Leitsatz (amtlich)

In die an einen Ersatzzeittatbestand anschließende Frist von 3 Jahren, innerhalb derer ein Versicherter "ohne vorhergehende Versicherungszeiten" zum Zwecke der Anrechnung dieses Tatbestands als Ersatzzeit nach RKG § 50 Abs 3 S 2 Buchst a (= RVO § 1251 Abs 2 S 2 Buchst a) eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen haben muß, ist eine anerkannte weitere Ersatzzeit nach RKG § 51 Abs 1 Nr 1-5) nicht einzurechnen; vielmehr läuft nach dem Ende der anerkannten 2. Ersatzzeit der bis zu deren Beginn noch nicht abgelaufene Teil der 3-Jahres-Frist ab.

 

Normenkette

RKG § 50 Abs. 3 S. 2 Buchst. a Fassung: 1965-06-09; RVO § 1251 Abs. 2 S. 2 Buchst. a Fassung: 1965-06-09; RKG § 51 Abs. 1 Fassung: 1965-06-09; RVO § 1251 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1965-06-09

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. Juni 1971 und des Sozialgerichts Freiburg vom 26. November 1970 aufgehoben. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 9. Oktober 1968 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 1969 verurteilt, dem Kläger den Kriegsdienst vom 12. Mai 1942 bis 1. Juni 1943 als Ersatzzeit anzurechnen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

 

Tatbestand

Der 1907 in Jugoslawien geborene Kläger, Inhaber des Vertriebenenausweises A, war in seiner Heimat selbständiger Landwirt. Vom 12. Mai 1942 bis zum 1. Juni 1943 leistete er bei der deutschen Wehrmacht Kriegsdienst. Hernach bewirtschaftete er wieder sein Anwesen. In der Zeit vom 18. November 1944 bis zum 7. Dezember 1947 war er in Jugoslawien interniert. Vom 24. Dezember 1947 arbeitete er bis zum Zuzug in das Bundesgebiet am 19. August 1951 in einem jugoslawischen Bergwerk unter Tage. Anschließend war er in der Bundesrepublik versicherungspflichtig beschäftigt.

Mit dem streitigen Bescheid vom 9. Oktober 1968 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 1969 bewilligte die Beklagte dem Kläger die Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit (Gesamtleistung). Dabei berücksichtigte sie die von 1947 bis 1951 in Jugoslawien verrichtete Beschäftigung nach dem Fremdrentengesetz (FRG) und nach dem deutsch-jugoslawischen Vertrag als anrechenbare Versicherungszeiten; die Internierungszeit von 1944 bis 1947 anerkannte sie als Ersatzzeit. Dagegen lehnte sie es ab, den Kriegsdienst von 1942 bis 1943 als Ersatzzeit zu berücksichtigen, weil der Kläger nicht innerhalb von drei Jahren nach dessen Beendigung eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen habe.

Mit seiner auf Anrechnung auch des Kriegsdienstes als Ersatzzeit zielenden Klage ist der Kläger in den Vorinstanzen nicht durchgedrungen. Mit der angefochtenen Entscheidung vom 22. Juni 1971 hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts (SG) Freiburg vom 26. November 1970 zurückgewiesen. In der Begründung heißt es, die Tatsache, daß noch vor Ablauf einer an den Kriegsdienst anschließenden Dreijahresfrist die als Ersatzzeit anerkannte Internierung begonnen habe, vermöge nichts daran zu ändern, daß es an einer gemäß § 50 Abs. 3 Satz 2 Buchst. a des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) fristgerecht nachfolgenden versicherungspflichtigen Beschäftigung fehle. Andere Umstände als die im Gesetz genannten Ausbildungszeiten könnten den Ablauf der Dreijahresfrist nicht durchbrechen oder verlängern. Es liege eine "lückenlose Ersatzzeitenkette", welche eine einheitliche Ersatzzeit annehmen lasse, ebensowenig vor wie ein "innerer Zusammenhang" zwischen den beiden Ersatzzeittatbeständen. Eine Gesetzeslücke bestehe nicht; überdies verlange die streitige Vorschrift eine einengende Auslegung.

Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er trägt vor: Der 1. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) habe es in der vom LSG angezogenen Entscheidung offen gelassen, ob mehrere Ersatzzeittatbestände eine Verlängerung der Dreijahresfrist des § 50 Abs. 3 Satz 2 Buchst. a RKG bewirkten. In seinem Falle sei der Ablauf der Frist durch höhere Gewalt - Internierung - gehemmt gewesen. Seinen schutzwürdigen Interessen sei der Vorrang vor dem Gesichtspunkt der Notwendigkeit eines engeren zeitlichen Zusammenhangs zwischen Ersatzzeittatbestand und erstem Eintritt in die Versicherung zu geben.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, des Urteils des Sozialgerichts Freiburg vom 26. November 1970 sowie des Bescheides der Beklagten vom 9. Oktober 1968 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 1969 die Beklagte zu verurteilen, bei der Feststellung der Knappschaftsrente (Gesamtleistung) wegen Erwerbsunfähigkeit die Ersatzzeit vom 12. Mai 1942 bis 1. Juni 1943 rentensteigernd zu berücksichtigen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und hebt hervor, daß keine Gründe ersichtlich seien, die den Kläger nach dem Kriegsdienst gehindert haben könnten, eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufzunehmen; von einem nahtlosen oder unmittelbaren Übergang von einer in die andere Ersatzzeit könne keine Rede sein.

Während des Revisionsverfahrens hat die Beklagte die Rente des Klägers ab 1. März 1972 in das Knappschaftsruhegeld umgewandelt (Bescheid vom 16. Juni 1972).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig und begründet.

Nach § 50 Abs. 2 Satz 1 RKG sind anrechenbare Versicherungszeiten auch Zeiten eines während eines Krieges geleisteten militärischen Dienstes gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 RKG, "wenn sie auf die Wartezeit anzurechnen sind (Abs. 3)". Bei einem Versicherten "ohne vorhergehende Versicherungszeiten" wird der Kriegsdienst unter den Voraussetzungen des § 50 Abs. 3 Satz 2 RKG auf die Wartezeit angerechnet. Um einen solchen Versicherten handelt es sich beim Kläger: Er war vor dem Kriegsdienst nur als selbständiger Landwirt tätig und daher nicht pflichtversichert. Gemäß Buchst. a aaO (= § 1251 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a der Reichsversicherungsordnung - RVO -) könnte der Kriegsdienst als Ersatzzeit nur angerechnet werden, wenn der Kläger innerhalb von drei Jahren nach dessen Beendigung oder einer durch ihn aufgeschobenen oder unterbrochenen Ausbildung eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen hätte.

An dieser Gesetzeslage ändert für den vorliegenden Fall auch der Umstand nichts, daß § 50 Abs. 3 Satz 2 RKG durch Art. 1 § 3 Nr. 6 des Rentenreformgesetzes (RRG) vom 16. Oktober 1973 (= für § 1251 Abs. 2 Satz 2 RVO: Art. 1 § 1 Nr. 8 RRG) um einen Buchstaben o erweitert worden ist. Nach dieser neuen Vorschrift wird dem Versicherten bei Fehlen vorhergehender Versicherungszeiten der Kriegsdienst selbst dann als Ersatzzeit anerkannt, wenn er nicht nach § 50 Abs. 3 Satz 2 Buchst. a RKG (= § 1251 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a RVO) binnen drei Jahren nach Beendigung des Kriegsdienstes eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen hat, sofern er die "Pflichthalbbelegung" erreicht. Diese Vorschrift hilft dem Kläger jedoch nicht; sie gilt nur für ab ihrem Inkrafttreten am 19. Oktober 1972 eingetretene Versicherungsfälle (vgl. BSG SozR Nr. 68 zu § 1251 RVO). Der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit ist jedoch beim Kläger nach dem vom LSG festgestellten Sachverhalt bereits im Jahre 1967 und der des Alters bereits im Februar 1972 eingetreten.

Beim Kläger liegen zwischen dem 1. Juni 1943 - Beendigung des Kriegsdienstes - und dem 24. Dezember 1947 - erste Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung - mehr als drei Jahre. Der Kläger könnte mit seinem Anspruch also nur durchdringen, wenn die als Ersatzzeit anerkannte Internierung vom 18. November 1944 bis zum 17. Dezember 1947 in den Zeitraum von drei Jahren nach § 50 Abs. 3 Satz 2 Buchst. a RKG nicht einzurechnen wäre. Das ist der Fall, wie folgende Überlegungen ergeben:

