Leitsatz (redaktionell)

1. Wesentlich für die Entscheidung, ob Hilflosigkeit iS des BVG § 35 vorliegt, ist allein, ob ein Beschädigter für diejenigen gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens auf ständige fremde Hilfe angewiesen ist, die für seine körperliche Existenz und für die Pflege seiner Person notwendig sind und ohne die er nicht bestehen kann. Zu diesen Verrichtungen gehören vornehmlich das An- und Auskleiden, Essen und Trinken, Waschen, Verrichten der Notdurft, die notwendige und mögliche körperliche Bewegung sowie die geistige Erholung. Die Verrichtung von hauswirtschaftlichen Arbeiten gehört nur insoweit zu diesen notwendigen Verrichtungen, als sie der Pflege und Wartung der Person des Beschädigten allein und unmittelbar dient; nicht zu den notwendigen Verrichtungen gehören demnach im allgemeinen die Instandhaltung und Reinigung der Wohnung.

Muß der Kläger trotz der Schwere der Schädigungsfolgen in seinem täglichen Leben fremde Hilfe nur bei einigen häuslichen Arbeiten wie Kochen, Wäschewaschen, Bettenmachen und Zimmerreinigen sowie gelegentlich im Straßenverkehr in Anspruch nehmen, dann kann er die gelegentlich notwendige fremde Hilfe im Straßenverkehr durch eine einfache Bitte an andere Verkehrsteilnehmer erlangen, so daß er nicht dauernd einer Begleitperson außerhalb des Hauses bedarf. Die Auffassung, daß bei diesem Maß des Angewiesenseins auf fremde Hilfe der Begriff der Hilflosigkeit des BVG § 35 Abs 1 nicht erfüllt ist und der Kläger daher keinen Anspruch auf Pflegezulage hat, ist nicht zu beanstanden.

2. Wie das BSG in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, sind durch das BVG alle älteren Versorgungsgesetze aufgehoben worden und damit die nach diesen früheren Gesetzen ergangenen Entscheidungen mit Ausnahme der Entscheidung über den ursächlichen Zusammenhang zwischen einer vorhandenen Gesundheitsstörung und einer Schädigung iS des BVG § 1 hinfällig geworden (vergleiche BSG 1955-09-20 9 RV 62/55 = BSGE 1, 210, 215; BSG 1956-09-04 10 RV 70/54 = BSGE 3, 251, 257; BSG 1956-10-16 10 RV 1050/55 = BSGE 4, 21, 23).

Daher war mit Inkrafttreten des BVG den alten Entscheidungen mit denen es abgelehnt worden war, dem Kläger Pflegegeld zu zahlen, die Fähigkeit genommen, Vergleichsgrundlage für eine Neufeststellung der Pflegezulage wegen Änderung der Verhältnisse zu sein; es konnte vielmehr nur eine Erstfeststellung zu dem Anspruch des Klägers auf Pflegezulage nach dem BVG getroffen werden.

 

Normenkette

BVG § 35 Abs. 1 Fassung: 1957-07-01, § 1 Abs. 1 Fassung: 1950-12-20

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 22. März 1956 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der Kläger bezieht seit dem 1. Oktober 1950 wegen der als Schädigungsfolgen anerkannten Gesundheitsstörungen "Oberschenkelverlust rechts und Splitterverletzung des linken Unterschenkels, Erblindung des linken Auges mit geringfügiger Linsentrübung und Zerstörung ausgedehnter Netz- und Aderhautteile, geringe Beschädigung des rechten Auges sowie Kleinsplitterverletzung und teilweise Verbrennung der Gesichtshaut, doppelseitige Schwerhörigkeit mit chronischer Mittelohreiterung", Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 v.H. nach den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Eine Entscheidung über die Gewährung oder Nichtgewährung einer Pflegezulage ist in den nach Inkrafttreten des BVG erlassenen Bescheiden vom 5. April 1951 und 18. März 1953 nicht getroffen worden, ein im Geltungszeitraum der Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 27 gestellter Antrag auf Pflegezulage war ohne Erfolg geblieben.

