Orientierungssatz

Anwendung der Art 2 § 36 Rentenversicherungsneuregelungsgesetz (ArVNG) iVm § 1280 Abs 1 RVO:

Der Grundsatz des Art 2 § 36 ArVNG über den garantierten Mindestbetrag der Rente darf auch bei Anwendung des § 1280 Abs 1 RVO nicht unberücksichtigt bleiben. Deshalb kann sich das Ruhen der einen Rente gemäß § 1280 Abs 1 RVO nur dahin auswirken, daß die Rente mit der ungünstigeren Zurechnungszeit in Höhe des Betrages ruht, der sich aus der Anrechnung der Zurechnungszeit ergibt, also in Höhe des Unterschiedsbetrages der Versichertenrente mit Zurechnungszeit und der Versichertenrente ohne Zurechnungszeit (vgl BSG 1967-08-31 12 RJ 538/62 = SozEntsch BSG § 1280 Nr 1).

 

Normenkette

ArVNG Art. 2 § 36; RVO § 1280 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 25.11.1964)

SG Köln (Entscheidung vom 11.03.1964)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 25. November 1964 und des Sozialgerichts Köln vom 11. März 1964 dahin abgeändert, daß die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 17. Juli 1959 verurteilt wird, der Klägerin die Sonderzuschußrente aus eigener Versicherung über den 1. Juli 1957 hinaus monatlich im Betrage von 74,30 DM neben der vollen Witwenrente zu zahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Rechtsstreit betrifft das Ruhen von Renten, wenn eine nach Art. 2 § 36 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) umgestellte Rente aus eigener Versicherung mit einer Witwenrente des neuen Rechts zusammentrifft und beide Renten auf Versicherungsfällen beruhen, die vor Vollendung des 55. Lebensjahres eingetreten sind.

Die im Jahre 1901 geborene Klägerin bezog seit 1952 eine Invalidenrente aus eigener Versicherung, die die Beklagte vom 1. Januar 1957 an nach altem Recht berechnet und gemäß Art. 2 § 36 ArVNG um den Sonderzuschuß von 21 DM erhöht hatte und mit 77 DM monatlich zahlte. Die Klägerin erhält außerdem von der Ruhrknappschaft aus der Versicherung ihres am 11. Juni 1957 verstorbenen Ehemannes vom 1. Juli 1957 an die erhöhte Witwenrente nach neuem Recht im Betrage von 136,70 DM monatlich. Bei dieser Rente ist eine Zurechnungszeit von 133 Monaten angerechnet; ohne Zurechnungszeit würde sie 96,70 DM im Monat betragen.

Durch Bescheid vom 17. Juli 1959 stellte die Beklagte bei der Rente der Klägerin aus eigener Versicherung unter Hinweis auf § 1280 der Reichsversicherungsordnung (RVO) das Ruhen eines Teils dieser Rente fest. Sie hatte errechnet, daß die nach Art. 2 § 32 ArVNG als Faktorenrente umgestellte Versichertenrente der Klägerin mit Zurechnungszeit 24,50 DM und ohne Zurechnungszeit 21,80 DM monatlich betragen würde. Da die günstigere Zurechnungszeit in der Witwenrente enthalten sei, gewährte sie der Klägerin vom 1. Juli 1957 an nur die auf 21,80 DM gekürzte Versichertenrente (Faktorenrente ohne Zurechnungszeit) neben der vollen Witwenrente. Gleichzeitig errechnete sie für die Zeit seit Juli 1957 eine Überzahlung von 1.396,80 DM. Da sie aus einer Nachzahlung der R 400 DM erhalten hatte, forderte sie von der Klägerin noch 996,80 DM zurück. Zur Befriedigung dieser Forderung behielt sie von der laufenden Rente monatlich 5 DM ein.

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin die Sonderzuschußrente aus der eigenen Versicherung über den 1. Juli 1957 hinaus zu zahlen. Mit der gegen dieses Urteil eingelegten Berufung hat die Beklagte den Standpunkt vertreten, daß sich die Besitzstandsrente des Artikels 2 § 36 ArVNG ausschließlich auf den Zeitpunkt der Umstellung, also den 1. Januar 1957 erstrecke, so daß für nachfolgende Zeiten und bei einem veränderten Tatbestand einem Besitzstand im Rahmen des Artikels 2 § 36 ArVNG nicht mehr Rechnung getragen werden könne. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten unter Zulassung der Revision zurückgewiesen. Es hat die Auffassung vertreten, die Anwendung des § 1280 RVO scheitere bereits daran, daß nicht in beiden Renten eine Zurechnungszeit enthalten sei. In der nach Art. 2 § 36 ArVNG umgestellten Sonderzuschußrente aus der eigenen Versicherung der Klägerin sei weder unmittelbar noch mittelbar eine Zurechnungszeit enthalten. Die Meinung der Beklagten, daß Art. 2 § 36 ArVNG nur im Zeitpunkt der Umstellung der Rente anzuwenden sei, sei mangels entsprechender Rechtsgrundlage nicht zutreffend.