Wie aus dem Begriff der Ersatzzeit folgt, sollen durch sie Zeiten rentenversicherungsrechtlich ausgeglichen werden, in denen der Versicherte durch den Ersatzzeittatbestand gehindert war, eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung auszuüben und damit Pflichtbeitragszeiten zurückzulegen. Ersatzzeiten sollen also nur solchen Versicherten zugute kommen, von denen anzunehmen ist, daß sie ohne den Ersatzzeittatbestand versicherungspflichtig beschäftigt gewesen und daher für sie Pflichtbeiträge entrichtet worden wären. Um mehr als eine Annahme, die Unsicherheiten bewußt in Kauf nimmt, kann es sich dabei nicht handeln. Bei Fehlen einer dem Ersatzzeittatbestand vorhergehenden Versicherungszeit stützt der Gesetzgeber die bezeichnete Annahme notgedrungen auf Umstände, die nach dem Ende des Ersatzzeittatbestandes liegen, weil sie seiner Ansicht nach symptomatisch für die Beantwortung der Frage sind, ob der Versicherte versicherungspflichtig beschäftigt gewesen wäre, wenn der eine Erwerbstätigkeit hindernde Ersatzzeittatbestand nicht vorgelegen hätte. Als solchen symptomatischen Umstand sieht das Gesetz die Tatsache an, daß der Versicherte binnen drei Jahren nach Beendigung der Ersatzzeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen hat. Diese normative Festlegung ist für Versicherungsträger und Gerichte bindend.

Was nun den konkreten Fall betrifft, so ist richtig, daß dem Kriegsdienst des Klägers in der deutschen Wehrmacht vom 12. Mai 1942 bis zum 1. Juni 1943 binnen drei Jahren keine versicherungspflichtige Beschäftigung gefolgt ist. Unter den Wortlaut des § 50 Abs. 3 Satz 2 Buchst. a RKG fällt dieser Sachverhalt daher nicht. Indessen folgt dem Kriegsdienst eine anerkannte Ersatzzeit - Internierung - nach etwa 1 1/2 Jahren, d. h. innerhalb eines Zeitraumes, der für die Anerkennung der Kriegsdienstzeit als Ersatzzeit die nach der genannten Vorschrift rentenversicherungsrechtlich erhebliche Bedeutung hat. Es stellt sich sonach die Frage, welchen Einfluß diese enge zeitliche Berührung der beiden Ersatzzeittatbestände auf die Anrechenbarkeit des ersteren hat.

Hierbei ist zunächst herauszustellen, daß der Gesetzgeber im Rahmen der Normierung des Ersatzzeitenrechts jeden Ersatzzeittatbestand als einzelnen Tatbestand gesehen hat, also keine Bestimmung für den Fall getroffen hat, daß mehrere Ersatzzeittatbestände aufeinanderfolgen. Insoweit besteht eine Regelungslücke, die zu schließen der Gesetzgeber der Rechtsprechung überlassen hat. Dieser Aufgabe hat sich das BSG wiederholt gestellt. So hat der 1. Senat in seinen Entscheidungen SozR Nrn. 25 und 28 zu § 1259 RVO zu einem - dem Ersatzzeittatbestand nach seiner Funktion weithin vergleichbaren - Ausfalltatbestand entschieden, daß er auch dann rentensteigernd anzurechnen bleibt, wenn an ihn ein weiterer Ausfalltatbestand "gehörig anschließt"; so hat sich auch der 5. Senat in seiner Entscheidung SozR Nr. 32 aaO veranlaßt gesehen, über die unmittelbare Aufeinanderfolge mehrerer Ausfalltatbestände eine den Sinn des Gesetzes erfassende Regelung zu treffen. Der Aufgabe, bezüglich der Aufeinanderfolge mehrerer Ersatzzeittatbestände die bestehende gesetzliche Regelungslücke zu schließen, kann sich das BSG in einem Fall der vorliegenden Art nicht deshalb entziehen, weil dem § 50 Abs. 3 RKG (= § 1251 Abs. 2 RVO) durch das Rentenversicherungs-Änderungsgesetz (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 mit Wirkung vom 1. Juli 1965 ein Satz 3 angefügt worden ist, nach dem in Fällen des Satzes 2 Buchst. a Unterbrechungen der Ersatzzeiten durch Ausbildungszeiten unberücksichtigt bleiben. Diese Einfügung zielt auf eine Regelung nur in bezug auf einen - denselben - Ersatzzeittatbestand ab, der in zwei zeitlich getrennten Etappen abläuft. Dagegen handelt es sich im vorliegenden Fall um einen Sachverhalt, in dem zwei Ersatzzeittatbestände innerhalb der gemäß § 50 Abs. 3 Satz 2 Buchst. a RKG rentenversicherungsrechtlich bedeutsamen Frist aufeinanderfolgen.