Im September 1953 beantragte der Kläger die Gewährung einer Pflegezulage. Der Antrag und der Widerspruch blieben erfolglos, weil der Kläger, wenn auch nur unter besonderen Anstrengungen, sämtliche Verrichtungen des täglichen Lebens selbst ausführen, sich insbesondere selbst an- und ausziehen und ohne fremde Hilfe im Verkehr bewegen könne.

Das Sozialgericht (SG) hat nach Beiziehung eines ärztlichen Gutachtens den Beklagten verurteilt, dem Kläger mit Wirkung vom 1. September 1953 die einfache Pflegezulage von monatlich 60,- DM zu gewähren. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) die Klage unter Aufhebung des sozialgerichtlichen Urteils abgewiesen. Es hat die Berufung für zulässig gehalten, weil es sich um die erstmalige Feststellung der Pflegezulage nach dem BVG handele. Da der Kläger mit Ausnahme einiger häuslicher Arbeiten wie Kochen, Waschen, Bettenmachen und Putzen sowie der in Anbetracht seines Wohnortes nur selten erforderlichen Inanspruchnahme fremder Hilfe im Straßenverkehr alle Verrichtungen des täglichen Lebens selbst ausführen könne, bedürfe er nicht einer dauernd bereitstehenden fremden Hilfe und sei daher nicht als hilflos anzusehen.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Mit der Revision hat der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des LSG Schleswig vom 22. März 1956 die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Lübeck vom 18. Februar 1955 zurückzuweisen.

Er rügt eine Verletzung des § 35 BVG. Das LSG habe den Begriff der Hilflosigkeit verkannt. In Anbetracht des auch an seinem Wohnort erheblich dichter gewordenen Verkehrs und der Rücksichtslosigkeit anderer Verkehrsteilnehmer sei er nicht mehr in der Lage, ohne Begleitperson am öffentlichen Verkehr teilzunehmen, insbesondere allein und selbständig die für seine Lebensführung notwendigen Besorgungen vorzunehmen und kulturelle Veranstaltungen zu besuchen. Bei Straßenglätte sei es ihm "gänzlich unmöglich", sich ohne fremde Hilfe außerhalb der Wohnung zu bewegen. Eine gelegentliche unentgeltliche Inanspruchnahme fremder Personen zur Hilfeleistung im Straßenverkehr könne ihm nicht zugemutet werden, weil er darin eine persönliche Herabwürdigung erblicke und eine entsprechende Bitte oft auf Ablehnung stoße. Es gehe auch nicht an, das Angewiesensein auf fremde Hilfe zur Verrichtung häuslicher Arbeiten nicht dem Begriff der Hilflosigkeit zuzuordnen. Bei dieser häuslichen Arbeit handelt es sich um die zur einfachsten Lebensführung unbedingt notwendigen Handgriffe des täglichen Lebens, die er infolge der vorhandenen Schädigungsfolgen nicht selbst verrichten könne, für deren Verrichtung durch Fremde er aber auch keine Mittel aufwenden könne, weil er durch die Schädigungsfolgen gehindert sei, entsprechende Geldmittel zu verdienen. Er würde es nicht verstehen, wenn die Vielzahl der bei ihm anerkannten Schädigungsfolgen bezüglich der Hilflosigkeit anders beurteilt werden würde als etwa der Verlust beider Unterschenkel.

Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die vom LSG gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zugelassene Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164 Abs. 1, 166 Abs. 1 SGG) und damit zulässig. Sie konnte jedoch keinen Erfolg haben.

Bei der zulässigen Revision war zunächst von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an das LSG zulässig war (BSG 4 S.70 (72), 281 (284)). Mit Recht hat das LSG die Berufung des Beklagten als zulässig angesehen. Die Berufung war nicht nach § 148 Nr. 3 SGG ausgeschlossen; denn das Urteil des SG betrifft nicht die Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen Änderung der Verhältnisse, sondern die Erstfeststellung der Pflegezulage nach dem BVG. Zwar hatten die Versorgungsbehörden bereits vor Inkrafttreten des BVG einen Antrag des Klägers auf Pflegezulage rechtsverbindlich abgelehnt und damit die Feststellung getroffen, daß dem Kläger ein Anspruch auf Pflegegeld nach den Vorschriften der SVD Nr. 27 in Verbindung mit der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht zustehe. Wie das Bundessozialgericht (BSG) in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, sind durch das BVG alle älteren Versorgungsgesetze aufgehoben worden und damit die nach diesen früheren Gesetzen ergangenen Entscheidungen mit Ausnahme der Entscheidung über den ursächlichen Zusammenhang zwischen einer vorhandenen Gesundheitsstörung und einer Schädigung im Sinne des § 1 BVG hinfällig geworden (BSG 1 S. 210 (215); 3 S. 251 (257); 4 S. 21 (23)). Daher war mit Inkrafttreten des BVG den alten Entscheidungen, mit denen es abgelehnt worden war, dem Kläger Pflegegeld zu zahlen, die Fähigkeit genommen, Vergleichsgrundlage für eine Neufeststellung der Pflegezulage wegen Änderung der Verhältnisse zu sein; es konnte vielmehr nur eine Erstfeststellung zu dem Anspruch des Klägers auf Pflegezulage nach dem BVG getroffen werden. Da in den nach Inkrafttreten des BVG zunächst ergangenen Bescheiden vom 5. April 1951 und 18. März 1953 keine Entscheidung über die Gewährung oder Ablehnung der Pflegezulage getroffen worden ist, handelt es sich bei dem angefochtenen Bescheid um die Ablehnung der begehrten Erstfeststellung über einen Teil der Versorgungsbezüge nach dem BVG, so daß die Berufung nicht ausgeschlossen war (vgl. BSG 3 S. 271 (274); 8 S. 97 und 130 (132), BSG in SozR SGG § 148 Bl. Da 5 Nr. 13 und Bl. Da 6 Nr. 17, Urt. v. 29.10.1959 - 8 RV 1019/57 -, veröff. in VdK Mitt. 1959 S. 550; Urt. des erk. Senats vom 23.2.1960 - 10 RV 1371/58 - veröff. in Breith. 1960 S. 528).

Die Revision greift die vom LSG getroffene und seiner Entscheidung zugrunde gelegte Feststellung an, der Kläger bedürfe trotz der Schwere und der Vielzahl der bei ihm anerkannten und vorhandenen schädigungsbedingten Gesundheitsstörungen insbesondere in Anbetracht seines Wohnortes nicht dauernd einer Begleitperson im Straßenverkehr, weil er nur bei Entzündungen des in der Sehkraft erhalten gebliebenen rechten Auges und bei belebten Straßen gelegentlich gezwungen sei, im Straßenverkehr um Hilfe zu bitten, die ihm auch von Fremden jederzeit gewährt werde. Angriffe gegen tatsächliche Feststellungen des LSG können in der Revisionsinstanz nur dann Erfolg haben, wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind (§ 163 SGG), wenn also die Feststellungen entgegen den Vorschriften des Verfahrensrechts zustande gekommen und diese Verfahrensverstöße gerügt sind. Der Kläger hat in der Revisionsbegründung allerdings nicht ausdrücklich das Vorliegen wesentlicher Verfahrensmängel gerügt. Aus seinen Ausführungen über die erhebliche Verkehrsdichte in seinem Wohnort E und die oft mangelnde Hilfsbereitschaft fremder Personen könnte allenfalls entnommen werden, daß er geltend machen will, das LSG habe mit der Annahme, er benötige auch im Straßenverkehr trotz der Schwere der Schädigungsfolgen nur gelegentlich fremde Hilfeleistung, den ihm vorliegenden Tatsachenstoff falsch gewürdigt und damit § 128 SGG verletzt. Ein derartiger Verfahrensmangel liegt jedoch nicht vor.

Hierbei ist unschädlich, daß die verletzte Rechtsnorm in der Revisionsbegründung nicht ausdrücklich bezeichnet worden ist. Der Vorschrift des § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG ist genügt, wenn sich aus den vorgetragenen Tatsachen ergibt, welche Verfahrensvorschrift als verletzt angesehen wird (BSG Bd.1 S. 227). Nach § 128 SGG entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung; es hat im Urteil die Gründe anzugeben, die für seine richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Ein Mangel des Verfahrens in bezug auf die Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Gericht die gesetzlichen Grenzen seines Rechts auf freie richterliche Beweiswürdigung überschritten hat, insoweit kommt insbesondere ein Verstoß gegen Erfahrungssätze des täglichen Lebens oder gegen Denkgesetze in Betracht. Die Feststellung des LSG, die Verkehrsverhältnisse in Eutin, dem Wohnort des Klägers, seien nicht so, daß der Kläger sich in Anbetracht seiner schädigungsbedingten Gesundheitsstörungen stets nur in Begleitung auf die Straße wagen könnte, widerspricht weder den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens noch den Denkgesetzen. Sie wird vielmehr schon durch die Ausführungen der Revision bestätigt, lediglich bei Straßenglätte sei es dem Kläger "gänzlich unmöglich", sich ohne fremde Hilfe außerhalb der Wohnung zu bewegen. Damit hat der Kläger selbst dargelegt, daß es ihm bei anderen Witterungsverhältnissen nicht gänzlich, wenn auch in Anbetracht seiner schweren Beeinträchtigungen nur unter Schwierigkeiten möglich ist, sich ohne fremde Hilfe außerhalb der Wohnung, d.h. auch in Eutin im Straßenverkehr zu bewegen. Daraus ergibt sich, daß der Kläger die Notwendigkeit für die Inanspruchnahme fremder Hilfe im Straßenverkehr entweder nur anders beurteilt, als es das LSG getan hat oder die Inanspruchnahme fremder Hilfe bei Straßenglätte nicht als nur gelegentlich ansieht. Diese andere Beurteilung oder andere Bezeichnung eines Sachverhalts stellt aber noch keinen Verstoß gegen Erfahrungssätze des täglichen Lebens oder gegen Denkgesetze dar. Wenn auch, wie die Revision ausführt, die Schwierigkeiten des Klägers im Straßenverkehr möglicherweise durch einen wachsenden Mangel an Hilfsbereitschaft noch verstärkt werden, so widerspricht die Feststellung des LSG, es sei dem Kläger möglich, auch im Straßenverkehr in Notfällen jederzeit kurzfristig unentgeltlich fremde Hilfe zum Überqueren der Fahrbahn zu erhalten, nicht den Erfahrungen des täglichen Lebens. Das LSG hat demnach bei seinen Feststellungen jedenfalls nicht die Grenzen seines Rechts zur freien Beweiswürdigung (§ 128 SGG) überschritten.

Greifen hiernach die Angriffe der Revision gegen die vom LSG getroffenen Feststellungen nicht durch, so war der Senat nach § 163 SGG daran gebunden. Er hatte mithin seiner rechtlichen Beurteilung die Feststellung zugrunde zu legen, daß der Kläger trotz der Schwere der Schädigungsfolgen in seinem täglichen Leben fremde Hilfe nur bei einigen häuslichen Arbeiten wie Kochen, Wäschewaschen, Bettenmachen und Zimmerreinigen sowie gelegentlich im Straßenverkehr in Anspruch nehmen muß; diese gelegentlich notwendige fremde Hilfe im Straßenverkehr kann er durch eine einfache Bitte an andere Verkehrsteilnehmer erlangen, so daß er nicht dauernd einer Begleitperson außerhalb des Hauses bedarf. Die Auffassung des LSG, daß bei diesem Maß des Angewiesenseins auf fremde Hilfe der Begriff der Hilflosigkeit des § 35 Abs. 1 BVG nicht erfüllt ist und der Kläger daher keinen Anspruch auf Pflegezulage hat, ist nicht zu beanstanden.

Nach der genannten Vorschrift ist eine Pflegezulage zu gewähren, solange ein Beschädigter infolge der Schädigung so hilflos ist, daß er nicht ohne fremde Wartung und Pflege bestehen kann. Der Begriff der Hilflosigkeit ist in der derzeitigen Fassung des Gesetzes nicht erläutert. Wie das BSG in Übereinstimmung der Rechtsprechung des früheren Reichsversorgungsgerichts (RVGer.) zu der im wesentlichen gleichlautenden Vorschrift des § 31 des Reichsversorgungsgesetzes (RVG) bereits mehrfach entschieden hat (BSG 8 S. 97; BSG in SozR BVG § 35 Bl. C a 3 Nr. 7 sowie die Urteils vom 29.10.1959 - 8 RV 1019/57 - und vom 23.2.1960 - 10 RV 1371/58 -), ist dieser Begriff, wie ihn auch die Verwaltungsvorschrift Nr.1 (1) zu § 35 BVG erläutert, dahin zu verstehen, daß derjenige Beschädigte hilflos im Sinne des § 35 BVG ist, der für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens, also nicht nur für einzelne Verrichtungen, ganz oder in erheblichem Umfange fremder Hilfe dauernd bedarf; dabei ist nicht erforderlich, daß die Hilfe tatsächlich fortwährend geleistet wird; es genügt vielmehr, daß die Hilfskraft ständig in Bereitschaft stehen muß. § 35 BVG verlangt mithin für die Gewährung der Pflegezulage ein solches Maß von Hilflosigkeit, daß der Beschädigte auf Grund seines Leidenszustandes nicht ohne eine ihm persönlich zuteil werdende ständige fremde Wartung und Pflege bestehen kann (vgl. die vorgen . BSG-Entsch. sowie die Entsch. RVGer. 2 S. 188 und 207; 6 S. 43; 7 S. 218; 9 S. 267; 12 S. 218 zu § 31 RVG). Wesentlich für die Entscheidung, ob Hilflosigkeit im Sinne des § 35 BVG vorliegt, ist demnach allein, ob ein Beschädigter für diejenigen gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens auf ständige fremde Hilfe angewiesen ist, die für seine körperliche Existenz und für die Pflege seiner Person notwendig sind und ohne die er nicht bestehen kann. Zu diesen Verrichtungen gehören vornehmlich das An- und Auskleiden, Essen und Trinken, Waschen, Verrichten der Notdurft, die notwendige und mögliche körperliche Bewegung sowie die geistige Erholung. Die Verrichtung von hauswirtschaftlichen Arbeiten gehört, wie der erkennende Senat bereits im Urteil vom 23. Februar 1960 - 10 RV 1371/58 - ausgeführt hat, nur insoweit zu diesen notwendigen Verrichtungen, als sie der Pflege und Wartung der Person des Beschädigten allein und unmittelbar dient; nicht zu den notwendigen Verrichtungen gehören demnach im allgemeinen die Instandhaltung und Reinigung der Wohnung. Nach den für das BSG verbindlichen Feststellungen des LSG bedarf demnach der Kläger bei den für seine Existenz notwendigen Verrichtungen fremder Hilfe nur beim Kochen und gelegentlich im Straßenverkehr. Es kann dahinstehen, ob der Kläger am Straßenverkehr in Eutin nicht nur zur Erledigung persönlicher Besorgungen, sondern auch zur notwendigen körperlichen Bewegung teilnehmen muß, und ob das Bettenmachen, Wäschewaschen und Zimmerreinigen noch zu den notwendigen Verrichtungen, d.h. zu den unmittelbar der Pflege und Wartung der Person des Klägers dienenden Verrichtungen gehört. Selbst wenn das unterstellt wird, bedarf der Kläger mithin nur bei einzelnen, nicht aber bei "den" gewöhnlichen Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens fremder Hilfe. Er bedarf ferner dieser fremden Hilfe auch nicht dauernd und in erheblichem Umfang, sondern nur gelegentlich und in verhältnismäßig geringfügigem Maße. Der durch Schädigungen bedingte Leidenszustand des Klägers macht es weder erforderlich, daß fremde Hilfe dauernd geleistet wird, noch, daß sie jederzeit bereitstehen muß.

