Zur Widerlegung der gesetzlichen Vermutung einer Versorgungsehe iS des § 46 Abs 2a SGB 6, wenn der verstorbene Versicherte an einer lebensbedrohlichen Erkrankung mit ungünstiger Verlaufsprognose gelitten hat.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 08.06.2021; Aktenzeichen B 13 R 205/20 B)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 6. Dezember 2016 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander in beiden Instanzen keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Witwenrente.

Die im Jahr 1961 geborene Klägerin ist die Witwe des im Jahr 1953 geborenen und 2012 verstorbenen D. A. (Versicherter). Die Klägerin und der Versicherte lebten fast 30 Jahre in einem gemeinsamen Haushalt in eheähnlicher Gemeinschaft, aus der zwei Töchter hervorgegangen sind. Eine erste Ehe des Versicherten war 1983 geschieden worden. Zuletzt bezogen der Versicherte und die Klägerin als Teil einer Bedarfsgemeinschaft Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II).

Der Versicherte litt an Diabetes mellitus bei Adipositas und stand in regelmäßiger ambulanter Behandlung. Nachdem sich sein Gesundheitszustand verschlechtert hatte, wurde der Versicherte am 31. Januar 2012 wegen einer schmerzlosen Gelbsucht stationär im Kreiskrankenhaus B. in H. aufgenommen. Dort wurde ein Bauchspeicheldrüsenkopfkarzinom festgestellt, das am 7. Februar 2012 operativ behandelt wurde. Dabei wurde ein fortgeschrittenes bösartiges Tumorleiden der Bauchspeicheldrüse mit Infiltration in die Wand des Zwölffingerdarms, in die Wand der Pfortader und in den linken Leberlappen sowie Lebermetastasen festgestellt. 18 von 45 operativ entfernten Lymphknoten im Bereich der Bauchspeicheldrüse enthielten bösartige Tumorzellen. Am 22. Februar 2012 wurde der Versicherte in die ambulante Behandlung entlassen und für den 6. März 2012 war der Beginn einer palliativen Chemotherapie vorgesehen.

Am 27. Februar 2012 meldeten die Klägerin und der Versicherte die Eheschließung beim Standesamt A-Stadt an. Die Ehe wurde am Folgetag, den 28. Februar 2012, im Standesamt A-Stadt geschlossen. Ab dem 6. März 2012 wurde beim Versicherten eine palliative Chemotherapie durchgeführt. Am 2. Oktober 2012 verstarb der Versicherte.

Am 19. Oktober 2012 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Witwenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes. Die Klägerin gab im Rahmen des Rentenantrags an, bereits seit ca. 30 Jahren in einem eheähnlichen Verhältnis und einem gemeinsamen Haushalt mit dem Versicherten gelebt zu haben, und legte entsprechende Meldebescheinigungen des Einwohnermeldeamtes der Gemeinde A-Stadt - bei der sie zu diesem Zeitpunkt beschäftigt war - vor. Sie habe zwei gemeinsame Töchter mit dem Versicherten, geboren im Januar 1984 und im November 1993.

Mit Bescheid vom 9. November 2012 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Witwenrente nach § 46 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch (SGB VI) mit der Begründung ab, ausgehend vom Tag der Eheschließung am 28. Februar 2012 habe die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert, so dass die gesetzliche Vermutung einer sog. „Versorgungsehe“ nach §§ 46 Abs. 2a, 242a Abs. 3 SGB VI greife. Diese Vermutung sei nicht widerlegt worden, u.a. nicht durch die Tatsache, dass die Klägerin vor Eheschließung 30 Jahre mit dem Versicherten in eheähnlicher Gemeinschaft zusammengelebt habe. Anhaltspunkte für besondere Umstände zur Widerlegung der gesetzlichen Vermutung seien nicht erkennbar. Der Antrag auf Witwenrente sei daher abzulehnen.

Hiergegen legte die Klägerin am 30. November 2012 Widerspruch ein und trug vor, der Versicherte habe ihr anlässlich ihres 50. Geburtstags am 4. August 2011 im Rahmen einer größeren Familienfeier einen Heiratsantrag gemacht. Grund der Heirat seien die gemeinsamen Kinder und Enkelkinder gewesen. Die Hochzeit habe noch im Jahr 2011 stattfinden sollen. Da jedoch kein gemeinsamer Termin mit der Familie gefunden werden konnte, sei die Hochzeit für Anfang Februar 2012 geplant gewesen. Wegen der Erkrankung des Versicherten sei die Hochzeit nochmals zurückgestellt worden. Die Eheringe seien Mitte Januar 2012 ausgesucht worden. ...

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