Die aufgezeigte Regelungslücke kann für einen Fall der zu entscheidenden Art nicht dadurch geschlossen werden, daß der erste der beiden hintereinanderliegenden Ersatzzeittatbestände unter Hinweis auf den nach dem Wortlaut des Gesetzes ungenutzten Ablauf der genannten Frist kurzweg als nicht anrechnungsfähig erklärt wird. Hiergegen sprechen nachdrücklich folgende Umstände:

Die Zeit der Internierung des Klägers in Jugoslawien von 1944 bis 1947 ist als Ersatzzeit anerkannt. Nach dem eingangs Dargelegten ist verbindlich davon auszugehen, daß der Kläger durch die Internierung daran gehindert worden ist, während dieser Zeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufzunehmen. Damit steht zugleich verbindlich fest, daß der Kläger gehindert war, einen dahingehenden Willen in die Tat umzusetzen; er konnte dies vielmehr erst nach dem Ende der Internierung tun. Die Internierung hat nicht nur bewirkt, daß der Kläger Pflichtbeiträge nicht hat entrichten können; ein weiterer rentenversicherungsrechtlicher Schaden ist ihm dadurch entstanden, daß er in bezug auf den der Internierung vorausliegenden streitigen Kriegsdienst gehindert worden ist, die Dreijahresfrist des § 50 Abs. 3 Satz 2 Buchst. a RVO auszunützen. Daß durch die Anerkennung der Internierung als Ersatzzeit der Schaden ausgeglichen wird, den die verhinderte Entrichtung von Pflichtbeiträgen angerichtet hat, braucht nicht nochmals betont zu werden. Den weiteren Schaden - Verhinderung, die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anrechnung des Kriegsdienstes als Ersatzzeit zu erfüllen - hat der Gesetzgeber nicht gesehen. Hätte er ihn erkannt, so hätte er auch ihn ausgeglichen, indem er die von der anerkannten Ersatzzeit umfaßte Zeitspanne nicht in die aaO vorgeschriebene Dreijahresfrist eingerechnet hätte: Der Gesetzgeber hätte die von ihm verbindlich unterstellte schuldlose Verhinderung des Versicherten an der Leistung von Pflichtbeiträgen, die er dem zweiten Ersatzzeittatbestand rentenversicherungsrechtlich durch Anerkennung als Ersatzzeit ausdrücklich zugute hält, dem ersten Ersatzzeittatbestand nicht als schädlich angerechnet.

Dem kann nicht entgegengehalten werden, daß derjenige Teil der Dreijahresfrist, der nach dem Ende einer nicht in sie eingerechneten anerkannten Ersatzzeit ablaufen könnte, vom streitigen ersten Ersatzzeittatbestand zu weit entfernt liege, um noch die Annahme zu stützen, der Versicherte würde ohne Verhinderung durch ihn eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen haben. Ein solcher Einwand übersieht, daß das Gesetz von der verbindlichen Annahme ausgeht, der Versicherte hätte sich, wäre er nicht durch die anerkannte - zweite- Ersatzzeit daran gehindert gewesen, fristgerecht für die Annahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung entschieden. Wenn der Versicherte innerhalb eines nach der anerkannten - zweiten - Ersatzzeit liegenden zeitlichen "Restes" der Dreijahresfrist den vom Gesetz bereits für die Zeit der Internierung unterstellten Willen realisiert, so kann dies rentenversicherungsrechtlich nicht anders als die Ausnutzung einer von Verhinderungstatbeständen freien Dreijahresfrist gewertet werden. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen dem Versicherten volle drei Jahre für die Entscheidung zur Verfügung stehen, ob er eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufnehmen will. Die Internierungszeit, während deren der Gesetzgeber davon ausgeht, daß der Versicherte den Willen zur Ausübung einer pflichtversicherten Beschäftigung gehabt hat (und diesen, wäre er nicht interniert gewesen, auch realisiert hätte), erfüllt mithin die Funktion eines Überbrückungstatbestandes, wenn der Versicherte nach Ablauf der zweiten - anerkannten - Ersatzzeit innerhalb einer Zeit, die dem bis zum Beginn der zweiten - anerkannten - Ersatzzeit noch nicht abgelaufenen Teil der zur ersten - streitigen - Ersatzzeit gehörenden Dreijahresfrist entspricht, eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufnimmt.

