Entscheidungsstichwort (Thema)

Erweiterung des Kassenbereichs einer IKK

 

Orientierungssatz

RVO § 250 Abs 1a ist auch auf angefochtene Bescheide anzuwenden, die vor dem 1977-01-01 erlassen worden sind. Die erforderliche Zustimmung des Gesellenausschusses kann in Übergangsfällen noch während des Gerichtsverfahrens nachgeholt werden (vergleiche BSG vom 1979-12-19 8b RK 2/78 = SozR 2200 § 250 Nr 6).

 

Normenkette

RVO § 250 Abs 1a S 2 Fassung: 1976-12-28

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 19.09.1979; Aktenzeichen L 4 Kr 35/75)

SG Oldenburg (Entscheidung vom 07.04.1975; Aktenzeichen S 6 Kr 26/74)

SG Oldenburg (Entscheidung vom 07.04.1975; Aktenzeichen S 6 Kr 14/69)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Erweiterung des Kassenbereichs der beigeladenen Innungskrankenkasse (IKK) der Kreishandwerkerschaft Vechta (Beigeladene zu 2) und damit der Wechsel von 232 Versicherten der klagenden Allgemeinen Ortskrankenkasse für den Landkreis Vechta (AOK) zur Beigeladenen zu 2) rechtswirksam sind.

Die Innungsversammlung der 1961 gegründeten Kraftfahrzeug-Mechaniker-Innung des Kreises Vechta beschloß im April 1965, sich der seit langem bestehenden IKK anzuschließen. Der Gesellenausschuß stimmte zu. Die IKK beantragte im August 1966, eine entsprechende Satzungsänderung zu genehmigen. Nach der gesetzlich vorgeschriebenen Prüfung erteilte das Oberversicherungsamt den Bescheid vom 3. April 1969, mit dem der Anschluß der Kraftfahrzeug-Mechaniker-Innung Vechta an die IKK und deren entsprechende Satzungsänderung genehmigt wurden; die Genehmigung sollte am 1. des auf die Rechtskraft des Bescheides folgenden Quartals in Kraft treten. Die Klägerin hat diesen Bescheid mit der Klage angefochten (SG Oldenburg S 6 KR 14/69). Ein Mitgliederwechsel ist nicht vollzogen worden.

Die Kraftfahrzeug-Mechaniker-Innung löste sich am 28. Januar 1974 auf. Die Mitglieder der Mechaniker-Innung Vechta, die seit 1935 Trägerinnung der IKK ist, faßten gleichzeitig einstimmig den Beschluß, das Innungsfachgebiet um die Handwerke "Kraftfahr-Mechaniker und Kraftfahrzeug-Elektriker" zu erweitern und sich künftig "Kraftfahrzeug- und Mechaniker-Innung Vechta" zu benennen. Die bisherigen Mitglieder der aufgelösten Kraftfahrzeug-Mechaniker-Innung beantragten, sie in diese Innung aufzunehmen, was auch geschah. Die am 28. Januar 1974 beschlossene Satzung der Kraftfahrzeug- und Mechaniker-Innung Vechta (Beigeladene zu 1) genehmigte die Handwerkskammer Oldenburg.

Die IKK beantragte am 16. April 1974 bei dem Beklagten, ihren Bereich dem erweiterten Innungsbezirk der Kraftfahrzeug- und Mechaniker-Innung Vechta, der Beigeladenen zu 1), anzugleichen und eine entsprechende Satzungsänderung zu genehmigen. Die Vertreterversammlung der Beigeladenen zu 1) hatte diese Änderung (§ 1 Abs 4 Nr 5 der Satzung) am 23. April 1974 beschlossen. Sie sollte nach Möglichkeit zum 1. Juli 1974 in Kraft treten. Die IKK teilte mit, daß mit der Erweiterung des Kassenbereichs 232 Mitglieder der Klägerin überführt werden würden. Der Beklagte holte erneut von der klagenden AOK Vechta, von der Handwerkskammer Oldenburg sowie von den Landesverbänden der Innungskrankenkassen und der Ortskrankenkassen Stellungnahmen ein.