Gegen das Urteil hat die Beklagte Revision eingelegt. Sie rügt unrichtige Anwendung des Artikels 2 § 36 ArVNG und des § 1280 RVO.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 25. November 1964 und das Urteil des SG Köln vom 11. März 1964 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

Die Revision zurückzuweisen.

Nach ihrer Ansicht läßt das Berufungsurteil eine unzutreffende Gesetzesanwendung nicht erkennen. Sie hält das angefochtene Urteil für richtig.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

II

Die Revision der Beklagten ist im wesentlichen unbegründet.

Der Klägerin steht die gemäß Art. 2 § 36 ArVNG um den Sonderzuschuß erhöhte Rente aus ihrer eigenen Versicherung vom 1. Juli 1957 an zwar nicht in voller Höhe zu, wie die Vorinstanzen angenommen haben. Ihre Versichertenrente ist aber auch nicht nur im Betrage von 21,80 DM zu zahlen, wie die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid festgestellt hat. Die Klägerin hat vielmehr vom 1. Juli 1957 an neben der vollen Witwenrente Anspruch auf Zahlung der Versichertenrente in Höhe von 77 DM abzüglich 2,70 DM, nämlich des Differenzbetrages, der sich aus der Versichertenrente mit Zurechnungszeit im Betrage von 24,50 DM und der Versichertenrente ohne Zurechnungszeit im Betrage von 21,80 DM in Höhe von 2,70 DM ergibt, also auf Zahlung von 74,30 DM. Die Versichertenrente ruht gemäß § 1280 RVO nur im Betrage von 2,70 DM.

Der Auffassung des LSG, daß die Vorschrift des § 1280 Abs. 1 Satz 1 RVO deshalb nicht anzuwenden sei, weil in der nach Art. 2 § 36 ArVNG umgestellten Besitzstandsrente der Klägerin aus ihrer eigenen Versicherung keine Zurechnungszeit im Sinne des § 1260 RVO angerechnet worden ist, ist der Senat nicht gefolgt.

Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß gemäß Art. 2 § 23 ArVNG die Vorschrift des § 1280 RVO für Rentenbezugszeiten nach dem 1. Januar 1957 auch für Versicherungsfälle gilt, die vorher, also bis zum 31. Dezember 1956, eingetreten sind. Nach § 1280 RVO wird beim Zusammentreffen einer Rente aus eigener Versicherung mit einer Witwenrente von zwei Zurechnungszeiten nur die für den Berechtigten günstigere angerechnet; die Rente, bei der die Zurechnungszeit nicht berücksichtigt wird, ruht insoweit. Es ist ebenfalls richtig, wie das LSG angenommen hat, daß die Vorschrift des § 1280 Abs. 1 RVO nur anzuwenden ist, wenn in beiden zusammentreffenden Renten Zurechnungszeiten angerechnet worden sind.

