Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 28. September 1982 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zum erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Der Kläger begehrt von der Beklagten Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit für die Zeit vom 1. Juni 1977 bis 31. Mai 1982.

Der 1922 geborene Kläger arbeitete seit Mitte 1948 im Steinkohlenbergbau, wo er nacheinander die Tätigkeiten eines Gedingeschleppers, Lehrhauers, Ausbauhelfers und Hauers verrichtete. Nach dem Besuch der Bergschule wurde er seit April 1956 als Grubensteiger, dann Revier- und Abteilungssteiger eingesetzt. Von Januar 1972 bis September 1976 wurde er nach der Gehaltsgruppe 04 der technischen Angestellten unter Tage (Anlage A zum Manteltarifvertrag für die Angestellten des rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbaus) entlohnt. Von Oktober 1976 bis zu seinem Ausscheiden aus dem Bergbau am 31. Oktober 1979 nahm der Kläger wieder die Aufgaben eines stellvertretenden Reviersteigers entsprechend der Gehaltsgruppe 03 (3) wahr. Ab Oktober 1976 erhielt der Kläger Bergmannsrente wegen Vollendung des 50. Lebensjahres. Diese Rente wandelte die Beklagte mit Wirkung vom 1. November 1979 in die Knappschaftsausgleichsleistung um. Seit dem 1. Juni 1982 erhält der Kläger das vorgezogene Knappschaftsruhegeld.

Am 31. Mai 1977 beantragte der Kläger, nachdem ein im Mai 1976 gestellter Antrag erfolglos geblieben war, erneut Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit. Die Beklagte lehnte ab (Bescheid vom 8. November 1977; Widerspruchsbescheid vom 13. März 1978). Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 7. Juli 1980). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung mit Urteil vom 28. September 1982 zurückgewiesen und im wesentlichen ausgeführt: Es könne dahinstehen, ob der Hauptberuf des Klägers die Tätigkeit eines Angestellten unter Tage der früheren Lohngruppe 04 (4) oder 03 (3) gewesen sei, ebenso ob der Tätigkeitswechsel des Klägers im Oktober 1976 von der eines Abteilungssteigers zu der eines stellvertretenden Abteilungssteigers gesundheitlich bedingt gewesen sei. Denn er habe in der entscheidungserheblichen Zeit mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen zwar nicht mehr als technischer Angestellter unter Tage eingesetzt werden können, wohl aber als Angestellter über Tage. Ehemalige Revier- und Abteilungssteiger seien zumutbar auf Büro- und Meistertätigkeiten verweisbar, soweit sie von den Gehaltsgruppen 13 (3) der technischen Angestellten über Tage und von den Gehaltsgruppen 43 (3) der kaufmännischen Angestellten ab aufwärts erfaßt würden. Zweifellos könne der Kläger nicht alle hierzu gehörigen Arbeiten ausführen. Dazu fehlten ihm teilweise die erforderlichen beruflichen Kenntnisse, weil namentlich die Bürotätigkeiten der Gruppe 43 (3) im allgemeinen Kenntnisse und Fertigkeiten verlangten, wie sie in der Regel durch eine abgeschlossene Lehre als Industriekaufmann oder in einem gleichwertigen Lehrberuf vermittelt würden. Zum Teil scheitere ein Einsatz daran, daß der Kläger nunmehr in witterungsgeschützten Räumen beschäftigt werden solle und der Kläger auch für mittelschwere körperliche Belastungen ausscheide. Desgleichen müsse er Zwangshaltungen vermeiden und wegen seines Bluthochdruckes dürften hohe psychische Anforderungen an ihn nicht mehr gestellt werden. Leichten Angestelltentätigkeiten über Tage sei er jedoch noch ganztägig gewachsen. Er könne im Fehlschichtenbüro, als Staubkarteiführer, in der Wohnungsverwaltung, in der Arbeiterannahme, in der Stabsstelle, im Büro des Sicherheitsdienstes und des Arbeitsschutzes sowie in der Steigerstube eingesetzt werden.

