Leitsatz (amtlich)

Der in BVG§30Abs3u4u5DV § 7 für die Ermittlung des Vergleichseinkommens nicht geregelte Fall, daß ein Beschädigter nach Abschluß der Schulausbildung und vor Beginn der Berufsausbildung einen Schaden erlitten, aber gleichwohl eine (andere) Hochschulausbildung abgeschlossen hat, ist im Wege des Lückenschlusses dahin zu regeln, daß das Vergleichseinkommen nach der Besoldungsgruppe A 14/15 festzusetzen ist.

 

Normenkette

BVG § 30 Abs 3; BVG § 30 Abs 4; BVG§30Abs3u4DV § 2, 1974 Fassung: 1974-04-11, § 7, 1974 Fassung: 1974-04-11, § 9, 1974 Fassung: 1974-04-11; BVG§30Abs3u4u5DV § 2 Fassung: 1977-01-18, § 7 Fassung: 1977-01-18, § 9 Fassung: 1977-01-18

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 18.06.1979; Aktenzeichen L 11 V 1030/78)

SG Konstanz (Entscheidung vom 24.05.1978; Aktenzeichen S 2 V 398/76)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger einen Anspruch auf einen Berufsschadensausgleich hat.

Der 1923 geborene Kläger bezieht Rente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 60 vH seit 1. Juni 1974 (vorher 40 vH), wovon 10 vH auf eine besondere berufliche Betroffenheit entfallen. Als Schädigungsfolgen sind vor allem Stecksplitter, Lähmung der Wadenbeinnerven links, Bewegungseinschränkung im linken Knie und in den linken Fußgelenken (Steppergang) anerkannt.

Dem Kläger ist 1941 die Reife zuerkannt worden. Er studierte ab 1946 sieben Semester Chemie und dann Volkswirtschaft. Das Studium der Volkswirtschaft schloß er 1952 mit der Diplomprüfung und 1955 mit der Promotion ab. Nachdem er ua bei einem Privatversicherer und bei einer Bausparkasse im Außendienst beschäftigt sowie anschließend arbeitslos gewesen war, wurde er am 1. Februar 1960 Geschäftsführer der Landesarbeitsgemeinschaft des Landmaschinenhandels und -handwerks Baden-Württemberg. Dort schied er 1968 aus Rationalisierungsgründen aus und arbeitete danach über vier Jahre als kaufmännischer Lehrberater bei der Oberschwäbischen Industrie- und Handelskammer. Jetzt ist er Berufsschullehrer im Angestelltenverhältnis und bezieht Bezüge nach der Vergütungsgruppe IIa des Bundesangestelltentarifs (BAT).

Seinen 1974 gestellten Antrag auf Neufeststellung der Versorgungsbezüge behandelte der Beklagte auch als Antrag auf Gewährung von Berufsschadensausgleich, weil der Kläger angegeben hatte, er habe vor der Schädigung Zahnarzt werden wollen, sei aber wegen der Verwundungsfolgen nicht mehr in der Lage gewesen, eine stehende Tätigkeit auszuüben; sein gegenwärtiges Einkommen bleibe weit hinter dem durchschnittlichen Einkommen eines Zahnarztes zurück. Antrag und Widerspruch blieben erfolglos (Bescheid vom 31. Juli 1975; Widerspruchsbescheid vom 10. März 1976). Das Sozialgericht (SG) Konstanz verurteilte den Beklagten, Berufsschadensausgleich "unter Zugrundelegung des Einkommens eines selbständig Berufstätigen mit abgeschlossener Hochschulausbildung" zu gewähren (Urteil vom 24. Mai 1978). Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat das Urteil des SG aufgehoben, die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 18. Juni 1979).

Der Kläger rügt eine Verletzung der §§ 103 und 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und des § 30 BVG.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg

vom 18. Juni 1979 aufzuheben und die Berufung des

Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz

vom 24. Mai 1978 zurückzuweisen,

hilfsweise,

die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung

an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheidet (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben. Der Rechtsstreit ist an das LSG zurückzuverweisen, weil die Feststellungen des LSG nicht ausreichen, um abschließend in der Sache zu entscheiden.

