Entscheidungsstichwort (Thema)
Begriff einer Feststellung iS des FAG SV § 17 Abs 6
Leitsatz (redaktionell)
Zum Begriff einer Feststellung iS des FAG SV § 17 Abs 6:
Eine Feststellung iS des FAG SV § 17 Abs 6 liegt nur vor, wenn der Versicherungsträger, der Leistungen für einen nicht mehr vorhandenen oder nicht mehr erreichbaren Versicherungsträger übernahm, auch nach außen hin zum Ausdruck gebracht hatte, daß er damit eine Verpflichtung zur Leistungsgewährung anerkennen wollte. Sie liegt dagegen nicht vor, wenn der Versicherungsträger dem Versicherten lediglich mitgeteilt hatte, daß die Rente "ohne rechtliche Verpflichtung nur verlagsweise für Rechnung des an sich verpflichteten Versicherungsträgers gezahlt" werde. Interne Vermerke des Versicherungsträgers können keinen Anspruch auf Leistungen begründen.
Normenkette
SVFAG § 17 Abs. 6 Fassung: 1953-08-07
Tenor
Das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 15. Oktober 1958 wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
I
Gründe
Der Kläger, der aus Böhmen stammt und seit seiner Ausweisung in Bayern wohnhaft ist, hatte am 15. November 1941 während, seiner Tätigkeit im Dienste der damaligen Reichsbahn auf dem Bahnhof in G. eine Verletzung des linken Auges erlitten. Die damalige Reichsbahn-Ausführungsbehörde für Unfallversicherung in Dresden hatte durch Bescheid vom 22. April 1942 und 18. Januar 1944 die Entschädigung für die Folgen dieses Arbeitsunfalles festgestellt. Der Kläger bezog zuletzt eine Dauerrente in Höhe von 30 v.H. der Vollrente. Vom 1. Oktober 1946 an zahlte die Reichsbahn-Unfallversicherungsbehörde in Rosenheim diese Rente in unverminderter Höhe weiter. Der Kläger erhielt hierüber eine Mitteilung vom 7. März 1947, in der es u.a. heißt: "Die Rente wird ohne rechtliche Verpflichtung nur verlagsweise für Rechnung des an sich verpflichteten Versicherungsträgers gezahlt". In den Akten der Reichsbahn-Unfallversicherungsbehörde in Rosenheim befindet sich ein Aktenvermerk vom 13. Januar 1949, in dem ausgeführt ist:
1) Abschrift des Flüchtlingsausweises befindet sich bei den Akten.
2) Der Jahresarbeitsverdienst ist aktenkundig.
3) Die medizinischen Voraussetzungen brauchen nicht überprüft zu werden - haben sich nicht geändert -.
4) Von einer Neufeststellung der Rente nach § 3 der 1. Durchführungsverordnung wird abgesehen, weil die Rente bereits von einem deutschen Versicherungsträger festgestellt worden ist. Eine schriftliche Mitteilung über die Weiterzahlung der Rente ist bereits am 7.3.1947 erfolgt.
Ein berufungsfähiger Feststellungsbescheid ist nach der Verwaltungsbestimmung zur 1. Durchführungsverordnung zum Flüchtlingsrentengesetz nicht mehr notwendig.
Nach dem Inkrafttreten des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes vom 7. August 1953 (BGBl I 848) - FAG - stellte die Bundesbahn-Unfallversicherungsbehörde in Rosenheim die Rentenzahlungen mit Ablauf des Monats Dezember 1953 ein und übersandte die Akten an die Beklagte. Diese veranlaßte eine Untersuchung des Klägers durch Privatdozent Dr. R..., Oberarzt der Universitäts-Augenklinik in München, der in einem Gutachten vom 11. September 1954 die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf 20 v.H. schätzte. Durch Bescheid vom 10. Februar 1955 stellte die Beklagte unter Bezugnahme auf dieses Gutachten die Rente in Höhe von 20 v.H. der Vollrente neu fest.
Gegen diesen Bescheid hat der Kläger Klage beim Sozialgericht (SG) München erhoben. Dieses hat durch Urteil vom 20. Dezember 1955 in Änderung des Bescheides vom 10. Februar 1955 die Beklagte verurteilt, dem Kläger die Dauerrente von 30 v.H. über den 28. Februar 1955 hinaus weiterzugewähren. Die Berufung hat es zugelassen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt: Nach der Wohnsitzbegründung in Bayern habe der Kläger vom 1. März 1948 an gegen die Reichsbahn-Unfallversicherungsbehörde in Rosenheim einen Anspruch auf Grund des Bayerischen Flüchtlingsrentengesetzes vom 3. Dezember 1947 (GVBl 215) gehabt.