Am 27. September 1974 erteilte er der IKK den folgenden Bescheid:

"Der Kassenbereich der IKK Vechta wird dem Bezirk

der Kraftfahrzeug- und Mechaniker-Innung Vechta

angeglichen, die Rechtsnachfolgerin der bisherigen

Mechaniker-Innung ist und damit auch die Rechtsnachfolge

als Trägerinnung antritt. Diese Entscheidung wird am

1. Oktober 1974 wirksam. Meine am 3. April 1969

getroffene Entscheidung wird hierdurch nicht berührt".

Gleichzeitig genehmigte der Beklagte § 1 Abs 4 Nr 5 der Kassensatzung der IKK idF des 7. Nachtrags mit Wirkung vom 1. Oktober 1974.

Die Klägerin hat auch diesen Bescheid angefochten (SG Oldenburg S 6 KR 26/74).

Nachdem das Sozialgericht (SG) Oldenburg beide Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und anstelle der bisher beigeladenen Kraftfahrzeug-Mechaniker-Innung des Kreises Vechta die Kraftfahrzeug- und Mechaniker-Innung Vechta beigeladen hatte, hat es mit Urteil vom 7. April 1975 die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat das Urteil des SG geändert, soweit es die Klage gegen den Bescheid vom 3. April 1969 abgewiesen hatte; insoweit hat es den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 19. September 1979).

Die Klägerin hat Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung der §§ 250 Abs 1, 251 Abs 1 Nr 1, 252 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) sowie sinngemäß des § 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Beigeladene zu 1) hat im Revisionsverfahren eine "Bestätigung" der Kraftfahrzeug- und Mechaniker-Innung Vechta vom 15. Februar 1980 vorgelegt, wonach der am 7. September 1978 gewählte Gesellenausschuß von den Gesellen der vereinigten Kraftfahrzeug- und Mechaniker-Innung Vechta gewählt worden ist, ferner ein Schreiben des Gesellenausschusses der Kraftfahrzeug- und Mechaniker-Innung des Kreises Vechta vom 15. Februar 1980, wonach der neugewählte Gesellenausschuß der Kraftfahrzeug- und Mechaniker-Innung Vechta in seiner Sitzung vom 7. September 1978 zum Anschlußverfahren der Kraftfahrzeug- und Mechaniker-Innung Vechta an die IKK nach § 250 Abs 1 a RVO seine Zustimmung erteilt hat.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des LSG Niedersachsen vom 19. September 1979

sowie das Urteil des SG Oldenburg vom 7. April 1975

und die Bescheide des Beklagten vom 3. April 1969 und

27. September 1974 aufzuheben.

Der Beklagte und die Beigeladenen beantragen, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen.

Das LSG hat zutreffend ausgesprochen, der Rechtsstreit sei in der Hauptsache erledigt, soweit er den Bescheid des Beklagten vom 3. April 1969 betrifft. Dieser Bescheid ist gegenstandslos geworden, als sich die Kraftfahrzeug-Mechaniker-Innung Vechta am 28. Januar 1974 aufgelöst hatte; bis dahin war der Anschluß dieser Innung an die IKK, der mit diesem Bescheid genehmigt worden war, wegen des darin bestimmten Zeitpunktes seines Inkrafttretens, nämlich seiner Rechtskraft, nicht vollzogen worden. Die Klägerin räumt das mit ihrer Revision auch selbst ein.

