Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Beitragsbemessung freiwillig versicherter Mitglieder. Bezug von Geldleistungen zur Erziehung eines Pflegekindes. Erziehungsbeitrag. Beitragspflicht. Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler sind hinreichende Rechtsgrundlage für Beitragsfestsetzung

 

Leitsatz (amtlich)

Der im Pflegegeld nach § 39 Abs 1 SGB 8 enthaltene Beitrag für die Pflege und Erziehung eines Kindes oder Jugendlichen (sog Erziehungsbeitrag) ist als beitragspflichtiges Einkommen in voller Höhe bei der Beitragsbemessung zu berücksichtigen.

 

Orientierungssatz

Die "Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler" des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen sind als untergesetzliche Normen für sich genommen ab 1.1.2009 eine hinreichende Rechtsgrundlage für die Beitragsfestsetzung gegenüber freiwillig Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung (Anschluss an BSG vom 19.12.2012 - B 12 KR 20/11 R = SozR 4-2500 § 240 Nr 17).

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 18. Juli 2012 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Beiträge zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung.

Die 1958 geborene Klägerin betreut seit 1994 die Pflegekinder CW. und DW. gemäß § 33 Sozialgesetzbuch Achtes Buch - Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII).

Das ursprünglich zuständige Jugendamt Friedrichshain-Kreuzberg stellte einen besonderen Förderbedarf der Kinder fest und bewilligte entsprechend der in Berlin gültigen Verwaltungsvorschriften zuletzt mit Bescheiden vom 21. November 2006 (Blätter 112 und 120 der Gerichtsakte) ein monatliches Pflegegeld, das sich aus einem Grundbetrag für materielle Aufwendungen in Höhe von 670,00 € für CW. und in Höhe von 492,00 € für DW. und einem Erziehungsbeitrag in Höhe von jeweils 959,00 € zusammensetzte.

Nach einem Umzug der Klägerin nach A-Stadt (Hessen) ging zum 1. Mai 2007 die Zuständigkeit auf das Jugendamt des Landkreises Wetterau über. Mit Bescheiden vom 25. April 2007, 10. Mai 2007 und 25. Oktober 2007 (Blätter 123-129 der Gerichtsakte) und fortlaufend bewilligte das Jugendamt des Landkreises Wetterau entsprechend einer Zusicherung des Jugendamtes Friedrichshain-Kreuzberg vom 3. Mai 2007 (Blatt 103 der Gerichtsakte) Pflegegeld in der bisherigen Höhe; insbesondere wurde weiterhin der Erziehungsbeitrag in Höhe von jeweils 959,00 € an die Klägerin ausgezahlt. Die Stadt Berlin erstattet bis heute die vom Kreis Wetterau zugunsten der Klägerin erbrachten Pflegegeldleistungen in voller Höhe.

Die Klägerin beantragte im Januar 2009 die Aufnahme in die freiwillige Kranken- und Pflegeversicherung im Anschluss an ihre Ehescheidung. In ihrer Einkommenserklärung vom 2. Februar 2009 verneinte sie ein eigenes Einkommen. Zeitgleich legte sie eine Bescheinigung des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg vom 24. April 2007 vor, aus der hervorging, dass die Pflegekinder CW. und DW. dauerhaft im Haushalt der Klägerin leben.

Mit Bescheid vom 25. Februar 2009 stellte die Beklagte die freiwillige Mitgliedschaft rückwirkend ab 29. Oktober 2008, der Rechtskraft des Scheidungsurteils fest, und berücksichtigte als beitragspflichtiges Einkommen die gesetzlich festgelegte Mindestbeitragsbemessungsgrenze. Der Krankenversicherungsbeitrag wurde auf 120,11 € festgesetzt; der Pflegeversicherungsbeitrag betrug 16,15 €.

Mit nachfolgenden Beitragsbescheiden vom 13. Januar 2010, 12. Februar 2010 und 4. Januar 2011 wurden die Beiträge - zuletzt mit Wirkung ab 1. Januar 2011 - angepasst; Bemessungsgrundlage blieb die Mindesteinnahmegrenze. In ihren Einkommenserklärungen vom 10. Februar 2010 und vom 12. Januar 2011 verwies die Klägerin jeweils darauf, dass sie ausschließlich das Pflegegeld für zwei Pflegekinder erhalte. Sie legte ergänzend am 22. Februar 2011 den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2009 vor, der keine Einkünfte aufwies. In der dem Steuerbescheid beigefügten Aufstellung der Pflegegeldzahlungen waren die Erziehungsbeiträge in Höhe von jeweils 959,00 € sowie die Grundbeträge für den Sachaufwand bzw. sonstige Beihilfen aufgelistet.

Die Beklagte hob daraufhin mit Bescheid vom 22. Februar 2011 den Beitragsbescheid vom 4. Januar 2011 auf und setzte - auch im Namen der beigeladenen Pflegekasse - die Beiträge ab 1. Februar 2011 unter Berücksichtigung eines monatlichen Einkommens in Form der Erziehungsbeiträge in Höhe von insgesamt 1.918,- € (959,00 € pro Kind) fest. Der Beitrag zur Krankenversicherung betrug nunmehr 285,78 €, zur Pflegeversicherung 37,40 €. Die Klägerin widersprach dem Bescheid mit Schreiben vom 4. März 2011. Sie erziele keinen Gewinn aus selbstständiger Tätigkeit wie auch aus dem Steuerbescheid hervorgehe. Mit Schreiben vom 16. Mai 2011 wies sie ergänzend darauf hin, dass das Bundessozialgericht (BSG) den Erziehungsbeitrag gemäß § 39 SGB VIII in einem Urteil vom 29. März 2007 (B 7b AS 12/06 R) als eine zweckbestimmte Einnahme ansehe, ...

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