Dieser Versicherungsträger wäre berechtigt gewesen, die Rente unabhängig von früheren Einschätzungen neu festzustellen. Er habe jedoch auf Grund der Verwaltungsbestimmungen zur Ersten Durchführungsverordnung zum Flüchtlingsrentengesetz (ABl des Bayer. Ministeriums für Arbeit und soziale Fürsorge, 1948, 172) hiervon abgesehen, weil die Rente bereits von einem deutschen Versicherungsträger festgestellt gewesen sei. Die Beklagte sei nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 1 FAG zur Leistung an den Kläger verpflichtet. Der Aktenvermerk der damaligen Reichsbahn-Unfallversicherungsbehörde in Rosenheim vom 13. Januar 1949, mit dem von der Erteilung eines berufungsfähigen Feststellungsbescheides abgesehen worden sei, stehe einer rechtskräftigen Feststellung im Sinne von § 17 Abs. 6 Satz 1 FAG gleich. Die Rechtswohltat dieser Vorschrift müsse einem Flüchtlingsunfallrentner unabhängig davon zugute kommen, ob der vor dem 1. April 1952 zur Leistung verpflichtete Versicherungsträger im Bundesgebiet die Rentenzahlung auf Grund neuer Begutachtung mit förmlichem Bescheid oder ohne Nachuntersuchung formlos übernommen habe. Eine wesentliche Änderung im Sinne von § 608 der Reichsversicherungsordnung (RVO) werde von der Beklagten nicht behauptet. Dr. R. komme vielmehr nur zu einer anderen Beurteilung. Diese rechtfertige eine Neufeststellung zuungunsten des Klägers auch dann nicht, wenn die Einschätzung der MdE durch Dr. R... richtig sein sollte. Der angefochtene Bescheid habe deshalb antragsgemäß geändert werden müssen.
Die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil hat das Bayer. LSG durch Urteil vom 15. Oktober 1958 zurückgewiesen. Die Revision ist vom LSG zugelassen worden. Das LSG hat sich dem Rechtsstandpunkt des SG in allen wesentlichen Punkten angeschlossen und ausgeführt, die Maßnahme der Bundesbahn-Unfallversicherungsbehörde in Rosenheim erscheine um so verständlicher, als sie dem Kläger bereits mit Schreiben vom 7. März 1957 über die Weitergewährung der Rente Mitteilung gemacht und somit ein nach außen sichtbares, im Rechtsverkehr wirksames und verbindliches Anerkenntnis abgegeben habe.
Die Beklagte, der das Urteil am 14. Januar 1959 zugegangen ist, hat dagegen am 9. Februar 1959 Revision eingelegt und sie zugleich auch begründet.
Sie beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Urteils des Sozialgerichts München die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 10. Februar 1955 abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II
Die in der gesetzlichen Form und Frist eingelegte und begründete Revision ist durch Zulassung (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) statthaft und somit zulässig.
Sie hatte auch Erfolg.
Die Beklagte bestreitet nicht, daß sie auf Grund des FAG verpflichtet ist, dem Kläger Entschädigung für die Folgen des Unfalls vom 15. November 1941 zu gewähren. Diese Voraussetzungen für den Anspruch gegen die Beklagte sind auch vom SG und LSG zu Recht bejaht worden. Auch das Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz vom 25. Februar 1960 (BGBl I 93) - FANG - ist auf die Ansprüche des Klägers anzuwenden, da der Unfall des Klägers außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes eingetreten ist und der Kläger im Zeitpunkt des Unfalles bei einem deutschen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung versichert war (Art. 1 § 5 FANG). Nach Art. 1 § 9 FANG ist die Beklagte auch weiterhin für die Entschädigung zuständig geblieben.
Wie der Senat bereits in mehreren Urteilen näher dargelegt hat, ist der nach dem FAG zuständig gewordene Versicherungsträger grundsätzlich berechtigt, die Ansprüche unabhängig von bindenden Feststellungen durch den früher zuständig gewesenen Versicherungsträger nachzuprüfen und neu festzustellen (zB BSG 9, 273; 10, 222). Das hat auch das LSG nicht verkannt. Es ist jedoch der Auffassung, daß im vorliegenden Fall § 17 Abs. 6 FAG anzuwenden sei, nach dem eine solche selbständige Prüfung und Neufeststellung dann nicht mehr zulässig sind, wenn ein Versicherungsträger im Bundesgebiet nach dem Zusammenbruch bereits wieder eine Leistung "rechtskräftig festgestellt" hat. Das LSG sieht in Übereinstimmung mit dem SG diese Voraussetzung dadurch als erfüllt an, daß die damalige Reichsbahn-Unfallversicherungsbehörde in Rosenheim, wie sich aus dem Aktenvermerk vom 13. Januar 1949 ergibt, auf Grund der ihr vorliegenden Unterlagen den Anspruch überprüft, eine Überprüfung der medizinischen Voraussetzungen nicht für erforderlich gehalten und mit Rücksicht darauf, daß die Bescheide der Reichsbahn-Unfallversicherungsbehörde in Dresden vorgelegt worden waren, von der Erteilung eines