Der Kläger rügt eine Verletzung der §§ 46 Reichsknappschaftsgesetz (RKG), 126 Reichsversicherungsordnung (RVO). Er ist der Auffassung, daß ihm als Abteilungssteiger der höchsten Tarifgruppe Tätigkeiten der Tarifgruppe 43 der Angestellten über Tage der kaufmännischen Anfängertarifgruppe nicht zumutbar seien.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil sowie das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 7. Juli 1980 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 8. November 1977 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 13. März 1978 zu verurteilen, dem Kläger die Gesamtleistung wegen Berufsunfähigkeit aus der knappschaftlichen Rentenversicherung der Angestellten und Arbeiter zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

II.

Die Revision des Klägers ist im Sinne der Zurückverweisung begründet. Die vom LSG festgestellten Tatsachen reichen zu einer abschließenden Entscheidung nicht aus.

Der Kläger hat nach § 46 RKG dann einen Anspruch auf Berufsunfähigkeitsrente, wenn er seinen bisherigen Beruf und einen Beruf nicht mehr ausüben kann, der ihm nach seiner bisherigen beruflichen Stellung zumutbar ist. Ob das der Fall ist, läßt sich aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht abschließend beurteilen. Wie das Bundessozialgericht (BSG) entschieden hat (SozR 2200 § 1246 Nr. 107), ist auch hinsichtlich der Angestellten die hierarchische Struktur der Berufe zu beachten, die sieh in einer qualitativen Stufung ausdrückt. Bei den Versicherten, deren bisheriger Beruf eine tarifvertraglich erfaßte Angestelltentätigkeit mit einem Bruttoarbeitsentgelt innerhalb der Beitragsbemessungsgrenze ist, hat das BSG drei Berufsgruppen unterschieden, die jeweils durch Leitberufe gekennzeichnet sind. Die unterste Stufe ist durch die des Ungelernten, die darüber befindliche durch die des Angelernten mit einer Ausbildung bis zu zwei Jahren und die weitere durch diejenige des Gelernten mit einer längeren Ausbildung von durchschnittlich drei Jahren gekennzeichnet. Grundsätzlich ist auch ein Angestellter allenfalls auf die Gruppe unter seiner bisherigen verweisbar. Das BSG hat es als eine Aufgabe der Tatsachengerichte angesehen, zu ermitteln, ob sich in der Wirklichkeit des Arbeitslebens weitere Stufungen auffinden lassen, insbesondere für höher qualifizierte Berufsgruppen. Geeignete Mittel der Sachaufklärung seien u.a. die Einholung von Auskünften der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen.

An hinreichenden Feststellungen, zu welcher Gruppe der Kläger vor der vom LSG vorgenommenen Verweisung gehörte und in welche Gruppe er sich soll verweisen lassen, fehlt es hier jedoch. Der Hauptberuf des Klägers war – wie das LSG festgestellt hat – eine Angestelltentätigkeit unter Tage in der Lohngruppe 03 oder 04. Nach der Anlage A zu dem ab 1. September 1973 gültigen Manteltarifvertrag für Angestellte des rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbaus, entsprechend der der Kläger nach den Feststellungen des LSG eingestuft war, sind die Angestellten unter Tage (01 bis 04) dadurch gekennzeichnet, daß sie aufsichtführende Tätigkeiten ausüben. Die Angestellten der Gruppe 03 führen selbst ein Revier oder vertreten einen Angestellten der Gruppe 04 oder stehen qualitativ den Führungskräften der Gruppe 03 gleich. Die Angestellten der Gruppe 04 führen ein größeres Abbau-, Aus- und Vorrichtungs-, Maschinen- oder Elektrorevier. Die Gruppen der Angestellten unter Tage kennen. damit keine ganz einfachen Tätigkeiten und die Gruppe Ob ist die höchste dieser qualifizierten Angestelltentätigkeiten. Die besondere Berufserfahrung des Klägers wird auch aus seinem Werdegang sichtbar. Denn nach den Feststellungen des LSG war er 28 Jahre im Bergbau tätig, in denen er bis zum Erreichen der unter die Gruppe 04 fallenden Tätigkeiten ständig aufsteigend höherwertigere Aufgaben übernahm.