Das LSG hat den Anspruch des Klägers auf Berufsschadensausgleich mit einer Begründung verneint, die einer rechtlichen Prüfung nicht standhält. Es hat als entscheidend angesehen, daß der Kläger deshalb durch die anerkannten Schädigungsfolgen nicht wirtschaftlich benachteiligt sei, weil er aufgrund seines abgeschlossenen Volkswirtschaftsstudiums Geschäftsführer der Landesarbeitsgemeinschaft des Landmaschinenhandels und -handwerks geworden sei. Damit habe er eine Stellung erreicht, die ein Vergleichseinkommen nach der Besoldungsgruppe A 14/15 BBesG - ebenso wie beim Zahnarzt oder Chemiker - rechtfertige, so daß der behauptete wirtschaftliche Schaden für immer "kompensiert" sei.

Dem vermag der Senat nicht zu folgen.

Nach § 30 Abs 3 BVG erhalten rentenberechtigte Beschädigte (vor Inkrafttreten des 10. Anpassungsgesetzes vom 10. August 1978 - BGBl I 1217 "Schwerbeschädigte"), deren Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert ist (Einkommensverlust), nach Anwendung des Abs 2 einen Berufsschadensausgleich in näher beschriebener Höhe. Einkommensverlust ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der (gezahlten) Ausgleichsrente (derzeitiges Einkommen) und dem höheren Vergleichseinkommen (§ 30 Abs 4 Satz 1 BVG). Vergleichseinkommen ist das monatliche Durchschnittseinkommen der Berufs- oder Wirtschaftsgruppe, der der Beschädigte ohne die Schädigung nach seinen Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten und dem bisher betätigten Arbeits- und Ausbildungswillen wahrscheinlich angehört hätte (§ 30 Abs 4 Satz 2 BVG). Näheres für die Ermittlung des Vergleichseinkommens ist den §§ 2 ff der Durchführungsverordnung (DVO) zu § 30 Abs 3 bis 4 bzw 5 BVG (Fassungen vom 11. April 1974 - BGBl I 927 - und vom 18. Januar 1977 - BGBl I 162 -) und für die Ermittlung des Bruttoeinkommens § 9 DVO zu entnehmen. Danach ist festzustellen, welche Rechnungsgrößen betragsmäßig ab Antrag - 1974 - (§ 60 Abs 1 Satz 1 BVG) einander gegenüberzustellen sind (BSGE 32, 1; 34, 216; 37, 80; SozR 3100 § 30 Nr 10).

Der Kläger ist nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG seit 1973 vollbeschäftigter Berufsschullehrer im Angestelltenverhältnis; er wird nach BAT IIa bezahlt. Damit ist das Bruttoeinkommen iS des § 9 DVO nicht betragsmäßig festgestellt, so daß es an einer vergleichbaren Berechnungsgröße fehlt. Dies trifft in gleicher Weise auch für das Vergleichseinkommen zu. Das LSG hat sich auch insoweit darauf beschränkt, festzustellen, der Kläger habe jedenfalls eine der Besoldungsgruppe A 15 vergleichbare Stellung erreicht. Diese habe einer Akademikereinstufung (abgeschlossene Hochschulbildung) entsprochen. An einer betragsmäßigen Feststellung des Vergleichseinkommens fehlt es also auch hier. Mit Recht beanstandet dies die Revision.

