Verfahrensgang

SG Wiesbaden (Urteil vom 16.12.1997; Aktenzeichen S 2 P 439/96)

 

Tenor

  • Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 16. Dezember 1997 wird zurückgewiesen.
  • Die Beklagte hat dem Kläger die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten beider Instanzen zu erstatten.

    Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

  • Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um Pflegegeld nach der Pflegestufe I ab April 1995.

Der 1964 geborene Kläger ist bei der Beklagten pflegeversichert. Er ist von Geburt an wegen eines sogenannten Down-Syndroms (früher: Mongolismus) behindert. Wegen dieser Behinderung ist er als Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100 anerkannt und die Nachteilsausgleiche “B…”, “G…”, “H…” und “RF…” sind zuerkannt. Er bezieht Pflegegeld wegen erheblicher Pflegebedürftigkeit nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) von der Beigeladenen seit 1984. Er besucht eine Behindertenwerkstatt. Seit dem Tod der Mutter am 31. August 1996 lebt er mit seiner Schwester, M… A… (Pflegeperson), die zur Betreuerin bestellt worden ist, zusammen.

Am 20. Februar 1995 beantragte er Pflegegeld bei der Beklagten. Der Kläger wurde daraufhin am 25. April 1995 vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK), von einem externen Gutachter untersucht. Dieser bestätigte einen Hilfebedarf derart, dass Pflegestufe I nicht erreicht werde. Mit formlosem Bescheid vom 16. Mai 1995 lehnte die Beklagte die Gewährung von Pflegegeld ab.

Hiergegen legte der Kläger am 31. Mai 1995 Widerspruch ein, woraufhin die Beklagte erneut eine Begutachtung durch den MDK – Dr. B… – am 20. Januar 1996 veranlasste. Dr. B… stellte als Diagnose “Down-Syndrom mit hochgradiger Debilität, Adipositas und Armverkürzung links (4 cm)” fest und bejahte pflegerischen Hilfebedarf, jedoch nicht in dem Maße, dass Pflegebedürftigkeit nach Pflegestufe I begründet werden könnte. Im Vordergrund stehe die Betreuung. Auf der Basis dieses Gutachtens wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 9. April 1996 den Widerspruch des Klägers zurück.

Am 6. Mai 1996 hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Wiesbaden erhoben. Mit Beiladungsbeschluss vom 1. August 1996 wurde der Magistrat der Stadt Wiesbaden – Amt für Soziale Arbeit – beigeladen. Das Sozialgericht hat einen Befundbericht des praktischen Arztes Dr. G… vom 29. Juni 1996 und eine Auskunft bei der Werkstatt für Behinderte vom 19. Dezember 1996 eingeholt. Ferner hat das Sozialgericht die Schwester des Klägers als Pflegeperson vernommen und ihr aufgegeben, ein Pflegetagebuch für eine Woche zu erstellen. Dieses Pflegetagebuch ist von Dr. L… (MDK) ausgewertet worden mit dem Ergebnis, dass der Pflegebedarf (Grundpflege) tagesdurchschnittlich 33 Minuten betrage.

Mit Urteil vom 16. Dezember 1998 hat das Sozialgericht den Bescheid vom 16. Mai 1995 und den Widerspruchsbescheid vom 9. April 1996 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Pflegegeld nach der Pflegestufe I ab 1. April 1995 zu gewähren. In den Entscheidungsgründen hat das Sozialgericht ausgeführt, dass zur Überzeugung der Kammer der Pflegebedarf für die Grundpflege im Tagesdurchschnitt mindestens 50 Minuten betrage. Nach den Angaben der Schwester des Klägers als Pflegeperson benötige dies 33 Minuten im Bereich der Körperpflege (für Waschen und Duschen morgens 15 Minuten, 2 ½ Minuten morgens und 2 ½ Minuten abends für die Zahnpflege, 5 Minuten für Rasieren und 4 Minuten morgens und 4 Minuten abends für die Säuberung nach Darm- und Blasenentleerung). Hinzu kämen 5 Minuten im Bereich der Ernährung für das Schmieren von Brötchen und Brot, Obst schneiden, Ei pellen, und weitere 12 Minuten im Bereich Mobilität (2 Minuten für Aufstehen, 2 – 4 mal 2 – 3 Minuten für An- und Auskleiden insgesamt 10 Minuten).

Gegen das ihr am 18. März 1998 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 3. April 1998 Berufung eingelegt.

Die Beklagte folgt den Einschätzungen von Dr. L… (27 bis 41 Minuten pro Tag) bzw. Dr. Px… (39 Minuten pro Tag). Diese Gutachter hätten ausgeführt, dass der Kläger aus medizinischer Sicht in der Lage sei, sich auch selbst “den Po zu säubern”; nur aus Effektivitätsgründen würde dies von der Schwester übernommen. Ferner könne sich der Kläger, wenn ein Klappsitz in der Dusche angebracht wird, selbst reinigen. Der Pflegebedarf bestehe hauptsächlich in Form der Aufforderung sowie der Beaufsichtigung. Der Kläger komme aber den Aufforderungen unverzüglich nach. Er könne sogar mit dem Messer umgehen, wie die Pflegeperson anlässlich ihrer Vernehmung am 15. Juni 1997 vor dem Sozialgericht erklärt habe:

“… beim Brote schmieren muss ich gelegentlich helfen. Die warmen Mahlzeiten stelle ich hin, er schneidet das Fleisch selbst.” Die Beklagte hat sozialmedizinische Gutachten von Dr. Lx… (MDK) vom 5. Juli 2000, 16. Oktober 2000 und 27. Februar 2001 vorgelegt. Danach betrage der Grundpflegebedarf höchstens 39 Minuten pro Tag.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialger...

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