Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Sprungrevision. Anforderung an die Revisionsbegründung. Bezeichnung der verletzten Rechtsnorm. Kriegsopferversorgung. Elternrente. Anrechnung von Einkünften aus Hausbesitz. Bruchteileigentum

 

Orientierungssatz

1. Für die Begründung einer Revision (hier Sprungrevision) genügt es, dass der Revisionsführer die seines Erachtens verletzte Rechtsnorm bezeichnet und damit dem Revisionsgericht den Umfang angibt, in dem er eine rechtliche Nachprüfung für geboten erachtet (vgl BSG vom 24.9.1957 - 2 RU 70/54 = SozR Nr 27 zu § 164 SGG).

2. Im Rahmen von §§ 12, 16 der Verordnung zur Durchführung des § 33 des Bundesversorgungsgesetzes (juris: BVG§33DV) idF vom 11.1.1961 ist der Fall des Bruchteileigentums ebenso zu behandeln wie der des vollen Eigentums, dh Einkünfte aus Hausbesitz können nur dann auf eine Elternrente angerechnet werden, wenn der auf den Rentenberechtigten entfallende Anteil des Gesamtheitswerts über 6000 Mark beträgt (Anschluss an BSG vom 26.2.1965 - 9 RV 760/64 = SozR Nr 1 zu § 33 BVG).

 

Normenkette

SGG § 164 Abs. 1, § 161; BVG§33DV § 12 Abs. 1 Fassung: 1961-01-11, § 16 Abs. 1 Fassung: 1961-01-11; BVG § 51 Abs. 2 Fassung: 1960-06-27, Abs. 9 Fassung: 1960-06-27; BGB § 741

 

Verfahrensgang

SG Reutlingen (Urteil vom 31.03.1965)

 

Tenor

Die Revision (Sprungrevision) des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 31. März 1965 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

Seit dem Jahre 1953 bezieht die Klägerin Elternrente auf Grund des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Durch den Bescheid vom 11. Oktober 1963 wurde nach § 60 a Abs. 1 Satz 6 BVG in Verbindung mit § 61 Abs. 6 BVG die Elternrente für die Zeit vom 1. Januar 1962 bis 31. Dezember 1962 endgültig und für die Zeit vom 1. Januar 1963 vorläufig festgesetzt; dabei wurde der Mietertrag des der Klägerin und ihrem Sohn gemeinschaftlich gehörenden Hauses (Einheitswert 8900,- DM) ermittelt, von ihm Verwaltungskosten abgezogen und der verbleibende Rest zu 5/8 - entsprechend dem Anteil der Klägerin - angerechnet. Der Widerspruch der Klägerin wurde durch Bescheid vom 26. August 1964 zurückgewiesen, weil nach dem Rundschreiben des Bundesarbeitsministeriums (BMA) vom 29. März 1961 nicht der Anteil der Klägerin, sondern der Einheitswert in voller Höhe zugrunde zu legen sei.

Die Klägerin hat Klage erhoben. Im Laufe des Klageverfahrens hat das Versorgungsamt (VersorgA) durch den Bescheid vom 5. Oktober 1964 nach der gleichen Berechnung wie im Bescheid vom 11. Oktober 1963 die Elternrente für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1963 endgültig und durch den weiteren Bescheid vom 6. Oktober 1964 nach gleicher Berechnung die Rente ab 1. Januar 1964 vorläufig festgesetzt. Durch Urteil vom 31. März 1965 hat das Sozialgericht (SG) die Bescheide vom 11. Oktober 1963, 5. Oktober 1964 und 6. Oktober 1964 abgeändert und den Beklagten verurteilt, der Klägerin Elternrente ohne Anrechnung eines Einkommens aus Hausbesitz zu gewähren; es hat die Berufung gemäß § 150 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zugelassen. Das SG hat ausgeführt, nach § 12 Abs. 1 der Verordnung (VO) zu § 33 BVG vom 11. Januar 1961 seien im vorliegenden Falle die Einkünfte aus Hausbesitz nicht zu berücksichtigen, weil die Klägerin zu 5/8 Bruchteilseigentümerin des Grundstücks sei und mithin der auf sie entfallende Anteil des Einheitswertes 5.562,50 DM ausmache. Es hat sich u.a. auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 26. Februar 1965 - 9 RV 760/64 - gestützt.

Mit Einverständnis der Klägerin hat der Beklagte Sprungrevision eingelegt und beantragt,

das Urteil des SG Reutlingen vom 31. März 1965 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid des VersorgA vom 11. Oktober 1963 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. August 1964 sowie gegen die Bescheide vom 5. und 6. Oktober 1964 als unbegründet abzuweisen.

Er rügt eine Verletzung des § 33 Abs. 1 BVG in Verbindung mit § 12 Abs. 1 der VO zur Durchführung des § 33 BVG in der Fassung vom 11. Januar 1961. Von einer näheren Begründung hat er zunächst abgesehen und diese einem weiteren Schriftsatz - der nicht eingegangen ist - vorbehalten.