berufungsfähigen Feststellungsbescheides abgesehen hatte. Wie sich aus den Ausführungen des LSG ergibt, verkennt es dabei jedoch insbesondere die Bedeutung des Schreibens vom 7. März 1947, mit welchem dem Kläger mitgeteilt worden war, daß er die früher von der Reichsbahn-Unfallversicherungsbehörde in Dresden gezahlte Rente vom 1. Oktober 1946 an von Rosenheim aus weitergezahlt erhalte. Dieses Schreiben enthält ausdrücklich den Vorbehalt, daß die Zahlung ohne Anerkennung einer rechtlichen Verpflichtung erfolge. Die Reichsbahn-Unfallversicherungsbehörde in Rosenheim hat also mit diesem Schreiben nicht, wie das LSG meint, ein "wirksames und verbindliches Anerkenntnis" abgegeben. Der vorliegende Fall bietet keine Veranlassung, die Frage näher zu prüfen, welche Formerfordernisse an eine "Feststellung" im Sinne von § 17 Abs. 6 FAG zu stellen sind. Eine solche Feststellung liegt aber jedenfalls, wie der Senat gleichfalls wiederholt ausgesprochen hat, nur vor, wenn der Versicherungsträger, der Leistungen für einen nicht mehr vorhandenen oder nicht erreichbaren Versicherungsträger übernahm, auch nach außen hin zum Ausdruck gebracht hatte, daß er damit eine Verpflichtung zur Leistungsgewährung anerkennen wollte (vgl. SozR FremdRG § 17 Bl. Aa 8 Nr. 13; BSG 10, 272). Die Mitteilung vom 7. März 1947 ist deshalb keine Feststellung im Sinne von § 17 Abs. 6 FAG. Ihr Charakter als unverbindliche, unter Vorbehalt ergangene Mitteilung ist auch nicht dadurch nachträglich geändert worden, daß die Reichsbahn-Unfallversicherungsbehörde in Rosenheim nach dem Inkrafttreten des Bayer. Flüchtlingsrentengesetzes vom 3. Dezember 1947 eine förmliche Feststellung der Ansprüche auf Grund dieses Gesetzes unterlassen hat. Es kann dahingestellt bleiben, welche Bedeutung es haben würde, wenn die Reichsbahn-Unfallversicherungsbehörde in Rosenheim auf Grund der Nr. 11 der Verwaltungsbestimmungen zur Ersten Durchführungsverordnung zum Flüchtlingsrentengesetz dem Kläger an Stelle eines förmlichen Bescheides lediglich eine Mitteilung des Inhalts zugeschickt hätte, daß er nunmehr die bisher gezahlte Rente auf Grund des Bayer. Flüchtlingsrentengesetzes weiter erhalte. Eine solche Mitteilung ist nicht ergangen. Die Reichsbahn-Unfallversicherungsbehörde in Rosenheim hat vielmehr die vor der Verkündung des Flüchtlingsrentengesetzes ergangene Mitteilung vom 7. März 1947 für ausreichend gehalten. Die Erwägungen, auf Grund deren die Reichsbahn-Unfallversicherungsbehörde in Rosenheim die Erteilung eines förmlichen Bescheides für überflüssig hielt, sind also niemals nach außen hin, d.h. dem Kläger gegenüber zum Ausdruck gebracht worden. Der Vermerk vom 13. Januar 1949 konnte deshalb auch nicht eine Rechtskraftwirkung oder sonstige Bindungswirkung im Verhältnis zwischen dem Kläger und der Reichsbahn-Unfallversicherungsbehörde zur Folge haben. Der Vermerk enthält vielmehr nur die Beurkundung eines internen Vorgangs, der nach der Auffassung des erkennenden Senats nicht zur Folge hatte, daß der Anspruch des Klägers auf Leistungen gegenüber der Reichsbahn-Unfallversicherungsbehörde in Rosenheim im Sinne des § 17 Abs. 6 FAG rechtskräftig festgestellt war.
Die Beklagte war hiernach berechtigt, die Ansprüche des Klägers auf Grund des FAG unabhängig von früheren Feststellungen zu prüfen und neu festzustellen. Hieran ist auch durch das Inkrafttreten des FANG nichts geändert worden, da, wie der Senat im Urteil vom 1. Juli 1960 (BSG 12, 273) mit näherer Begründung dargelegt hat, Art. 6 § 2 FANG eine Besitzstandsklausel enthält, die über § 17 Abs. 6 FAG nicht hinausgeht.
Die Revision ist demnach begründet. Das LSG hätte die Einschätzung der MdE im Bescheid der Beklagten vom 10. Februar 1955 sachlich nachprüfen und hierüber entscheiden müssen. Da eine Entscheidung über den Grad der MdE durch die Revisionsinstanz nicht möglich ist, mußte das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden. Bei der Entscheidung über den Grad der MdE wird zu berücksichtigen sein, daß die Beklagte zur Begründung der Einschätzung im Bescheid vom 10. Februar 1955 keine eigenen Erwägungen vorgetragen, sondern lediglich auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. R... Bezug genommen hat. In diesem Gutachten wird jedoch als ein bei der Einschätzung der MdE zu berücksichtigender Umstand hervorgehoben, daß das verletzte Auge jederzeit als "Reserveauge" herangezogen werden könne, während Einäugige einen derartigen Vorteil nicht hätten (vgl. hierzu das Urteil des erkennenden Senats vom 29. November 1956, BSG 4, 147, 150).
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem das Verfahren abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen