Entscheidungsstichwort (Thema)

Unfallversicherungsschutz beim Abholen von Schlechtwettergeld

 

Leitsatz (amtlich)

Der Unfall eines Schlechtwettergeldbeziehers auf dem Wege nach oder von der Stelle, an welcher der Arbeitgeber das Schlechtwettergeld auszahlt, gilt als Arbeitsunfall nach RVO § 550 iVm RVO § 539 Abs 1 Nr 1.

 

Leitsatz (redaktionell)

Das Abholen des Schlechtwettergeldes vom Arbeitgeber ist eine unfallversicherte Tätigkeit; entschädigungspflichtig ist der für den Betrieb des Arbeitgebers zuständige Unfallversicherungsträger.

 

Normenkette

RVO § 539 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1963-04-30, § 550 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30, § 548 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1963-04-30; AVAVG § 143k Fassung: 1959-12-07

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 1. Juli 1966 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger war als Hilfsarbeiter bei der Bauunternehmung F.K. H in K beschäftigt. In dem Betrieb wurde aus Witterungsgründen im Januar 1964 nicht gearbeitet. Auch der Kläger mußte die Arbeit aussetzen. Am 31. Januar 1964 wollte er das ihm für die vorangegangene Woche zustehende Schlechtwettergeld (SWG) abholen, das an diesem Tage im Lohnbüro seines Arbeitgebers ausgezahlt wurde. Auf dem Wege dorthin verunglückte er und zog sich einen Lendenwirbelbruch zu. An dessen Folgen leidet er noch erheblich.

Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 24. Februar 1965 die Gewährung der Unfallentschädigung ab. Sie ist der Ansicht, ihre Leistungspflicht sei nicht begründet, da der dem Abholen des SWG dienende Weg des SWG-Beziehers nicht dessen Beschäftigungsverhältnis zuzurechnen sei; das SWG sei kein Entgelt i.S. des § 160 der Reichsversicherungsordnung (RVO) für geleistete Arbeit, vielmehr eine Leistung aus der Arbeitslosenversicherung, wenn es auch vom Arbeitgeber ausgezahlt werde.

Der Kläger hat diesen Bescheid angefochten.

Das Sozialgericht (SG) Speyer hat die Innungskrankenkasse (IKK) K beigeladen. Es hat die Beklagte verurteilt, den Kläger für die Folgen des Unfalls vom 31. Januar 1964 zu entschädigen.

Das Landessozialgericht (LSG) hat im Berufungsverfahren die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (BfArb) beigeladen.

Es hat durch Urteil vom 1. Juli 1966 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung ist u.a. ausgeführt:

Da der Kläger während des im vorliegenden Fall in Betracht kommenden Bezugs von SWG nicht der Meldepflicht nach den Vorschriften des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) unterlegen habe, scheide schon deshalb die Anwendung des § 539 Abs. 1 Nr. 4 RVO aus und entfalle die Zuständigkeit der BfArb für eine Gewährung der begehrten Unfallentschädigung. Es bleibe aber zu prüfen, ob der Versicherungsschutz für den Kläger aus anderen Gründen gegeben sei. Das sei der Fall. Die hierbei in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkte seien in dem Urteil des Berufungsgerichts vom 16. März 1962 (Breith. 1963, 212 ff) bereits dargelegt worden. Auszugehen sei von dem Grundsatz, daß es sich bei dem regelmäßigen Lohnempfang des Beschäftigten um ein Tätigwerden handele, welches dem Betrieb des Arbeitgebers zuzurechnen sei. Nach ständiger Rechtsprechung stehe der Lohnempfang unter Versicherungsschutz, weil er Wesensbestandteil der versicherten Tätigkeit sei und daher in einem derart inneren Zusammenhang mit der versicherten Arbeitstätigkeit stehe, daß er ihr gleichzuerachten sei. Diese für den Lohnempfang entwickelten Grundsätze müßten auch für den Fall des Abholens von SWG zur Annahme eines unfallgeschützten Weges nach §§ 539 Abs. 1 Nr. 1, 550 RVO führen. Denn das Arbeitsverhältnis bestehe fort (§ 143 f Abs. 1 AVAVG); der SWG-Bezieher stehe also trotz der arbeitsfreien Tage nach wie vor in einem gegen Unfall versicherten Beschäftigungsverhältnis und werde als Arbeitnehmer beim Abholen des SWG tätig. Freilich sei der Anspruch auf SWG kein Lohnanspruch, ähnele vielmehr dem Kurzarbeiterunterstützungsanspruch des Arbeitnehmers gegen das Arbeitsamt (§§ 143 h, 143 1 Abs. 2 AVAVG). Doch sei von Bedeutung, daß das SWG vom Arbeitgeber an den Berechtigten auszuzahlen sei (§ 143 1 Abs. 4 i.V.m. § 188 Abs. 3 Satz 2 AVAVG) und darüber hinaus der Arbeitgeber die einzelnen Leistungen mit dem Arbeitsamt zu verrechnen und zur Wahrung der Rechte seiner Arbeitnehmer das Verfahren zwecks Gewährung des SWG an diese überhaupt in die Wege zu leiten habe. Die Auszahlung des SWG sei jedenfalls so eng mit dem Unternehmen verbunden, daß der Empfang des SWG ebenso wie der Lohnempfang der betrieblichen Tätigkeit zugerechnet werden müsse. Außerdem habe der Baubetrieb ein Interesse an der SWG-Regelung; denn durch sie werde ihm die eingearbeitete Belegschaft erhalten und dadurch seine Leistungsfähigkeit bei Fortführung der Bauarbeiten nach Beendigung der Schlechtwetterzeit gefördert und gesichert. Die Auszahlung des SWG durch den Arbeitgeber diene somit nicht nur den privaten Interessen des Arbeitnehmers, sondern wesentlich auch den Belangen des Unternehmers. Daher sei die Beklagte zuständig, den Kläger für die Folgen seines Unfalls auf dem Wege zum Abholen des SWG zu entschädigen. Gegen den Erlaß eines Grundurteils bestünden bei der Schwere der Verletzung keine Bedenken.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Das Urteil ist der Beklagten am 1. August 1966 zugestellt worden. Sie hat gegen das Urteil am 10. August 1966 Revision eingelegt und diese am 13. September 1966 begründet.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Der Kläger und die beigeladene IKK beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Die BfArb hat erklärt, daß sie in der Sache keinen Antrag stelle.

Sämtliche Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

II

Die Revision ist zulässig. Sie hatte jedoch keinen Erfolg.

Das LSG hat zu Recht entschieden, daß die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger für die Folgen seines Unfalls, der ihm auf dem Wege zum Abholen des ihm zustehenden SWG zustieß, zu entschädigen (§ 550 RVO i.V.m. § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO).

Die Revision weist zwar zutreffend darauf hin, daß das SWG eine Leistung ist, die im Rahmen des AVAVG aus Mitteln der BfArb gewährt und weitgehend von Maßnahmen der Dienststellen der BfArb bestimmt wird. Das SWG ist kein Arbeitslohn i.S. des § 160 RVO für eine Arbeitstätigkeit des Versicherten in dem Bauunternehmen. Die Grundsätze, die in der Rechtsprechung für den Versicherungsschutz auf Wegen zum Abholen des Arbeitslohnes entwickelt worden sind (BSG 13, 178; 20, 23), können daher nicht ohne weiteres auf das Abholen des SWG übertragen werden. Das SWG (§§ 143 d ff AVAVG) ist eine öffentlich-rechtliche Leistung, auf die ein Rechtsanspruch gegenüber der BfArb besteht und die aus deren Mitteln gezahlt wird; diese Leistung hat u.a. zur Voraussetzung, daß der auf einem witterungsabhängigen Arbeitsplatz Beschäftigte mit der Arbeit aussetzen muß, also für eine gewisse Zeit keine Arbeit für das Unternehmen erbringt (§ 143 f AVAVG). Das SWG ist jedenfalls eine Leistung der Arbeitslosenversicherung und seiner Zweckbestimmung nach eine besondere Form der Lohnausfallvergütung (§§ 116 f AVAVG). Sozialpolitisch soll dieser teilweise Lohnersatz u.a. Vollarbeitslosigkeit verhüten und vor allem auch dem Arbeitnehmer den Arbeitsplatz erhalten (vgl. z.B. Draeger/Buchwitz/Schönefelder, AVAVG, § 143 d, Randnote 3, auch Einführung S. 59; Krebs, Komm. zum AVAVG, Randn. 1 ff zu § 143 d).

Die hieraus ersichtliche Einordnung der Schlechtwettergeldregelung in das Leistungsrecht des AVAVG und ihre Bedeutung für die wirtschaftliche Sicherung des Arbeitnehmers sowie der Umstand, daß der Unternehmer das SWG für Rechnung des Arbeitsamts auszahlt, rechtfertigen es jedoch - entgegen der Auffassung der Revision - trotzdem nicht, eine rechtlich wesentliche Beziehung zwischen dem Abholen des SWG und der versicherten Tätigkeit des SWG-Beziehers im Bauunternehmen zu verneinen.

Der Anspruch auf SWG steht schon insofern mit der Tätigkeit in dem Unternehmen in engem Zusammenhang, als er von der für dieses Unternehmen geltenden arbeitsrechtlichen Regelung abhängig ist (vgl. § 143 d AVAVG), eine Anzeige und einen Antrag des Arbeitgebers (oder der Betriebsvertretung) sowie den Nachweis der Anspruchsvoraussetzungen durch den Arbeitgeber erfordert (§§ 143 e Abs. 1 Nr. 3, 143 1 AVAVG). Er setzt vor allem auch voraus, daß das Arbeitsverhältnis ungekündigt fortbesteht (vgl. § 143 f Abs. 1 AVAVG; wegen der Wirkung einer Kündigung vgl. § 143 m AVAVG). Die Regelung des SWG ist nicht in den Unterabschnitt D (Lohnausfallvergütung) des 3. Abschnitts (Arbeitslosenversicherung) des AVAVG eingegliedert worden, sondern - durch das Gesetz vom 7. Dezember 1959 (BGBl I 705) - als Unterabschnitt C (Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft) in den 4. Abschnitt (Maßnahmen zur Verhütung und Beendigung der Arbeitslosigkeit). Das SWG hat zusammen mit den fakultativen Leistungen nach §§ 143 a bis 143 c AVAVG für die Unternehmen des Baugewerbes auch eine unmittelbare wirtschaftliche Bedeutung. Die Vorschriften des Unterabschnitts C des 4. Abschnitts des AVAVG sollen es dem Baugewerbe erleichtern, ihre Kapazitäten auch während des Winters besser auszunutzen, sich ihre eingearbeitete Belegschaft zu erhalten und die Kosten und Schwierigkeiten zu vermeiden, die entstehen können, wenn bei Wiederaufnahme der Arbeit ein Teil der eingearbeiteten Belegschaft inzwischen einen anderen Arbeitsplatz gefunden hat und durch neue Arbeitskräfte ersetzt werden muß. Infolge dieser wirtschaftlichen Bedeutung der SWG-Regelung für das einzelne Bauunternehmen liegt es auch im unmittelbaren Interesse des Unternehmens, daß den Beschäftigten der Anspruch auf SWG durch Beachtung der hierfür maßgebenden Vorschriften gesichert wird. Mit der Erfüllung der Verpflichtung zur Berechnung und Auszahlung des SWG (§§ 143 1 Abs. 4, 188 Abs.3 AVAVG) wird der Unternehmer deshalb nicht nur im Interesse des Arbeitsamtes und der Anspruchsberechtigten, sondern zugleich auch im eigenen Interesse tätig.

Das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses hat zur Folge, daß auch das Weisungsrecht des Arbeitgebers bestehen bleibt. Der Unternehmer kann die Beschäftigten jederzeit wieder zur Aufnahme der Arbeit oder zu einer vorübergehenden Tätigkeit heranziehen und insbesondere auch Zeit und Ort für das Abholen des SWG bestimmen. Das Erscheinen des Beschäftigten zum Abholen des SWG ermöglicht dem Unternehmer nicht nur die Erfüllung seiner Auszahlungspflicht, sondern hat auch den Vorteil, daß der Unternehmer diese Gelegenheit ohne besondere Kosten zur Unterrichtung der Belegschaft oder dazu benutzen kann, Weisungen hinsichtlich der Wiederaufnahme der Arbeit zu erteilen.

Dieses Abholen des SWG an der vom Unternehmer bestimmten Stelle steht deshalb nach der Auffassung des erkennenden Senats in so engem Zusammenhang mit dem versicherten Beschäftigungsverhältnis, daß es auch rechtlich den Tätigkeiten aufgrund dieses Beschäftigungsverhältnisses zuzurechnen ist. Das LSG hat deshalb den Weg zum Abholen des SWG zu Recht als einen mit der Tätigkeit im Unternehmen zusammenhängenden Weg (§ 550 RVO) gewertet.

Auch wenn dieses Ergebnis, wie die Revision meint, mit Rücksicht auf eine jahreszeitlich bedingte höhere Unfallgefahr des SWG-Beziehers (z.B. Wegeunfälle bei Glatteis) eine stärkere Belastung für den Unfallversicherungsträger deshalb mit sich bringt, weil dem Versicherungsrisiko während der Zeit des SWG-Bezugs keine Beitragsaufkommen gegenüberstehen, so vermag dies nach den allgemeinen Grundgedanken der gesetzlichen UV nicht zu einer abweichenden Beurteilung des vorliegenden Sachverhalts zu führen. Das gleiche gilt von der Bezugnahme der Revision auf das Urteil des LSG Hamburg vom 10. Mai 1966 (Breith. 1966, 814 ff). In dieser Entscheidung ist für das Gebiet der Krankenversicherung das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis trotz Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses von Bauarbeitern während der Schlechtwetterzeit als beendet angesehen worden, da der Zeitpunkt, an dem das Ende der jeweiligen Schlechtwetterperiode eintrete, ungewiß sei. Ob diese Entscheidung für die gesetzliche Krankenversicherung zutrifft, kann hier ungeprüft bleiben; denn jedenfalls sind für die Beurteilung der unfallversicherungsrechtlichen Beziehungen zwischen dem SWG-Bezieher und seinem Beschäftigungsunternehmen für die Dauer der Schlechtwetterzeiten andere Gesichtspunkte maßgebend. In der gesetzlichen Unfallversicherung ist Gegenstand des Versicherungsschutzes die Tätigkeit, die mit der Beschäftigung in dem Unternehmen zusammenhängt (§ 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO), während in der gesetzlichen Krankenversicherung schlechthin das "versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis" die Rechte und Pflichten aus dem Versicherungsverhältnis begründet (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-6.Aufl., Band II, S. 472 i).

Das LSG hat hiernach zu Recht den Unfall des Klägers vom 31. Januar 1964 als Arbeitsunfall angesehen und die Beklagte zur Entschädigungsleistung verurteilt. Die Voraussetzungen für den Erlaß des Grundurteils im Berufungsverfahren waren gegeben. Nach den Feststellungen des LSG ist es wahrscheinlich, daß der geltend gemachte Leistungsanspruch in einer Mindesthöhe besteht (vgl. SozR Nr. 3 u. 4 zu § 130 SGG).

Bei diesem Ergebnis ist die BfArb schon auf Grund des § 654 Nr. 1 RVO nicht leistungspflichtig. Im übrigen könnte die Zuständigkeit der BfArb auch nur unter den Voraussetzungen des § 539 Abs. 1 Nr. 4 RVO gegeben sein. Ein Anwendungsfall dieser Vorschrift liegt aber schon deshalb nicht vor, weil der Kläger nicht der Meldepflicht nach dem AVAVG unterlag; nach den nicht angegriffenen Feststellung des LSG hatte das Arbeitsamt für den Kläger als Bezieher von SWG keine persönliche Meldung angeordnet (§§ 188 Abs.4 Satz 2, 143 k AVAVG).

Da der Entschädigungsanspruch des Klägers sonach gegen die Beklagte begründet ist, war ihre Revision zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens ergeht aufgrund des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2365158

BSGE, 84

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