[1] Die Begriffe "Versicherungspflicht" und "Familienversicherung" i.S.d. § 188 Abs. 4 SGB V umfassen zunächst jede Pflichtversicherung (§ 5 SGB V) und jede Familienversicherung (§ 10 SGB V) in Deutschland. Darüber hinaus ist diese Voraussetzung nach Artikel 5 Buchst. b VO (EG) Nr. 883/04 als erfüllt anzusehen, wenn es sich um ein Ausscheiden aus der Versicherung bei einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung in einem EU- bzw. EWR-Mitgliedstaat und der Schweiz bzw. ein Ausscheiden aus der Versicherung in einem Mitgliedstaat mit Nationalem Gesundheitsdienst handelt. Dies gilt auch für Sachverhalte mit dem Vereinigten Königreich. Über das Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (Austrittsabkommen) ist Artikel 5 Buchst. b VO (EG) Nr. 883/04 anwendbar. Das Austrittsabkommen regelt die Sachverhalte, die vor dem 1.1.2021 einen grenzüberschreitenden Bezug zum Vereinigten Königreich aufweisen. Eine Gleichstellung erfolgt ebenfalls über die gleichlautende Regelung in Artikel KSS.6 des Abkommens über Handel und Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft einerseits und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland andererseits (Abkommen über Handel und Zusammenarbeit). Das Abkommen über Handel und Zusammenarbeit ist für Sachverhalte maßgeblich, die ab dem 1.1.2021 beginnen und vorher keinerlei grenzüberschreitenden Bezug zwischen einem EU-Mitgliedstaat und dem Vereinigten Königreich hatten. Im Übrigen wird in den weiteren Ausführungen aus Übersichtsgründen darauf verzichtet, eine explizite Bezugnahme auf das Austrittsabkommen vorzunehmen. Für die vom Austrittsabkommen erfassten Sachverhalte sind die Regelungen der VO (EG) Nr. 883/04 und Nr. 987/09 vollumfänglich weiter anwendbar, so dass die alleinige Rechtsquellenangabe aus diesen Verordnungen ausreicht.

[2] Ferner beinhalten das deutsch-jugoslawische Abkommen über soziale Sicherheit, das noch im Verhältnis zu Bosnien und Herzegowina, dem Kosovo, Montenegro und Serbien Anwendung findet, und das deutsch-nordmazedonische Abkommen Gleichstellungsvorschriften zum Ausscheiden aus der Versicherungspflicht. Nähere Informationen hierzu sind dem Leitfaden "Die freiwillige Krankenversicherung im Rahmen der EG-/EWG-Verordnungen und nach Abkommensrecht" des GKV-Spitzenverbandes, DVKA zu entnehmen.

[3] Die Sachverhalte mit einer zeitlich letzten Versicherung in Nichtvertragsstaaten sind mangels Gleichstellungsvorschriften demgegenüber nicht relevant.

[4] Allein die formelle Gleichstellung des Ausscheidens aus der Versicherung innerhalb des über- und zwischenstaatlichen Rechts reicht allerdings nicht aus, um den Anwendungsbereich des § 188 Abs. 4 SGB V auf die Sachverhalte mit Auslandsbezug auszudehnen. Es bedarf der Berücksichtigung der systematischen Eingliederung der obligatorischen Anschlussversicherung in das deutsche Krankenversicherungsrecht. In Abgrenzung zum Beitrittsrecht unter den Voraussetzungen des § 9 SGB V ist die obligatorische Anschlussversicherung nach § 188 Abs. 4 SGB V ausschließlich als Fortsetzung der Versicherung konzipiert. Dies ergibt sich bereits aus der unterschiedlichen Begrifflichkeit innerhalb dieser Rechtsvorschriften. Darüber hinaus spricht die gesetzestechnische Einordnung der Regelung des § 188 Abs. 4 SGB V in einem Abschnitt mit mitgliedschaftsrechtlichen Normen ebenfalls für diese Unterscheidung. Mit der Fortsetzung einer Versicherung kann allerdings ausschließlich die Weiterführung einer Versicherung nach dem deutschen Recht, und zwar bei derselben Krankenkasse, gemeint sein (vgl. weitere Hinweise in Abschnitt 1.4).

[5] In der Konsequenz kann die obligatorische Anschlussversicherung – ungeachtet einer unter bestimmten Voraussetzungen zulässigen grundsätzlichen Gleichstellung des Ausscheidens aus der Versicherung innerhalb des über- und zwischenstaatlichen Rechts – vom Ergebnis her nur für Personen gelten, die zuletzt dem nationalen (deutschen) Recht unterstellt waren. Selbst die Personen, die wegen ihres Wohnortes in Deutschland zuletzt Anspruch auf Sachleistungen aufgrund einer im Ausland bestehenden Versicherung nach Vorgaben der VO (EG) Nr. 883/04, des Abkommens über Handel und Zusammenarbeit oder der bilateralen Abkommen über soziale Sicherheit hatten, werden vom Geltungsbereich des § 188 Abs. 4 SGB V nicht erfasst. Das Zugangsrecht zur GKV nach Maßgabe der Regelungen des § 9 oder § 5 Abs. 1 Nr. 13 Buchst. a SGB V unter Berücksichtigung des über- und zwischenstaatlichen Rechts bleibt unberührt.

Beispiel 1

Nach einem Studium, während dessen eine Versicherung bei einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung in Frankreich bestand, hat ein französischer Staatsbürger zum 1.3.2023 eine nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V versicherungsfreie Beschäftigung in Deutschland aufgenommen. Anlässlich der Beschäftigungsaufnahme verlegt er seinen Wohnsitz aus Frankreich nach Deutschland und erkundigt...

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