Das LSG hat dem Kläger Tätigkeiten der Gruppe 13 (3) der technischen Angestellten (über Tage) zugemutet. Die Gruppe 13 (3) der technischen Angestellten erfordert in der Regel eine Meisterausbildung oder eine Fachausbildung mit zusätzlicher Ausbildung oder eine entsprechende Berufserfahrung (Anlage A zum Manteltarifvertrag für die Angestellten des rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbaues, gültig ab 1. September 1973). Diese Angestellten beaufsichtigen mit gewisser Selbständigkeit einen begrenzten Bereich mit vorwiegend Facharbeitern oder einen nach Umfang größeren Bereich einfacher Art. Zu dieser Gruppe gehören auch Angestellte, die Büro oder Laboratoriumsarbeiten verrichten, für die in der Regel eine Berufsausbildung und mehrjährige Berufserfahrung erforderlich sind. Das ist eine Tätigkeit, auf die selbst ein Angestellter unter Tage der Gruppe 04 verwiesen werden könnte (vgl. BSG SozR Nr. 20 zu § 46 RKG). Das LSG hat aber ausgeführt, zweifellos könne der Kläger nicht alle hierzu gehörigen Arbeiten ausführen. Dazu fehlten ihm teilweise die erforderlichen Kenntnisse. Zum Teil scheitere ein Einsatz daran, daß er in witterungsgeschützten Räumen arbeiten solle und auch für mittelschwere Belastungen ausscheide. Es ist damit nicht klar, welche Tätigkeiten welcher Qualitätsstufe der Kläger verrichten kann und ob es Arbeitsstellen gibt, auf denen er gerade noch das tun kann, wozu er weiterhin fähig ist. Die Verweisbarkeit eines nur noch auf Teilbereiche eines Berufs vollschichtig einsatzfähigen Versicherten setzt die konkrete Feststellung voraus, daß Arbeitsstellen mit der Beschränkung gerade auf diese Teilbereiche nicht nur in einer praktisch nicht ins Gewicht fallenden Zahl vorhanden sind (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 82). Diese Feststellungen wird das LSG nachzuholen haben.

Das gleiche gilt, soweit das LSG den Kläger auf Tätigkeiten „in der” Wohnungsverwaltung, Arbeiterannahme, Stabsstelle, Steigerstube, sowie „im” Büro des Sicherheitsdienstes und des Arbeitsschutzes verwiesen hat. Auch insoweit ist nicht klar, um welche Tätigkeiten welcher Qualitätsstufe es sieh dabei handeln soll. Eine konkrete Benennung der Verweisungstätigkeit ist aber erforderlich, um überhaupt die Prüfung zu ermöglichen, ob der Kläger die angesonnenen Arbeiten noch ausführen kann, ob sie ihm zumutbar sind und ob ihm hinsichtlich dieser Tätigkeiten der Arbeitsmarkt nicht verschlossen ist (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 104). Konkret bezeichnet hat das LSG lediglich die Tätigkeit des Staubkarteiführers. Sie könne der Kläger noch ausüben. Soweit diese Tätigkeit sowie die vorstehenden, unsubstantiierten Tätigkeiten der Lohngruppe 43 der kaufmännischen Angestellten zuzuordnen sind, kann der Kläger auf sie indes unter Berücksichtigung seines bisherigen Berufs nicht zumutbar verwiesen werden.