Wird allein davon ausgegangen, daß die Sonderzuschußrente der Klägerin aus ihrer eigenen Versicherung gemäß Art. 2 § 36 ArVNG nur nach altem Recht berechnet und um den Sonderzuschuß von 21 DM erhöht worden ist, so ist allerdings dem LSG darin zuzustimmen, daß bei dieser Berechnung der Rente Zurechnungszeiten im Sinne des § 1260 RVO nicht berücksichtigt worden sind, da dem alten Recht das Rechtsinstitut der Zurechnungszeit unbekannt war. Das LSG hat auch nicht übersehen, daß in der Rente aus der eigenen Versicherung der Klägerin eine pauschale Zurechnungszeit enthalten wäre, wenn sie nach Art. 2 § 32 ArVNG umgestellt worden wäre; denn die Amtlichen Berechnungsunterlagen (Bundesarbeitsblatt 57, 230, 231) ergeben, daß bei der Höhe der Umstellungsfaktoren die Bestimmungen über die Zurechnungszeit beachtet worden sind, so daß theoretisch in allen Renten, die aus Versicherungsfällen vor dem 55. Lebensjahr bewilligt worden sind, die Zeit zwischen dem Rentenbeginn und dem 55. Lebensjahr voll als Zurechnungszeit enthalten ist. Dem Umstand, daß die Höhe der Sonderzuschußrente von dem Vergleich zwischen der nach Art. 2 § 32 ArVNG zunächst berechneten Faktorenrente und der sodann gemäß Art. 2 § 36 ArVNG aus der Altrente und dem Sonderzuschuß berechneten Besitzstandsrente abhängig ist, hat das LSG nicht die Bedeutung beigemessen, daß in der gemäß Art. 2 § 36 ArVNG schließlich gewährten höheren Besitzstandsrente mittelbar eine Zurechnungszeit Berücksichtigung gefunden habe. Selbst wenn dies richtig wäre, so müssen doch die nach Art. 2 § 36 ArVNG umgestellten Renten so behandelt werden, als ob in ihnen die Zurechnungszeiten enthalten wären, die sich aus der Berechnung der Faktorenrente ergeben; denn auch die Feststellung dieser Renten sind von der am 1. Januar 1957 in Kraft getretenen Neuregelung über die Berechnung der Renten erfaßt und beeinflußt worden. Diese Renten werden nur deshalb gewährt, weil das rechnerische Ergebnis der Multiplikation von Steigerungsbetrag und Umstellungsfaktor - dessen Höhe von dem Jahr des Rentenbeginns abhängig ist - ungünstiger ist als der bisherige Rentenzahlbetrag zuzüglich des Sonderzuschusses des Art. 2 § 36 ArVNG. Mit diesen Renten wird also über die Faktorenrente hinaus die Differenz zwischen dem Rentenbetrag dieser Rente und dem sich nach Art. 2 § 36 ArVNG ergebenden Betrag gewährt, so daß die letztere Rente als "Rente mit einer angerechneten Zurechnungszeit" angesehen und behandelt werden kann. Der Bezug einer solchen Rente kann dann auch gemäß § 1259 Abs. 1 Nr. 5 RVO als Ausfallzeit berücksichtigt werden; denn dann fallen die Zeiten des Bezuges dieser Rente mit einer angerechneten Zurechnungszeit zusammen (vgl. hierzu Urteil des 1. Senats vom 23. November 1962 in SozR RVO § 1259 Nr. 7).

Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 31. August 1967 - Az.: 12 RJ 538/62 - ausgesprochen, daß sowohl die nach Art. 2 §§ 32, 36 ArVNG umgestellte Rente als auch die gemäß Art. 2 § 42 ArVNG nach altem Recht berechnete Rente im Sinne des § 1280 Abs. 1 RVO als Renten mit einer angerechneten Zurechnungszeit zu behandeln sind.

Der Senat hat in der damaligen Entscheidung entgegen der Auffassung der Beklagten ausgesprochen, daß der Grundsatz des Artikels 2 § 36 ArVNG über den garantierten Mindestbetrag der Rente auch bei Anwendung des § 1280 Abs. 1 RVO nicht unberücksichtigt bleiben darf. Deshalb kann sich das Ruhen der einen Rente gemäß § 1280 Abs. 1 RVO nur dahin auswirken, daß die Rente mit der ungünstigeren Zurechnungszeit - das ist auch hier die Versichertenrente - in Höhe des Betrages ruht, der sich aus der Anrechnung der Zurechnungszeit ergibt, also in Höhe des Unterschiedsbetrages der Versichertenrente mit Zurechnungszeit und der Versichertenrente ohne Zurechnungszeit. Da dieser Unterschiedsbetrag nach den nicht angegriffenen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil 2,70 DM beträgt, hat die Klägerin vom 1. Juli 1957 an Anspruch auf Auszahlung der Versichertenrente in Höhe von 77 DM abzüglich dieses Unterschiedsbetrages von 2,70 DM, also im Betrage von 74,30 DM. Die Versichertenrente der Klägerin ruht gemäß § 1280 Abs. 1 Satz 1 RVO nur im Betrage von 2,70 DM.

Auf die Revision der Beklagten sind aus diesen Gründen die Urteile des LSG und des SG dahin abzuändern, daß die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 17. Juli 1959 verurteilt wird, der Klägerin neben der vollen Witwenrente die Sonderzuschußrente aus eigener Versicherung über den 1. Juli 1957 hinaus im Betrage von 74,30 DM unter Berücksichtigung der seit dieser Zeit erfolgten Rentenanpassung zu zahlen. Im übrigen ist die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2290951

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