Leitsatz (amtlich)

Der versorgungsrechtliche Anspruch eines Schwerbeschädigten auf Heilbehandlung wegen Gesundheitsschäden, die nicht Folge einer Schädigung sind (BVG § 10 Abs 5 Fassung: 1953-08-07), wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der für den Fall der Krankheit versicherte Ehegatte des Schwerbeschädigten einen Anspruch auf Familienhilfe (RVO § 205) hat.

 

Normenkette

RVO § 205 Abs. 1 Fassung: 1933-03-01; BVG § 10 Abs. 5 S. 1 Fassung: 1953-08-07, S. 5 Fassung: 1953-08-07

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. März 1962 dahin geändert, daß die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 11. Dezember 1958 in vollem Umfang zurückgewiesen wird.

Außergerichtliche Kosten des zweiten und dritten Rechtszuges sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK), deren Mitglied die beigeladene Frau Sch ist, zur Gewährung der Familienkrankenpflege für eine nicht als Schädigungsfolge anerkannte Gesundheitsstörung ihres schwerkriegsbeschädigten Ehemannes verpflichtet ist, oder ob die Versorgungsbehörde die Heilbehandlung zu gewähren hat (§ 10 Abs. 5 des Bundesversorgungsgesetzes - BVG - in der Fassung vom 7. August 1953).

Der Beigeladene Josef Sch (Sch.) ist selbständiger Schuhmacher. Er ist Schwerbeschädigter im Sinne des BVG und bezieht eine Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v. H. Die beigeladene Ehefrau Sch. ist auf Grund versicherungspflichtiger Beschäftigung Mitglied der beklagten AOK.

Das Versorgungsamt Bayreuth lehnte den Antrag des Ehemannes Sch. vom 5. Januar 1956 auf Gewährung von Heilbehandlung für die nicht als Schädigungsfolge anerkannten Gesundheitsstörungen (§ 10 Abs. 5 Satz 1 BVG aF) und den vorläufig angemeldeten Ersatzanspruch der beklagten AOK (vgl. § 21 BVG aF) ab. Zur Begründung führte es aus, die Ehefrau des Versorgungsberechtigten stehe in einem versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis, sie habe daher für ihren Ehemann Anspruch auf Leistungen aus der Familienhilfe nach § 205 der Reichsversicherungsordnung (RVO), der dem Anspruch aus § 10 Abs. 5 Satz 1 BVG vorgehe. Mit Bescheid vom 12. März 1956 lehnte die beklagte AOK gegenüber der Ehefrau Sch. die Gewährung von Familienhilfe für den Ehemann ab. Die Voraussetzungen des § 205 RVO lägen nicht vor, weil der Ehemann im Hinblick auf sein eigenes Einkommen nicht unterhaltsberechtigt gewesen sei. Dieser Bescheid wurde von der beigeladenen Ehefrau nicht angefochten.

Der Beigeladene Sch. beantragte daraufhin im November 1956 abermals die Gewährung der Heilbehandlung beim Versorgungsamt. Dieser Antrag wurde durch Bescheid vom 4. Januar 1957 abgelehnt. Auf den Widerspruch des Beigeladenen erließ das Versorgungsamt am 16. Mai 1957 einen Abhilfebescheid und gewährte ihm vorläufig bis zur endgültigen Klärung der Rechtslage Heilbehandlung nach § 10 Abs. 5 Satz 1 BVG aF.

Der Kläger (Freistaat Bayern) erhob nunmehr Klage gegen die AOK vor dem Sozialgericht (SG) Bayreuth und beantragte, die Beklagte zu verurteilen, ihm die Kosten der seit dem 5. Januar 1956 an den Ehemann Sch. unter Vorbehalt gewährten Heilbehandlung zu ersetzen und festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, auf Grund der Versicherung der Ehefrau Sch. Familienkrankenpflege für die nicht als Schädigungsfolge anerkannten Gesundheitsstörungen des Josef Sch. zu gewähren. Das SG hat die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen (Urteil vom 11. Dezember 1958). Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Die Voraussetzungen des § 205 RVO hätten nicht vorgelegen, weil der Ehemann Sch. gegenüber seiner Ehefrau nicht unterhaltsberechtigt gewesen sei. Er habe bei Anrechnung seiner Versorgungsrente ein Einkommen von rund 170,- DM monatlich gehabt. Sein Unterhaltsbeitrag habe bei Berücksichtigung seiner Leistungen für den Haushalt annähernd die Hälfte des gemeinsamen Unterhaltsbedarfs ausgemacht. Bei diesen Verhältnissen sei er keineswegs darauf angewiesen gewesen, seinen Unterhalt aus den von seiner Ehefrau aufgebrachten finanziellen Mitteln überwiegend oder zum Teil bestreiten.

Auf die Berufung des klagenden Landes hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG teilweise aufgehoben und die beklagte AOK verurteilt, dem Kläger die Kosten für die dem Beigeladenen Josef Sch. in der Zeit vom 5. Januar 1956 bis zum 31. Dezember 1957 gewährte Heilbehandlung wegen Gesundheitsstörungen zu erstatten, die nicht als Schädigungsfolge anerkannt sind. Im übrigen wurde die Berufung zurückgewiesen.

Das LSG hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Der Anspruch der Versorgungsverwaltung sei begründet, weil die beklagte AOK nach § 205 RVO verpflichtet gewesen sei, dem beigeladenen Ehemann Krankenpflege zu gewähren. Wohl habe Sch. als Schwerbeschädigter nach § 10 Abs. 5 Satz 1 BVG aF grundsätzlich Anspruch auf Versorgungsheilbehandlung auch für Gesundheitsschäden gehabt, die nicht Schädigungsfolgen seien. Dies gelte nach Satz 5 dieser Vorschrift jedoch nicht, wenn die Krankenbehandlung anderweitig sichergestellt sei oder sichergestellt werden könne. Dies entspreche dem fürsorgerechtlichen Charakter der Versorgungsheilbehandlung für Nichtschädigungsfolgen, die subsidiär gegenüber allen anderen Ansprüchen auf Krankenbehandlung sei. Dem stehe nicht entgegen, daß der Anspruch auf Familienkrankenpflege nach § 205 Abs. 1 RVO ebenfalls dahingehend eingeschränkt sei, daß nicht anderweit ein gesetzlicher Anspruch auf Krankenpflege bestehe; denn im Verhältnis zu § 10 Abs. 5 BVG gehe die Leistungspflicht aus der sozialversicherungsrechtlichen Selbsthilfe nach der RVO vor. - Der Einwand der beklagten AOK, daß die Familienkrankenpflege nach § 205 RVO deshalb nicht in Frage komme, weil der Ehemann Sch. gegenüber seiner versicherten Ehefrau nicht unterhaltsberechtigt sei, greife nicht durch. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei im Verhältnis der Ehegatten, die beide Einkommen haben, derjenige als unterhaltspflichtig anzusehen, der das höhere Einkommen beziehe und deshalb im allgemeinen mehr zum angemessenen Unterhalt der Familie beizutragen habe. Da das Einkommen des Ehemannes Sch. in den Jahren 1956 und 1957 mit durchschnittlich monatlich 170,- DM gegenüber dem seiner Ehefrau mit durchschnittlich monatlich 230,- DM erheblich niedriger gewesen sei, wobei noch die ausschließlich für sein Kriegsleiden gewährte Versorgungsrente außer Betracht bleiben müsse, habe er gegenüber seiner Ehefrau Anspruch auf einen höheren Beitrag zum Familienunterhalt und sei damit unterhaltsberechtigt im Sinne des § 205 Abs. 1 RVO. Auch die behauptete Haushaltsführung des Ehemannes Sch. habe seinen Anspruch gegenüber seiner mehr verdienenden Ehefrau auf Leistung eines höheren finanziellen Beitrags zum gemeinsamen Familienunterhalt nicht beseitigt, sondern habe ihm nur das Recht gegeben, den eigenen finanziellen Beitrag zu den Kosten der Haushaltsführung um den Wert der Leistung herabzusetzen, die sich aus seiner Haushaltsführung ergeben habe. Der Erstattungsanspruch des Klägers gegenüber der Beklagten werde auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß die Beklagte durch rechtsverbindlichen Bescheid vom 12. März 1956 gegenüber der Ehefrau Sch. die Familienkrankenhilfe abgelehnt habe, weil dieser Bescheid gegenüber dem Kläger keine Wirksamkeit erlangt habe.

Die auf die Zukunft gerichtete Feststellungsklage sei dagegen nicht begründet. - Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die beklagte AOK hat ... Revision eingelegt mit dem Antrag,

das Urteil des Bayerischen LSG vom 21. März 1962 aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.

Zur Begründung hat sie im wesentlichen vorgetragen: Der Anspruch der Ehefrau Sch. auf Familienkrankenpflege nach § 205 RVO für ihren Ehemann entfalle schon deshalb, weil bei Berücksichtigung der Haushaltsführung der Ehefrau sich ihre Beitragspflicht zum Unterhalt der Familie verringere, so daß der Unterhaltsbeitrag des Josef Sch. höher sei als der seiner Ehefrau. Im übrigen stünden sich mit § 10 Abs. 5 BVG aF und § 205 RVO zwei sondergesetzliche Regelungen gegenüber, die jeweils die Leistungsgewährung davon abhängig machten, daß die Behandlung nicht anderweitig sichergestellt sei. Berücksichtige man, daß § 205 RVO schon vor der Schaffung des BVG bestanden habe und der Gesetzgeber es unterlassen habe, durch eine entsprechende Formulierung die von Anfang an bestehenden Zweifel über die Subsidiarität des § 10 Abs. 5 BVG gegenüber § 205 RVO zu beseitigen, so müsse daraus geschlossen werden, daß § 10 Abs. 5 BVG in solchen Fällen vorrangig sein solle; das gelte um so mehr, als der Gesetzgeber in anderen Gesetzen die Subsidiarität bestimmter gesetzlicher Vorschriften deutlich zum Ausdruck gebracht habe (§ 276 Lastenausgleichsgesetz idF vom 29. Juli 1959, BGBl I 545; § 2 Abs. 2 Bundessozialhilfegesetz - BSHG - vom 30. Juni 1961, BGBl I 815). Träger des Anspruchs auf Familienkrankenpflege sei auch nicht der erkrankte Angehörige, sondern der Versicherte selbst. Habe aber der Beschädigte selbst keinen Anspruch auf Familienkrankenpflege, so sei die Behandlung auch nicht anderweitig sichergestellt im Sinne des § 10 Abs. 5 BVG aF.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

II

Die Revision der beklagten AOK ist begründet, weil das LSG zu Unrecht davon ausgegangen ist, daß die AOK nach § 205 RVO verpflichtet gewesen sei, dem Schwerbeschädigten Sch. Krankenpflege zu gewähren.

1.) Dem mit der Klage geltend gemachten Anspruch des Versorgungsträgers steht zwar nicht entgegen, daß die beklagte AOK am 12. März 1956 einen Bescheid erlassen hat, durch den der Antrag der beigeladenen Ehefrau auf Gewährung der Familienhilfe abgelehnt worden ist. Denn dieser Bescheid, den die Ehefrau Sch. nicht angefochten hat, ist nur für die Beteiligten - d. s. die beklagte AOK und die Ehefrau Sch. - in der Sache bindend geworden (§ 77 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Die Rechtsprechung des erkennenden Senats über die Bindungswirkung von Verwaltungsakten eines Versicherungsträgers gegenüber einem anderen Versicherungsträger (vgl. BSG 15, 118, 125; 17, 89, 93; 17, 261, 263; 19, 178) kann hier nicht herangezogen werden, weil sie nur solche Verwaltungsakte von Versicherungsträgers betrifft, die diese kraft ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift mit verbindlicher Wirkung für einen anderen Versicherungsträger treffen können. Die AOK war aber nicht berechtigt, die Gewährung von Familienhilfe mit verbindlicher Wirkung auch für den Versorgungsträger abzulehnen. Gegen die von diesem erhobene Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) bestehen daher keine verfahrensrechtlichen Bedenken.

2.) Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt in der Sache selbst davon ab, ob der versorgungsrechtliche Anspruch eines Schwerbeschädigten auf Gewährung von Heilbehandlung für Gesundheitsstörungen, die nicht Folge einer Schädigung sind, dann entfällt, wenn der zum Unterhalt verpflichtete Ehegatte des Schwerbeschädigten gegenüber seiner Krankenkasse einen Anspruch auf Familienkrankenpflege hat.