Nach der Anlage A zum genannten Manteltarifvertrag verrichten kaufmännische Angestellte der Gruppe 43 Arbeiten, für die Kenntnisse und Fertigkeiten erforderlich sind, wie sie im allgemeinen durch eine abgeschlossene Lehre als Industriekaufmann oder in einem gleichwertigen Lehrberuf vermittelt werden. Diese Kenntnisse können auch durch eine Bürotätigkeit von insgesamt in der Regel mindestens 5 Jahren erworben werden. Aus diesen Beschreibungen wird ersichtlich, daß typisch für die Gruppe 43 Berufsanfänger sind. Erst die nächsthöhere Gruppe 44 ist für Personen vorgesehen, die nach allgemeinen Anweisungen selbständig Arbeiten verrichten, für welche gründliche kaufmännische Kenntnisse sowie mehrjährige Berufserfahrung erforderlich sind. Wie der erkennende Senat jedoch bereits mit Urteil vom 14. Juli 1982 (BSGE 54, 37 = SozR 2200 § 1246 Nr. 95) ausgeführt hat, kann ein Angestellter, der in die Gruppe K 6 des 1976 gültigen Gehaltsrahmenabkommens der Eisen-Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalen eingeordnet gewesen ist, nicht auf eine Tätigkeit der Gehaltsgruppe K 3 verwiesen werden. Denn während die Gruppe K 6 erst nach langjähriger Berufserfahrung erreicht werden kann und als höchste Tarifgruppe im allgemeinen den – nur von wenigen erreichten – Höhepunkt der beruflichen Laufbahn darstellt, sind in Gruppe K 3 Berufsanfänger eingegliedert, deren Kenntnisse im allgemeinen durch eine Lehre als Industriekaufmann vermittelt werden. Dieselbe Wertdifferenz findet sieh im vorliegenden Fall zwischen den Tätigkeiten der Gehaltsgruppe 04 der Angestellten unter Tage des Tarifvertrags, nach dem der Kläger entlohnt wurde und den Tätigkeiten der kaufmännischen Angestellten der Gruppe 43 des gleichen Tarifvertrages. Die gleiche Beurteilung trifft aber auch für die Wertdifferenz ausgehend von der Gruppe 03 der technischen Angestellten unter Tage zu, denn diese Tätigkeiten unterscheiden sich von denjenigen der Gruppe 04 im Prinzip nur durch die Größe des zu führenden Reviers.

Der Senat hat im Urteil vom 14. März 1968 (BSG SozR Nr. 22 zu § 46 RAG) zwar noch die Verweisung eines Abteilungssteigers auf verwaltende Büroberufe der Gruppe B des damals gültigen Manteltarifvertrages für die kaufmännischen Angestellten des rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbaus erwogen, die nach der dortigen Beschreibung nunmehr zu den kaufmännischen Tätigkeiten der Gruppe 43 des geltenden Tarifvertrages zu zählen sein dürften. Allerdings hat der Senat bereits damals die Sache an das LSG zurückverwiesen und die Prüfung gefordert, ob der Abteilungssteiger noch zumutbare Tätigkeiten in dieser Gruppe verrichten könne, die nicht lediglich auf Grund Vergönnung des betreffenden Betriebes für in der Arbeitskraft geminderte Abteilungssteiger des eigenen Unternehmens geschaffen worden seien. Inzwischen hat sieh aber die Erkenntnis durchgesetzt, daß den Angestellten, deren Tätigkeiten typischerweise über eine abgeschlossene Berufsausbildung hinausgehend erhebliche Berufserfahrung und durch Berufsaufstieg bewiesene besondere Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert, nicht auf Tätigkeiten der Berufsanfängergruppe verwiesen werden können (BSGE 54, 37 = SozR 2200 § 126 Nr. 95). Der Senat hält deshalb an seiner im Urteil vom 14. März 1968 a.a.O. niedergelegten Auffassung nicht mehr fest, soweit die dort genannten „Angestellten der Gruppe B” mit den nunmehr in die Gruppe 43 einzureihenden kaufmännischen Angestellten des ab 1. September 1973 geltenden Tarifvertrages vergleichbar sind.

Soweit das LSG den Kläger auch auf kaufmännische Tätigkeiten verweisen möchte, die oberhalb der Gruppe 43 liegen, wird es diese konkret bezeichnen und damit die Prüfung ermöglichen müssen, ob er sie insbesondere unter Berücksichtigung seiner Kenntnisse und Fähigkeiten ausüben kann und ob für ihn insoweit ein offener Arbeitsmarkt vorhanden ist (vgl. hierzu eingehend das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des erkennenden Senats vom 30. November 1983 – 5a RKn 28/82 –).

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI582850

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