Da der Kläger die Schädigung nach Abschluß der Schulausbildung (Reife 1941) erlitten hat, könnte sich das Vergleichseinkommen nach § 7 DVO bestimmen (vgl § 2 Abs 1 letzter Satz DVO). § 7 DVO knüpft an zwei unterschiedliche Schädigungssachverhalte an, um das Durchschnittseinkommen zu ermitteln. Abs 1 des § 7 DVO geht von dem Fall aus, daß ein Beschädigter infolge einer vor Abschluß der Schulausbildung erlittenen Schädigung in seinem beruflichen Werdegang behindert ist, Abs 2 aaO davon, daß die Schädigung nach Abschluß der Schulausbildung, jedoch vor Beginn der Berufsausbildung eingetreten ist, ohne daß sich feststellen läßt, welchen Beruf der Beschädigte ohne die Folgen der Schädigung wahrscheinlich angestrebt hätte. In beiden Fällen ist das Ergebnis dasselbe, weil das Durchschnittseinkommen nach den Besoldungsgruppen des Bundesbesoldungsgesetzes zu ermitteln ist, was hier, da allein eine Hochschulausbildung (§ 3 Abs 5 Satz 2 DVO) in Rede steht, das in § 4 Abs 1 DVO für Beamte des höheren Dienstes bestimmte Durchschnittseinkommen ist (§ 7 Abs 1 Satz 3, letzte Alternative, Abs 2 DVO). Es kann indes offen bleiben, ob das Durchschnittseinkommen des Klägers nach Abs 1 oder Abs 2 des § 7 DVO zu ermitteln ist. Der Kläger hat nämlich jedenfalls eine Hochschulausbildung als Volkswirt abgeschlossen. Zwar ist ein derartiger Fall in § 7 DVO zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens nicht geregelt. Diese planwidrige Lücke ist jedoch durch richterliche Rechtsfindung zu schließen: Wenn schon bei einer nur angestrebten abgeschlossenen Hochschulausbildung das Durchschnittseinkommen nach § 4 Abs 1 DVO zu ermitteln ist - hier höchstens nach A 15 -, muß dies erst recht gelten, wenn der Beschädigte zwar eine abgeschlossene Hochschulausbildung angestrebt hat - hier möglicherweise die Approbation als Zahnarzt -, er aber in einem anderen Studiengang ein anderes Hochschulstudium erfolgreich abgeschlossen hat, nämlich hier dasjenige der Volkswirtschaft. Da der Kläger in dem streitigen Zeitraum (ab 1974) das 47. Lebensjahr vollendet hatte, richtet sich sein Durchschnittseinkommen nach der Besoldungsgruppe A 15, wobei allerdings das Vergleichseinkommen noch näher zu ermitteln ist (§§ 2, 4 Abs 1 DVO).

Sollte der Vergleich zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen und dem Vergleichseinkommen (Durchschnittseinkommen) keinen Einkommensverlust ergeben, also ein konkreter wirtschaftlicher Schaden betragsmäßig nicht nachweisbar sein (BSGE 37, 80; SozR 3100 § 30 Nr 10), hätte der Kläger keinen Anspruch auf einen Berufsschadensausgleich.

Ergibt jedoch die betragsmäßige Gegenüberstellung einen Einkommensverlust, ist zu prüfen, ob zwischen dem festgestellten Schaden und den Schädigungsfolgen ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Die Schädigungsfolge muß eine wesentliche Bedingung für den wirtschaftlichen Schaden (Einkommensverlust) sein (ständige Rechtsprechung der KOV-Senate des BSG; vgl BSGE 37, 80, 82 = SozR 3100 § 30 Nr 1 mwN; SozR 3100 § 30 Nr 28). Demnach müssen die Schädigungsfolgen zumindest mitursächlich für den Einkommensverlust des Klägers sein (SozR 3100 § 30 Nrn 28, 41). Da insoweit die für den Anspruch des Klägers auf Berufsschadensausgleich notwendigen tatsächlichen Feststellungen fehlen, wird sie das LSG nachzuholen haben, wobei auch eine Rolle spielen könnte, daß der Kläger aus schädigungsbedingten Gründen berufliche Nachteile gehabt haben könnte.

Gegebenenfalls wird auch zu berücksichtigen sein, daß mit Wirkung vom 1. Januar 1976 in § 30 BVG ein neuer Abs 5 eingefügt wurde (vgl Haushaltsstrukturgesetz vom 18. Dezember 1975 - BGBl I 3113 - Art 2 Nr 4 Buchst a), der auch eine Änderung der DVO nach sich gezogen hat (vgl §§ 1 Abs 2, 7a DVO vom 18. Januar 1977 - BGBl I 162).

Die Kostenentscheidung bleibt dem das Verfahren abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Breith. 1981, 518

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