Gegenstand des Rechtsstreits sind die Kosten einer Heilbehandlung, die von der Versorgungsverwaltung in den Jahren 1956 und 1957 durchgeführt worden ist. Maßgebend für die rechtliche Beurteilung sind, soweit es sich um Maßnahmen der Versorgungsbehörde handelt, die Vorschriften des BVG in der Fassung vom 7. August 1953 (BGBl I 866). Die Voraussetzungen der im Rahmen der Versorgung zu gewährenden Heilbehandlung sind in § 10 dieses Gesetzes geregelt. Während grundsätzlich nur ein Anspruch auf Heilbehandlung wegen anerkannter Folgen der Schädigung besteht, erhalten Schwerbeschädigte auch für Gesundheitsstörungen, die nicht Folge einer Schädigung sind, Heilbehandlung (§ 10 Abs. 5 Satz 1 BVG aF). Die Leistungen nach § 10 Abs. 5 Sätze 1 bis 3 BVG werden jedoch nicht gewährt, "wenn die Krankenbehandlung anderweitig sichergestellt ist oder sichergestellt werden kann". Unter welchen Voraussetzungen die Krankenbehandlung als sichergestellt angesehen werden kann, ist in der hier maßgebenden Fassung des BVG nicht gesagt. Von einer Sicherstellung der Krankenbehandlung, die der Gewährung der Heilbehandlung nach § 10 Abs. 5 Satz 5 BVG aF entgegensteht, kann grundsätzlich nur gesprochen werden, wenn der Schwerbeschädigte selbst einen Rechtsanspruch auf Krankenbehandlung nach anderen gesetzlichen Vorschriften hat oder wenn er auf Grund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse in der Lage ist, die Kosten der Krankenbehandlung selbst zu tragen. Von diesem Grundsatz gehen auch die Verwaltungsvorschriften idF vom 31. August 1953 (BAnz. Nr. 170 vom 4. September 1953) aus. Diese zur Durchführung des BVG erlassenen Bestimmungen enthalten zwar keine "authentische Auslegung" der gesetzlichen Vorschriften, sondern geben die Meinung der Verwaltung über die Auslegung des Gesetzes wieder (vgl. BSG 6, 175; 6, 252); als gewichtige, wenn auch nicht bindende Meinung über die Auslegung des Gesetzes verdienen sie aber auch Beachtung durch die Gerichte. Nach Nr. 10 Abs. 2 der zu § 10 BVG aF ergangenen Verwaltungsvorschriften sind die Heilbehandlung der Schwerbeschädigten und die Krankenbehandlung für Angehörige Schwerbeschädigter sichergestellt, soweit und solange ein "Anspruch" gegen einen Sozialversicherungsträger oder auf Grund eines Vertrages gegen Dritte besteht, wozu jedoch nicht vertragliche Ansprüche aus einer privaten Krankenversicherung gehören. Nach Nr. 10 Abs. 3 der Verwaltungsvorschriften zu § 10 BVG aF gelten - mit einer näher umschriebenen Ausnahme - Heilbehandlung und Krankenbehandlung ferner als sichergestellt, wenn die Voraussetzungen für die Gewährung einer Ausgleichsrente nicht erfüllt sind. Die hier angeführten Verwaltungsvorschriften stimmen sowohl mit dem Wortlaut als auch mit dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Vorschriften überein, die zum Ziele hat, dem Schwerbeschädigten wegen seiner besonderen Schutzbedürftigkeit grundsätzlich auch Heilbehandlung wegen Gesundheitsstörungen zu gewähren, die nicht auf einer Schädigung beruhen. Die versorgungsrechtliche Heilbehandlung soll nur dann ausgeschlossen sein, wenn dem Schwerbeschädigten mit Sicherheit gleichartige Leistungen zur Verfügung stehen, d. h. Leistungen, auf die er selbst einen Rechtsanspruch hat. Dieser Zweck der besonderen Schutzvorschrift für Schwerbeschädigte kommt deutlicher zum Ausdruck in der Neufassung des § 10 BVG durch das Erste Neuordnungsgesetz vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453). Nach § 10 Abs. 4 BVG idF des Ersten Neuordnungsgesetzes ist der Anspruch des Schwerbeschädigten auf Heilbehandlung für Gesundheitsstörungen, die nicht Folge einer Schädigung sind (§ 10 Abs. 2 BVG idF vom 27. Juni 1960) und auf Krankenbehandlung für den Ehegatten und die Kinder sowie für sonstige Angehörige, die mit ihm in häuslicher Gemeinschaft leben und von ihm überwiegend unterhalten werden (§ 10 Abs. 3 des genannten Gesetzes), u. a. ausgeschlossen, wenn und soweit ein entsprechender Anspruch gegen einen Sozialversicherungsträger, den Träger der Tuberkulosehilfe oder aus einem Vertrag besteht, wobei Ansprüche aus einer privaten Kranken- oder Unfallversicherung ausgenommen sind (§ 10 Abs. 4 Buchst. a). Die Begründung des Regierungsentwurfs zu § 10 Abs. 4 des Neuordnungsgesetzes bringt zum Ausdruck, daß nunmehr aus rechtssystematischen Gründen im Gesetz im einzelnen bestimmt werde, wann die Heilbehandlung und die Krankenbehandlung sichergestellt sind (BT-Drucks. Nr. 1239, 3. Wahlp., S. 23). Der schriftliche Bericht des Ausschusses für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen weist zu § 10 Abs. 4 des Entwurfs zum Neuregelungsgesetz darauf hin, daß die Vorschriften über die Sicherstellung der Heilbehandlung für Nichtschädigungsfolgen und der Krankenbehandlung, die bisher in einer Rechtsverordnung und in Verwaltungsvorschriften enthalten seien, aus gesetzestechnischen Gründen in das Gesetz aufgenommen worden seien (BT-Drucks. Nr. 1825, 3. Wahlp., S. 4). Wenn § 10 des Ersten Neuordnungsgesetzes auch erst am 1. Juni 1960 in Kraft getreten ist (Art. IV § 4 Abs. 1 des 1. Neuregelungsgesetzes), so stellt er doch, wie sich besonders aus dem angeführten Bericht des Ausschusses ergibt, im wesentlichen eine gesetzliche Klarstellung der schon bisher in den Verwaltungsvorschriften enthaltenen Regelung dar. Es kann daher auch für die Vergangenheit angenommen werden, daß der versorgungsrechtliche Anspruch des Schwerbeschädigten auf Heilbehandlung für Gesundheitsstörungen, die nicht Folge einer Schädigung sind, grundsätzlich nur dann ausgeschlossen sein sollte, wenn der Schwerbeschädigte selbst einen Rechtsanspruch auf entsprechende Krankenbehandlung hat. Nur ein solcher Rechtsanspruch geht dem Anspruch des Schwerbeschädigten auf Heilbehandlung oder Krankenbehandlung nach § 10 Abs. 5 Sätze 1 bis 3 RVO aF vor.