Die Klägerin beantragt,

die Sprungrevision gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 31. März 1965 als unbegründet zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend; im übrigen ist sie der Ansicht, die Revisionsbegründung entspreche nicht dem Formerfordernis des § 164 Abs. 1 SGG.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Die Beklagte hat die infolge Zulassung der Berufung statthafte Sprungrevision rechtzeitig und unter Vorlage der Einwilligungserklärung der Klägerin eingelegt. Das Rechtsmittel ist auch in rechter Form begründet worden. Der Ansicht der Klägerin kann insoweit nicht gefolgt werden. Vielmehr genügt es, daß der Beklagte die seines Erachtens verletzte Rechtsnorm bezeichnet und damit dem Revisionsgericht den Umfang angegeben hat, in dem er eine rechtliche Nachprüfung für geboten erachtet. Daß er keine weiteren Ausführungen gemacht hat, ist in diesem Falle unschädlich, weil jedenfalls erkennbar ist, wieweit die Nachprüfung des Revisionsgerichts gehen soll (vgl. BSG SozR SGG § 164 Nr. 27). Die zulässige Revision ist aber nicht begründet.

Streitig ist die Berechnung der Elternrente der Klägerin, und zwar die Frage, ob ihr Einkünfte aus dem Teileigentum an einem Hausgrundstück angerechnet werden dürfen. Nach § 51 Abs. 2 BVG ist auf die volle Elternrente das nach Abzug der absetzbaren Auslagen verbleibende Einkommen in näher bestimmter Höhe anzurechnen. Nach § 51 Abs. 9 BVG ist die Bundesregierung ermächtigt worden, mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung ua näher zu bestimmen, was als Einkommen gilt und welche Einkünfte bei Feststellung der Elternrente unberücksichtigt bleiben. Von dieser Ermächtigung ist durch die VO zur Durchführung des § 33 BVG vom 11. Januar 1961 (BGBl I 19) Gebrauch gemacht. Nach § 16 Abs. 1 der VO sind ua die Vorschriften des § 12 über “Einkünfte aus Haus- und Grundbesitz„ entsprechend für Eltern anwendbar. Nach § 12 Abs. 1 der VO bleiben Einkünfte aus Hausbesitz ... unberücksichtigt, wenn der Einheitswert der Grundstücke insgesamt nicht höher als 6.000,- DM ist. Diese Vorschrift haben die Verwaltung und das SG ihren Entscheidungen zutreffend zugrunde gelegt. Allerdings ist die Anwendung durch die Verwaltung nicht frei von Rechtsirrtum, während die Auffassung des SG zutreffend ist.

Dem Beklagten ist zuzugeben, daß in § 12 dieser VO die Fälle eines anteilmäßigen Eigentums von Rentenberechtigten nicht ausdrücklich geregelt sind. Der insoweit eindeutige Gesetzestext spricht regelmäßig nur von Grundstücken, vom eigenen Einfamilienhaus und vom eigenen Mehrfamilienhaus. Die Verwaltung hat angenommen, in der VO sei absichtlich ein anteilsmäßiges Eigentumsrecht nicht aufgeführt worden, vielmehr könnten Einkünfte nur aus Anteilen an Grundstücken mit einem Einheitswert von nicht mehr als 6.000,- DM unberücksichtigt bleiben. Diese Auslegung wird in dem Rundschreiben des Bundesarbeitsministers vom 29. März 1961 (BVBl 1961, 58 f) vertreten. Doch kann dieses nicht als authentische Interpretation angesehen werden. Vielmehr haben die Gerichte zu prüfen, ob die Auslegung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung und die entsprechende Auslegung der Verwaltung mit dem Gesetz vereinbar sind.

Gegenstand der Auslegung ist allein der objektive Wille des Gesetzgebers, wie er aus dem Wortlaut der gesetzlichen Vorschrift und dem Sinnzusammenhang sich ergibt, in den die Vorschriften hineingestellt sind; nicht entscheidend ist die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder die Auffassung der Behörden, in deren Zuständigkeit die Ausführung des Gesetzes fällt. Daß die Auslegung von dem Wortlaut des Gesetzes auszugehen hat, schließt nicht aus, daß auch zu ermitteln ist, welchen Zweck der Gesetzgeber insgesamt und im einzelnen verfolgt; dabei sind die Entstehungsgeschichte und der Zusammenhang mit anderen Vorschriften zu berücksichtigen; es ist aber auch zu prüfen, ob der Wortlaut des Gesetzes diesem Zweck gerecht geworden ist, d.h. ob dieser Zweck einen wenn auch nur unvollkommenen Ausdruck im Gesetzestext gefunden hat (BSG 8, 133).