Ist aber nach alledem die als Ersatzzeit anerkannte Internierung des Klägers von 1944 bis 1947 in die Dreijahresfrist des § 50 Abs. 3 Satz 2 Buchst. a RKG nicht einzurechnen, so hat der Kläger am 24. Dezember 1947 noch rechtzeitig eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen. Damit ist der Kriegsdienst als Ersatzzeit nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 RKG anrechenbar (im Ergebnis ebenso Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, 5. Aufl. 1973, Anm. 18 bei § 1251 RVO; Koch/Hartmann/v. Altrock/Fürst, Kommentar zum Angestelltenversicherungsgesetz - AVG -, 3. Aufl., Bd. IV, Anm. 2 d bei § 28).

Diesem Ergebnis steht die Entscheidung des 1. Senats des BSG vom 20. Februar 1962 (BSG 16, 204) nicht entgegen. In dem dort entschiedenen Fall folgte dem streitigen Kriegsdienst von 1940 bis 1944, dem ebenfalls keine Versicherungszeiten vorauslagen, innerhalb der Frist des § 28 Abs. 2 AVG (= § 50 Abs. 3 RKG = § 1251 Abs. 2 RVO) vom 1. Januar 1945 bis 31. Dezember 1946 die anerkannte Ersatzzeit nach § 28 Abs. 1 Nr. 6 AVG (= § 51 Abs. 1 Nr. 6 RKG = § 1251 Abs. 1 Nr. 6 RVO). Bei dieser Ersatzzeit handelt es sich aber, anders als im vorliegenden Fall, um die Zeit, die Vertriebenen oder Flüchtlingen im Sinne der §§ 1 bis 4 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) unter allen Umständen, wie auch immer sich ihr Flüchtlings- oder Vertriebenenschicksal gestaltet haben mag, pauschal zugebilligt wird (sogenannte pauschale Ersatzzeit). Bei Zubilligung dieser Ersatzzeit nimmt das Gesetz bewußt auch die Fälle in Kauf, in denen der Vertriebene oder Flüchtling in der Zeit vom 1. Januar 1945 bis 31. Dezember 1946 durch den Tatbestand der Vertreibung oder Flucht tatsächlich nicht gehindert war, eine versicherungspflichtige Beschäftigung auszuüben; der von der Vorschrift Begünstigte erhält die pauschale Ersatzzeit auch dann, wenn offenkundig ist, daß er nicht gewillt war, in abhängiger Stellung versicherungspflichtig zu arbeiten, etwa weil er sich zu dieser Zeit als Selbständiger betätigt hatte. Im Gegensatz zu den anderen Ersatzzeittatbeständen, zu denen auch der Kriegsdienst zählt, geht das Gesetz bei der pauschalen Ersatzzeit nicht normativ-verbindlich davon aus, daß der Versicherte infolge des Ersatzzeittatbestandes gehindert war, den auf Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gerichteten Willen zu realisieren. Gerade auf diese normative Festlegung stützt der Senat indessen seine oben entwickelte Rechtsauffassung. Zwischen dem vorliegenden und dem vom 1. Senat entschiedenen Fall bestehen tatsächliche und rechtliche Unterschiede, die voneinander abweichende rechtliche Beurteilungen zulassen.

Mit seiner Rechtsauffassung weicht der Senat auch nicht von der Entscheidung des 11. Senats des BSG in SozR Nr. 66 zu § 1251 RVO ab. Im dort entschiedenen Fall liegen zwischen dem Ende der streitigen Ersatzzeit und der ersten Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung selbst dann mehr als drei Jahre, wenn die nachfolgenden weiteren Ersatzzeiten nicht eingerechnet werden.

Der Anrufung des Großen Senats bedurfte es daher weder mit Rücksicht auf das Urteil des 1. Senats noch mit Rücksicht auf das Urteil des 11. Senats.

Auf die Revision des Klägers waren mithin die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des angefochtenen Bescheides zu verurteilen, dem Kläger den von 1943 bis 1944 geleisteten Kriegsdienst rentensteigernd anzurechnen.

Im Kostenpunkt stützt sich die Entscheidung auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

BSGE, 109

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