Die Subsidiarität des versorgungsrechtlichen Anspruchs des Schwerbeschädigten auf Heilbehandlung besteht daher nicht gegenüber einem auf Krankenbehandlung gerichteten Anspruch seines Ehegatten. Nach der hier in Betracht kommenden Vorschrift des § 205 RVO ist der Anspruch der bei der beklagten Krankenkasse versicherten Ehefrau des Schwerbeschädigten Sch. an die Voraussetzung geknüpft, daß der Schwerbeschädigte seiner Ehefrau gegenüber unterhaltsberechtigt ist und daß er "nicht anderweit einen gesetzlichen Anspruch auf Krankenpflege" hat. Gegenüber diesem, von besonderen Voraussetzungen abhängigen Anspruch des Ehegatten des Schwerbeschädigten, die, soweit es sich um die Unterhaltsberechtigung handelt, häufig schwer festzustellen sind, so daß - wie auch der vorliegende Fall beweist - der Anspruch oft nur mit Schwierigkeiten realisierbar ist, kommt dem eigenen versorgungsrechtlichen Anspruch des Schwerbeschädigten für die vom Gesetzgeber erstrebte Sicherstellung der Heilbehandlung des Schwerbeschädigten erheblich größere Bedeutung zu; er ist daher im Sinne der gesetzlichen Regelung als vorrangig anzusehen.

