Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 28.10.1960)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 28. Oktober 1960 mit den ihm zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der Kläger begehrt Umwandlung seiner Rente wegen Berufsunfähigkeit nach § 1246 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 1247 RVO.

Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 10. März 1959 ab. Der Kläger sei nicht erwerbsunfähig, da er noch halbtägig mit gelegentlichen Unterbrechungen arbeiten könne.

Das Sozialgericht (SG) in Hildesheim hat den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger von 1. August 1958 an Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren.

Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat am 28. Oktober 1960 unter Mitwirkung des Landessozialgerichtsrats Wegener als Vorsitzenden, der Landessozialgerichtsräte Dr. Beuster und Dr. Ewald sowie der Landessozialrichter Dr. jur. Wilhelm M. und Kurt Völtz wie folgt entschieden: „Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des SG Hildesheim vom 24. November 1959 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.” Es hält den Kläger nicht für erwerbsunfähig im Sinne des § 1247 Abs. 2 RVO.

Gegen dieses ihm am 9. Januar 1961 zugestellte Urteil hat der Kläger durch seinen Prozeßbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 19. Januar 1961, beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangen am 20. Januar 1961, Revision eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 20. Januar 1961, beim BSG eingegangen am 24. Januar 1961, begründet.

Er rügt in erster Linie, das Berufungsgericht sei nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen. Landessozialrichter Dr. jur. Wilhelm M. sei stellvertretendes Vorstandsmitglied der Landesversicherungsanstalt (LVA) Bremen-Oldenburg und somit nach § 35 Abs. 1 in Verbindung mit § 17 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) vom Amt des Landessozialrichters ausgeschlossen. Weiterhin rügt er die unrichtige Anwendung des § 1247 Abs. 2 RVO.

Er beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung der Beklagten gegen die Entscheidung des SG Hildesheim vom 24. November 1959 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, daß das Berufungsgericht ordnungsgemäß besetzt gewesen sei, da der mitwirkende Landessozialrichter Dr. M. nicht stellvertretendes Mitglied ihres Vorstandes, sondern des Vorstandes einer anderen LVA sei und daher keine Interessenkollision bestehe.

Der Präsident des LSG Niedersachsen hat auf Anfrage mitgeteilt, daß der Landessozialrichter Dr. M. seit dem 1. Juli 1958 stellvertretendes Mitglied des Vorstandes der LVA Oldenburg-Bremen sei, durch Erlaß des Niedersächsischen Sozialministers vom 17. Oktober 1959 zum Landessozialrichter berufen und durch Beschluß des LSG vom 8. November 1960 seines Amtes als Landessozialrichter enthoben worden sei.

Beide Parteien haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Die zulässige Revision hatte Erfolg.

Zu Recht rügt der Kläger, daß der erkennende Senat des Berufungsgerichts nicht vorschriftsmäßig besetzt war. Denn bei der angefochtenen Entscheidung hat der Landessozialrichter Dr. jur. Wilhelm M. mitgewirkt, der nach § 35 Abs. 1 in Verbindung mit § 17 Abs. 2 SGG nicht Landessozialrichter sein konnte, weil er stellvertretendes Mitglied des Vorstandes der LVA Oldenburg-Bremen war. Wenn auch in § 17 Abs. 2 SGG nur die Mitglieder der Vorstände von Trägern … der Sozialversicherung … erwähnt sind, so müssen doch stellvertretende Mitglieder dieser Vorstände gleich behandelt werden. Das stellvertretende Mitglied des Vorstandes eines Sozialversicherungsträgers hat bei Verhinderung eines ordentlichen Mitglieds die Aufgaben eines Vorstandsmitgliedes zu erfüllen. Während einer Vertretung hat es, wie § 2 Abs. 5 Satz 3 des Selbstverwaltungsgesetzes vom 22. Februar 1951 (BGBl I S. 124) ausdrücklich vorschreibt, die Rechte und Pflichten ordentlicher Vorstandsmitglieder. Die Gründe, die den Gesetzgeber veranlaßt haben, Mitglieder der Vorstände vom Amt des. Sozialrichters auszuschließen, treffen daher auch für stellvertretende Mitglieder der Vorstände zu. Entgegen der Annahme der Beklagten beschränkt sich der Ausschließungsgrund des § 17 Abs. 2 SGG nicht auf Vorstandsmitglieder der im einzelnen Rechtsstreit jeweils beteiligten LVA, sondern erfaßt die Vorstandsmitglieder sämtlicher Sozialversicherungsträger. Es soll mit dieser Vorschrift nicht nur eine Interessenkollision, sondern auch schon der Anschein vermieden werden, als wirkten in der Sozialgerichtsbarkeit, d. h. bei der Entscheidung von Streitigkeiten, an denen in den meisten Fällen Sozialversicherungsträger beteiligt sind, Personen als Richter mit, die als führende Persönlichkeiten von Sozialversicherungsträgern in ihrem Richteramt nicht völlig unparteiisch seien. (Im Ergebnis ebenso Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, Anm. 3 zu § 17 SGG, Rohwer-Kahlmann, Aufbau und Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit, Anm. 6 zu § 17 SGG).

Die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des erkennenden Senats des Berufungsgerichts ist ein wesentlicher Verfahrensmangel. Nach § 551 Nr. 1 der Zivilprozeßordnung in Verbindung mit § 202 SGG ist das angefochtene Urteil als auf diesem Verfahrensmangel beruhend anzusehen.

Das angefochtene Urteil mußte daher aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.

Hinsichtlich der Anwendung des § 1247 Abs. 2 RVO wird auf das Urteil des erkennenden Senats vom 28. Mai 1962 – 12/4 RJ 142/61 – verwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Unterschriften

Raack, Schmidthals, Dr. Dapprich

 

Fundstellen

Dokument-Index HI929550

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