Entscheidungsstichwort (Thema)

Bedarfsgemeinschaft. Voraussetzungen einer eheähnlichen Gemeinschaft. Ermittlungsgrundsatz

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Prüfung der Hilfsbedürftigkeit als eine der Voraussetzungen eines Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts darf nur auf gegenwärtige Verhältnisse abgestellt werden. Das gilt auch für die Frage des Bestehens einer eheähnlichen Gemeinschaft; sie kann daher nur mit zeitnahen Hinweisen (Indizien) beantwortet werden. Erkenntnisse, die auf einem länger zurückliegenden Hausbesuch des Leistungsträgers beruhen, genügen diesen Anforderungen nicht.

2. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, so ist über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei kommt, wenn um Leistungen gestritten wird, die wie die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gegenwärtig existenzsichernd sein sollen, dem verfassungsrechtlichen Gebot des Schutzes der Menschenwürde besondere Bedeutung zu. Die Versagung einstweiligen Rechtsschutzes in diesen Fällen bedeutete, da der elementare Lebensbedarf eines Menschen nur aktuell befriedigt werden kann, für den Hilfebedürftigen eine grundsätzlich unzulässige "Vorwegnahme der Hauptsache" (Anschluss an BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05).

 

Leitsatz (redaktionell)

Vom Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft aufgrund einer eheähnlichen Gemeinschaft kann nur dann ausgegangen werden, wenn sich für diese Annahme zeitnahe eindeutige Hinweise ergeben; anderenfalls fällt im Eilrechtsschutz die Folgenabwägung zugunsten des Bedürftigen aus.

 

Normenkette

SGB II § 9 Abs. 2 S. 1, § 7 Abs. 3 Nr. 3b; SGG § 86b Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

SG Frankfurt am Main (Beschluss vom 14.02.2005; Aktenzeichen S 45 AS 22/05)

 

Tenor

  • Die Antragsgegnerin wird unter Abänderung des Beschlusses des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 14. Februar 2005 verpflichtet, den Antragstellern für die Zeit ab 27. Januar 2005 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ohne Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen des A… E… in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
  • Die Antragsgegnerin hat den Antragstellern die außergerichtlichen Kosten der Verfahren zu erstatten.
  • Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt B…, B-Stadt, beigeordnet.
 

Tatbestand

I.

Die Antragsteller begehren im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.

Die Antragstellerin zu 1. ist die Mutter der 1987, 1989 und 1991 geborenen Antragsteller/innen zu 2. – 4. Leiblicher Vater der Antragstellerin zu 4. ist der im Jahre 1964 in Marokko geborene A… E… (E.). Dieser zahlt seinem Kind Unterhalt zu Händen der Antragstellerin zu 1. in Höhe von monatlich 150 Euro.

Jedenfalls bis Juli 2004 wohnten die Antragsteller in A-Stadt in der B… Straße XXX. In dieser Wohnung hatte auch E… ein Zimmer, welches er nach Angaben der Antragstellerin zu 1. gelegentlich genutzt hat. Durch Bescheid vom 6. November 2003 versagte das Sozialamt der Stadt A-Stadt den Antragstellerinnen zu 1. und 4 wegen Vorliegens einer eheähnlichen Gemeinschaft die Gewährung von Leistungen der Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Dagegen legte die Antragstellerin zu 1. Widerspruch ein mit der Begründung, dass sie nicht mit E… in einer “Wohngemeinschaft” lebe. Dieser sei zwar für die Wohnung in der B… Straße XXX gemeldet gewesen, die Meldung habe jedoch die Funktion gehabt, dass er seinen Pkw weiterhin in Deutschland zulassen könne. Er habe jedoch in der fraglichen Zeit in M… gewohnt. Demgegenüber erhielten die Antragsteller zu 2 u. 3 weiterhin Sozialhilfeleistungen, da die Antragsgegnerin den E… im Rahmen der Bedarfs- bzw. Einsatzgemeinschaft nach § 11 BSHG für diese Kinder, die nicht Kinder des E… sind, nicht berücksichtigte.

Am 22. Juni 2004 schloss die Antragstellerin zu 1. einen Mietvertrag über eine 4-Zimmer-Wohnung in der A-Straße in A-Stadt. Das Mietverhältnis sollte am 15. Juli 2004 beginnen; nach einer Melderegisterauskunft erfolgte der Einzug der Antragsteller in die neue Wohnung, für die eine Kaltmiete in Höhe von 550 Euro zu zahlen war, am 1. August 2004.

Am 21. Oktober 2003 wurde durch das Sozialamt der Stadt A-Stadt ein Hausbesuch in der Wohnung der Antragsteller durchgeführt. Nach dem Vermerk des Mitarbeiters H… befand sich in der Wohnung auch E…, der sich jedoch nicht habe zeigen wollen. Auf E… seien ca. 11 Kfz. zugelassen. Auf die Antragstellerin zu 1. sei kein Kfz. zugelassen. Die Wohnung sei normal ausgestattet, keine wertvollen Möbel. Auffällig sei gewesen, dass in jedem Zimmer der 4-Zimmer-Wohnung ein Fernseher vorhanden gewesen sei. Die Antragstellerin zu 1. habe u.a. angegeben, dass E… die meiste Zeit bei ihr in der Wohnung sei und dass sie mit ihm in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebe. Nach dem Bericht der Mitarbeiters N… hatte die Antragstellerin zu 1. zugegeben, dass E…derzeit fest dort mit wohne; er reise öfters mal ...

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