Gegen die vom Senat vertretene Auffassung spricht nicht, daß die Konkurrenz zwischen dem Anspruch auf Krankenhilfe nach § 37 BSHG vom 30. Juni 1961 (BGBl I 815) und dem Anspruch auf Familienhilfe nach § 205 RVO anders zu beurteilen ist. Ein Anspruch auf Krankenhilfe nach § 37 BSHG ist nicht gegeben, wenn der Hilfesuchende sich selbst helfen kann oder wenn er die erforderliche Hilfe von anderen, besonders von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält (§ 2 BSHG). Wegen dieser allgemein bestehenden Subsidiarität der Sozialhilfe, die nur gewährt wird, wenn auch Angehörige die erforderliche Hilfe nicht leisten können, ist die Krankenkasse beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 205 RVO ihren Mitgliedern gegenüber für deren unterhaltsberechtigten Ehegatten und die unterhaltsberechtigten Kinder vorrangig zur Leistung verpflichtet. Auch die Krankenversorgung der Empfänger von Unterhaltshilfe nach § 276 des Lastenausgleichsgesetzes ist gegenüber der Familienkrankenhilfe nach den Vorschriften der Sozialversicherung nachrangig (vgl. BSG 19, 260). Dabei ist zu berücksichtigen, daß ebenso wie in der Sozialhilfe die Gewährung und die Höhe der Unterhaltshilfe von den Einkünften des Ehegatten und der Kinder abhängen (§ 267 des Lastenausgleichsgesetzes). Die Subsidiarität der Krankenversorgung nach dem Lastenausgleichsgesetz besteht auch gegenüber einem entsprechenden Leistungsanspruch nach dem BVG (§ 276 Abs. 1 des Lastenausgleichsgesetzes). Der Schwerbeschädigte, der Unterhaltshilfe nach dem Lastenausgleichsgesetz bezieht, hat deshalb auch für Gesundheitsstörungen, die nicht Folge einer Schädigung sind, keinen Anspruch auf Krankenversorgung nach dem Lastenausgleichsgesetz, sondern nach § 10 Abs. 5 BVG aF, soweit dieser Anspruch nicht durch einen anderen entsprechenden Anspruch des Schwerbeschädigten ausgeschlossen ist. Dies ist aber, soweit die gesetzliche Krankenversicherung in Betracht kommt, nur dann der Fall, wenn der Schwerbeschädigte selbst als Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse einen Anspruch auf Krankenpflege hat, nicht jedoch, wenn seinem Ehegatten unter den besonderen Voraussetzungen des § 205 RVO ein Anspruch auf Familienhilfe zusteht. Dagegen haben Rechtsansprüche des Schwerbeschädigten auf Heil- und Krankenbehandlung, zB nach dem Gesetz zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten vom 23. Juli 1953 (BGBl I 700), nach §§ 1, 6 des Wehrsoldgesetzes, § 137 des Bundesbeamtengesetzes, §§ 20, 33, 34 des Gesetzes über den zivilen Ersatzdienst vom 13. Januar 1960 (BGBl I 10) und § 23 des Heimkehrergesetzes Vorrang gegenüber dem Anspruch auf versorgungsrechtliche Heilbehandlung nach § 10 Abs. 5 BVG aF; in all diesen Fällen steht nämlich der Anspruch auf Heilbehandlung - anders als bei den Leistungen der Familienhilfe nach § 205 RVO - dem Schwerbeschädigten selbst zu (vgl. dazu Nr. 6 der Verwaltungsvorschriften zu § 10 BVG nF idF vom 14. August 1961 - BAnz. Nr. 161 vom 23. August 1961 -).

Da ein solcher Anspruch des Schwerbeschädigten gegenüber der Krankenkasse seines Ehegatten nicht gegeben ist, er deshalb auch nicht in der Lage wäre, den Anspruch selbst durchzusetzen, kann seine Krankenbehandlung durch die seinem Ehegatten zustehende Familienhilfe (§ 205 RVO) nicht als sichergestellt angesehen werden. Das angefochtene Urteil muß daher aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen das klagabweisende Urteil des SG zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

NJW 1965, 2317

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