Der Wortlaut des § 12 Abs. 1 der VO zwingt nicht dazu, nur den gesamten Einheitswert von Grundstücken zugrunde zu legen. Insbesondere ist das Wort “insgesamt„ nach seiner Stellung im Text der VO nicht auf den Einheitswert, sondern auf das Wort “Grundstücke„ zu beziehen. Hierdurch sollte der Fall geregelt werden, daß ein Rentenberechtigter mehrere Grundstücke hat. Die wörtliche Interpretation kann also im vorliegenden Fall die von der Verwaltung vorgenommene Auslegung nicht rechtfertigen. Sinn und Zweck der VO dürfte mit dem Bundesarbeitsminister darin erblickt werden, daß mit ihr eine Vereinfachung von Verwaltungsarbeit erstrebt worden ist. Ferner ist aber auch zu berücksichtigen, daß bei der Ermittlung von Einkünften nicht ausschließlich juristische, sondern auch wirtschaftliche Erwägungen maßgebend sind. Die Verwaltung verkennt, daß die durch § 12 Abs. 1 der VO erstrebte Ersparung von Verwaltungsarbeit typische Verhältnisse und die aus ihnen gewonnenen Erfahrungen zugrunde gelegt hat. Die Praxis hatte gezeigt, daß ein wesentliches Einkommen aus einem Hausbesitz mit einem Einheitswert bis zu 6.000,- DM nicht erzielt wird, weshalb sich der Arbeitsaufwand in diesen Fällen nicht lohnte. Sinn und Zweck des § 12 Abs. 1 der Durchführungs-VO ist sonach, verhältnismäßig geringe Einkünfte aus Hausbesitz unberücksichtigt zu lassen.

Die gleichen Erwägungen eines Mißverhältnisses zwischen dem Arbeitsaufwand für die Verwaltung und der Möglichkeit, Beträge auf die Rente anzurechnen, gelten aber auch in den für Berechtigte nach dem BVG typischen Fällen einer Teilberechtigung unter 6.000,- DM an einem Grundstück mit höherem Einheitswert. In solchen typischen Fällen handelt es sich bei Teilberechtigungen am Grundbesitz im allgemeinen entweder um ein Bruchteilseigentum mit der Ehefrau - oder den Kindern -, allenfalls auch mit Verwandten, mit denen eine Wohngemeinschaft besteht, oder auch um Gemeinschaften zur gesamten Hand als Miterben. In allen diesen typischen Fällen sind die Anteile überschaubar. Verhältnisse, wie sie gelegentlich von der Versorgungsverwaltung vorgetragen worden sind, sind nicht typisch, nämlich daß ein in zentraler städtischer Lage gelegenes Hochhaus auch bei einem Bruchteilseigentum von 6.000,- DM - berechnet aus dem Bruchteil des Rentenberechtigten am festgestellten Einheitswert des Gesamtgrundstücks - eine beachtliche Rendite abwerfen könnte. Rein rechnerisch und theoretisch mag dieses Beispiel nicht abwegig erscheinen. Es ist aber nicht typisch und kann deshalb für die Ersparung von Verwaltungsarbeit nicht als Grundlage genommen werden. Infolgedessen ergibt sich, daß in der VO zu § 33 BVG das anteilsmäßige Eigentum nicht absichtlich nicht aufgeführt worden ist, weil es nicht berücksichtigt werden sollte, sondern daß es versehentlich nicht mitgeregelt worden ist. Es handelt sich hier also um eine echte Lücke im Gesetz. diese ist vom Gericht im Wege der Rechtsergänzung zu schließen (vgl. BSG 14, 241, 18, 60).

Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise und bei dem Bestreben, vermeidbare Verwaltungsarbeit auszuschließen, wobei auch verhältnismäßig geringe Einkünfte unberücksichtigt bleiben, hat das SG zutreffend den Fall des Bruchteileigentums ebenso behandelt wie den des vollen Eigentums, d.h. es hat Einkünfte aus Hausbesitz nur dann für anrechnungsfähig erachtet, wenn der auf den Rentenberechtigten entfallende Anteil des Gesamteinheitswertes über 6.000,- DM beträgt. Dies hat im Ergebnis der 9. Senat in den Urteilen vom 26. Januar 1965 (SozR DVO zu § 33 BVG § 12 Nr. 1) und vom 26. Februar 1965 (9 RV 760/64) entschieden; diesen Entscheidungen tritt der Senat im Ergebnis bei.

Nach den nicht angefochtenen Feststellungen des SG beträgt der Einheitswert des Hausgrundstücks 8.900,- DM und der “Bruchteil„ der Klägerin 5/8. Demgemäß liegt der auf die Klägerin entfallende Anteil am Einheitswert unter 6.000,- DM, so daß bei der Berechnung ihrer Elternrente Einkünfte aus Grundbesitz nicht berücksichtigt werden durften. Die Verwaltungsbescheide sind daher insoweit rechtswidrig, so daß das SG sie zu Recht abgeändert und den Beklagten verurteilt hat, Elternrente ohne Anrechnung eines Einkommens aus Hausbesitz zu gewähren. Da sonach die angefochtene Entscheidung der Sach- und Rechtslage entspricht, mußte die unbegründete Revision - wie geschehen - zurückgewiesen werden.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Da die Voraussetzungen der §§ 165, 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG erfüllt waren, konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2603772

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