Leitsatz (amtlich)

Unterbleibt in der mündlichen Verhandlung die Darstellung des Sachverhalts, so kann der darin liegende wesentliche Mangel des Verfahrens in der höheren Instanz jedenfalls dann nicht mehr gerügt werden, wenn die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vertreten waren und, ohne den Mangel zu rügen, zur Sache verhandelt und Sachanträge gestellt haben.

 

Normenkette

SGG § 112 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, § 202 Fassung: 1953-09-03; ZPO § 295 Abs. 1 Fassung: 1877-01-30

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. Januar 1965 wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Im Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen vom 22. Januar 1965 ist die Revision nicht nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zugelassen worden. Sie ist deshalb nur statthaft, wenn ein wesentlicher Mangel im Verfahren des LSG gerügt ist und vorliegt (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG, Bundessozialgericht - BSG - 1, 150; 1, 254). Das ist nicht der Fall.

Die Klägerin trägt vor, ausweislich der Niederschrift über die Sitzung des LSG am 22. Januar 1965 habe in der mündlichen Verhandlung weder der Berichterstatter noch der Vorsitzende eine Darstellung des Sachverhalts gegeben. Die Streichung des entsprechenden Satzes im Protokollsvordruck beruhe auch nicht auf einem Irrtum der Schriftführerin; die Darstellung des Sachverhalts sei tatsächlich unterblieben. Das LSG habe damit gegen § 112 Abs. 1 Satz 2 SGG verstoßen. Dieser Verstoß mache die Revision statthaft.

Der erkennende Senat ist in Übereinstimmung mit dem 12. Senat des BSG (SozR SGG § 112 Da 2 Nr. 5) der Meinung, daß das Unterbleiben der Darstellung des Sachverhalts in der mündlichen Verhandlung ein wesentlicher Mangel des Verfahrens ist. Der 12. Senat hat in seinem Urteil aber nicht zu der Frage Stellung genommen, ob ein solcher Verfahrensmangel in jedem Falle noch mit Erfolg in der Revisionsinstanz gerügt werden kann. Nach § 295 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann die Verletzung einer Verfahrensvorschrift nicht mehr gerügt werden, wenn der Beteiligte auf die Befolgung der Vorschrift verzichtet oder bei der nächsten mündlichen Verhandlung den Mangel nicht gerügt hat, obgleich er erschienen und ihm der Mangel bekannt war oder bekannt sein mußte. Diese Vorschrift gilt nach § 202 SGG auch im sozialgerichtlichen Verfahren (BSG 3, 285; 4,60). Die Klägerin hat nun, wie die Sitzungsniederschrift ergibt, obwohl sie in der Verhandlung durch ihren Prozeßbevollmächtigten vertreten war, diesen Mangel nicht gerügt. Das Protokoll weist vielmehr aus, daß beide Beteiligten zur Sache verhandelt und daß sowohl die Klägerin als auch die Beklagte Sachanträge gestellt haben. Nachdem der Vorsitzende die mündliche Verhandlung geschlossen hatte, ist - nach Beratung - das Urteil verkündet worden. Sowohl die Prozeßbevollmächtigten als auch die zur Entscheidung berufenen Richter sind demnach davon ausgegangen, daß ihnen das Sach- und Streitverhältnis so vertraut gewesen ist, daß sie zur Sachentscheidung keine Ergänzung mehr brauchten und der Sachverhalt, wie er sich aus der Erörterung ergeben hatte, zur Grundlage des Urteils gemacht werden konnte. Die Klägerin trägt auch in ihrer Revisionsbegründung nichts dafür vor, daß dieser Sachverhalt einer Ergänzung bedurft hätte oder daß der Entscheidung auch Tatsache zugrunde gelegt worden wären, die nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind und zu denen sie sich nicht hätte äußern können. Bei dieser Sachlage hat die Klägerin ihr Rügerecht verloren. Jedenfalls für Fälle der vorliegenden Art muß § 112 Abs. 1 Satz 2 SGG dahin verstanden werden, daß auf seine Befolgung wirksam verzichtet werden kann. Diese Auslegung rechtfertigt sich aus § 124 Abs. 2 SGG. Danach kann "mit Einverständnis der Beteiligten das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden." Wenn aber die Beteiligten auf die mündliche Verhandlung überhaupt verzichten können, so muß es möglich sein - wenn alle Beteiligten zur mündlichen Verhandlung erschienen sind, zur Sache verhandeln und Sachanträge stellen -, daß auch auf einen Teil der mündlichen Verhandlung, nämlich auf die Darstellung des Sachverhalts, verzichtet werden kann. Die beisitzenden Richter haben von dem ihnen durch § 112 Abs. 4 Satz 1 SGG eingeräumten Fragerechts keinen Gebrauch gemacht; sie haben dadurch zum Ausdruck gebracht, daß auch sie durch die Verhandlung der Beteiligten zur Sache mit dem Sach- und Streitverhältnis - als Grundlage für den Urteilsspruch - vertraut gewesen sind.

Der von der Klägerin vorgebrachte Verfahrensmangel war also geheilt, bevor das LSG über die Berufung entschieden hat. Die Rüge dieses Mangels kann deshalb die Revision nicht statthaft machen. Das Rechtsmittel ist deshalb nach § 169 SGG durch Beschluß als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380201

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