Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an den Nachweis einer Verschlimmerung nach dem OEG anerkannter Schädigungsfolgen

 

Orientierungssatz

1. Voraussetzung für die Feststellung von Schädigungsfolgen bzw. die deren Verschlimmerung gemäß § 1 OEG ist, dass der Antragsteller an Gesundheitsstörungen leidet, die rechtlich wesentlich durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff verursacht worden sind.

2. Als Schädigungsfolgen bzw. deren Verschlimmerung sind dabei aber nur solche nachgewiesenen Gesundheitsstörungen anzuerkennen, die wenigstens mit Wahrscheinlichkeit durch das schädigende Ereignis verursacht worden sind.

3. Bei einer geltend gemachten weiteren Verschlechterung sowohl i. S. der Entstehung als auch i. S. der Verschlimmerung anerkannter Gesundheitsstörungen ist jeweils zu prüfen, ob die Leidenszunahme noch auf die Schädigung zurückzuführen ist. Der ursächliche Zusammenhang dieser Weiterentwicklung muss bei jeder weiteren Zunahme des Krankheitswertes neu beurteilt werden.

4. Zur Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsstörung als Schädigungsfolge ist der Nachweis einer unmittelbar lebensbedrohlichen oder einer vergleichbaren Situation erforderlich, die bei nahezu jeder Person Entsetzen und eine große Verzweiflung hervorrufen würde.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 08.05.2017; Aktenzeichen B 9 V 78/16 B)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 6. März 2012 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Grades der Schädigung (GdS) nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz - OEG -) i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Der 1964 geborene Kläger stellte am 16. Januar 2002 bei dem Beklagten einen Antrag auf Beschädigtenversorgung wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz durch den ehemaligen Arbeitskollegen E. im Zeitraum von Oktober 2000 bis Januar 2001 und legte ein Gutachten des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 30. August 2001 vor. Der Beklagte zog die Akte 8020 Js 21824/01 von der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Darmstadt, die Akte des Hessischen Amtes für Versorgung und Soziales Darmstadt, einen Befundbericht des Arztes für Neurologie und Psychotherapie G. vom 3. Juli 2003 und einen Rehabilitationsentlassungsbericht aus der Fachklinik am H., W.-M..., vom 4. Juni 2002 bei. Als Entlassungsdiagnosen wurden dort eine posttraumatische Belastungsstörung, eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung mit anankastischen Anteilen, undifferenzierte Somatisierungsstörungen wie Unruhe, Schlafstörungen und Rückenverspannungen, ein Tranquilizerabusus und ein Wirbelsäulensyndrom mit Lumboischialgie genannt. In der sozialmedizinischen Epikrise wurde zudem ausgeführt, dass die Diagnosen aus der Sicht der Klinik in engem Zusammenhang mit einer massiven Identitätsverunsicherung in der Kindheit, die in der Folge eine anankastische Entwicklungsstörung mit sich gebracht habe, stünden. In den Verwaltungsakten befindet sich ein Attest von Dr. F., Facharzt für Allgemeinmedizin, vom 18. August 2003, wonach sich der Kläger wegen reaktiver Depression vom 21. Dezember 1998 bis 11. Januar 1999 in seiner Behandlung befunden habe, ein nervenärztliches Gutachten für das Arbeitsamt Darmstadt von Dr. H. vom 21. Oktober 2002 und Arztbriefe bzw. ein ärztliches Attest des Arztes für Neurologie und Psychotherapie G. vom 8. Mai 2003, vom 3. Juli 2003 und vom 4. November 2003. Der Beklagte veranlasste sodann ein nervenärztliches Gutachten bei Dr. J. vom 27. November 2003. Dr. J. diagnostizierte als Schädigungsfolgen eine Anpassungsstörung mit Angst und depressiver Reaktion gemischt nach sexueller Belästigung und Gewaltandrohung am Arbeitsplatz, die eine MdE von 40 bedinge. Als Nichtschädigungsfolgen läge bei dem Kläger eine asthenische und ängstliche Persönlichkeit mit Verdacht auf eine zusätzliche Überlagerung durch eine frühkindliche Hirnschädigung vor, für die einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 angenommen werden könne. Mit Bescheid vom 9. Januar 2004 erkannte der Beklagte den Anspruch des Klägers auf Beschädigtenversorgung ab dem 1. Januar 2001 mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 40 an. Die Gesundheitsstörung "Anpassungsstörung mit Angst und depressiver Reaktion gemischt nach sexueller Belästigung und Gewaltandrohung am Arbeitsplatz" sei hervorgerufen durch schädigende Einwirkungen im Sinne des OEG. Hiergegen erhob der Kläger am 10. Februar 2004 mit der Begründung Widerspruch, dass die festgestellte MdE zu niedrig sei, da bei ihm schwere bzw. zumindest mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten vorlägen, was die Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung durch die Rentenversicherung belege. Mit Widerspruchsbescheid vom 6. Mai 2004 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.

In dem sich anschließenden Klagever...

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