Der weiterhin streitige Bescheid des Beklagten vom 27. September 1974 ist nicht rechtswidrig. Mit ihm hatte der Beklagte dem Antrag der IKK vom 16. April 1974 entsprochen, ihren Kassenbezirk dem Bezirk der am 28. Januar 1974 erweiterten und neu benannten Kraftfahrzeug- und Mechaniker-Innung Vechta (Beigeladene zu 1) anzugleichen und die entsprechende Satzungsänderung (§ 1 Abs 4 Nr 5) zu genehmigen. Entgegen der Auffassung der Klägerin hatte dies nicht die Mechaniker-Innung, sondern die IKK im eigenen Namen beantragt. Das Verfahren betraf nicht die handwerksrechtliche Neuorganisation der Innungen, sondern die Erweiterung des Kassenbereichs der IKK. Die IKK war insoweit allein berechtigt und verpflichtet, dieses Verfahren im eigenen Namen zu betreiben.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erweiterung des Kassenbereichs und des damit verbundenen Übertritts von Mitgliedern der Klägerin zu der IKK sind erfüllt. Nach § 250 Abs 1a RVO in der seit dem 1. Januar 1977 geltenden Fassung (Art 1 § 1 Nr 2 des Krankenversicherungs-Weiterentwicklungsgesetzes (KVWG) vom 28. Dezember 1976 - BGBl I 3871) muß der Gesellenausschuß der erweiterten Innung der Erweiterung des Kassenbereichs zustimmen; der Bestand oder die Leistungsfähigkeit der durch die Aufnahme der Mitglieder in die IKK betroffenen Ortskrankenkassen darf nicht gefährdet werden.

Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat (Urteil vom 19. Dezember 1979 - 8b RK 2/78 - demnächst in SozR 2200 § 250 Nr 6, auszugsweise in DOK 1980, S 182) ist diese Vorschrift auch auf angefochtene Bescheide anzuwenden, die vor dem 1. Januar 1977 erlassen worden sind. Die erforderliche Zustimmung kann in Übergangsfällen noch während des Gerichtsverfahrens nachgeholt werden. Nach den Feststellungen des LSG hat der Gesellenausschuß der Beigeladenen zu 1) am 7. September 1978 die Angelegenheit beraten und an diesem Tage dem Kassenbeitritt nachträglich zugestimmt. Das LSG hat keine Zweifel an den formellen Voraussetzungen, insbesondere der ordnungsgemäßen Wahl des Gesellenausschusses der Beigeladenen zu 1), gehabt. Demgegenüber bringt die Klägerin mit der Revision keine durchgreifenden Verfahrensrügen vor. Es ist nicht ersichtlich, welche konkreten Anhaltspunkte das LSG dazu hätten drängen müssen, zur Wahl des Gesellenausschusses weitere Ermittlungen anzustellen. Der neu gewählte Gesellenausschuß der Kraftfahrzeug- und Mechaniker-Innung Vechta hat daher, wie er am 15. Februar 1980 nochmals ausdrücklich bestätigt hat, die erforderliche Zustimmung rechtswirksam erteilt.

Weiterhin hat das LSG festgestellt, daß durch die Erweiterung des Kassenbereichs der IKK der Bestand oder die Leistungsfähigkeit der Klägerin nicht gefährdet ist. Auch gegen diese Feststellung bringt die Klägerin mit der Revision keine durchgreifenden Verfahrensrügen vor. Sie bezweifelt insbesondere nicht die tatsächlichen Feststellungen über ihre Beitragsentwicklung infolge der Abgabe von Mitgliedern an die IKK, wie sie das SG getroffen und wie sie das LSG übernommen hat. Inwieweit sich die Abgabe von 0,9 % ihres Mitgliederbestandes gefährdend auf ihren Bestand oder ihre Leistungsfähigkeit auswirken soll, trägt sie nicht vor. Insbesondere fehlt jede tragfähige Rüge, das LSG habe sein Recht der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) verletzt. Soweit die Klägerin meint, die Voraussetzungen, unter denen der Bestand und die Leistungsfähigkeit einer Ortskrankenkasse als gefährdet anzusehen sind, müßten neu überdacht werden, käme dies allenfalls in Betracht, wenn nach den Umständen des zu entscheidenden Falles dazu hinreichender Anlaß geboten wäre. Daß unter Berücksichtigung weiterer differenzierter Bewertungsmaßstäbe eine Gefährdung der Klägerin tatsächlich eingetreten ist, trägt die Klägerin selbst nicht vor und ist auch nicht aus ihrem Vorbringen zu entnehmen.

Weitere Einwendungen, die die Klägerin nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist vorgebracht hat, sind verspätet und können deshalb nicht berücksichtigt werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1655112

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