Das Maß, in welchem der Kläger auf fremde Hilfe zu lebensnotwendigen Verrichtungen angewiesen ist, reicht mithin, wie das LSG zutreffend angenommen hat, nicht aus, ihn als hilflos im Sinne des § 35 BVG ansehen zu können.

Gegenüber dieser Auslegung des § 35 Abs. 1 BVG macht der Kläger geltend, er habe kein Verständnis dafür, daß die Vielzahl der bei ihm anerkannten Schädigungsfolgen bezüglich der Hilflosigkeit anders beurteilt werde als etwa ein Verlust beider Unterschenkel. Hiermit verweist der Kläger auf die durch die Verwaltungsvorschrift Nr. 8 (1) zu § 35 BVG für die Versorgungsverwaltung verbindlich gewordene Verwaltungsübung, Doppelamputierten ohne weitere Prüfung mindestens die einfache Pflegezulage zu gewähren. Er meint offenbar, die in Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) normierte Gleichheit aller vor dem Gesetz erfordere seine Gleichstellung mit einem Doppelamputierten und damit die Zubilligung der Pflegezulage. Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob beim Verlust zweier Gliedmaßen die Hilflosigkeit nicht ohnehin anders zu beurteilen ist als beim Verlust eines Gliedes mit weiteren schweren Schädigungsfolgen, wie sie beim Kläger insbesondere durch den Verlust der Sehkraft eines Auges vorhanden sind. Selbst wenn der Verlust eines Gliedes, verbunden mit weiteren schweren Schädigungen, stets dem Verlust zweier Glieder gleichzusetzen wäre, dann könnte der Kläger, der nicht hilflos im Sinne des § 35 Abs.1 BVG ist, nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz die Pflegezulage nur erhalten, wenn auch die Doppelamputierten nicht hilflos wären. Das behauptet nicht einmal der Kläger, der nur zum Ausdruck bringt, daß unter den Doppelamputierten sich gelegentlich auch Nicht-Hilflose befanden. Wenn auf Grund der Verwaltungsübung nur gelegentlich einem Doppelamputierten die einfache Pflegezulage gewährt worden sein sollte, der nicht hilflos im Sinne des § 35 Abs. 1 BVG ist, kann der Kläger daraus nicht den Anspruch herleiten, auch ihm die Pflegezulage zu gewähren. Die Gewährung der Pflegezulage an einen nicht hilflosen Doppelamputierten würde nicht auf einer bezüglich der Hilflosigkeit ungleichen Behandlung gleichgelagerter Fälle durch das Gesetz selbst, sondern auf einer im Einzelfall unrichtigen Anwendung des Gesetzes durch die Verwaltung beruhen, die durch eine insoweit dem Gesetz widersprechende Verwaltungsvorschrift verursacht sein würde. Wie der erkennende Senat bereits im Urteil vom 18. März 1958 (BSG 7 S. 75 (78)) ausgeführt hat, kann eine dem Gesetz widersprechende Verwaltungsvorschrift und Verwaltungsübung in Verbindung mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht dazu führen, den Inhalt des Gesetzes selbst zu ändern.

Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Pflegezulage ist demnach, wie das LSG zutreffend angenommen hat, unbegründet. Die Revision gegen das Urteil des Berufungsgerichts war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2325662

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