Entscheidungsstichwort (Thema)

Eigenleistungen eines Rechtsanwalts in Rumänien. Begriff des Beitrages

 

Leitsatz (redaktionell)

Es kann nicht darauf ankommen, welche Versicherungsleistungen der Kläger aufgrund seiner Beitragsleistung im Herkunftsland vom dortigen Versicherungsträger zu erwarten hatte.

Der Begriff "Beitrag" ist weit auszulegen.

 

Normenkette

FRG § 23 Abs. 1 Fassung: 1960-02-25

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. April 1967 insoweit aufgehoben, als dem Anspruch des Klägers, ihn für die Zeit seiner Tätigkeit als selbständiger Rechtsanwalt vom 1. Januar 1937 bis 19. Februar 1948 in die Leistungsgruppe B 1 der Anlage zu § 22 Fremdrentengesetz einzustufen, nicht entsprochen worden ist; insoweit wird der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Der im Jahre 1905 geborene Kläger ist Aussiedler aus Rumänien (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 des Bundesvertriebenengesetzes); er war dort von 1933 bis 1948 als Rechtsanwalt zugelassen. Während dieser Zeit gehörte er der Pflichtversicherung der Rechtsanwälte an und zahlte neben den Pflichtbeiträgen zur Zentralpensionsanstalt der Rechtsanwälte auch Stempelgebühren aus dem sogenannten "Plädoyerstempel". In der Folgezeit übte er verschiedene Tätigkeiten aus. Seit April 1960 lebt er im Bundesgebiet. Im Mai 1960 beantragte er die Gewährung von Erwerbsunfähigkeitsrente. Die Beklagte gewährte ihm vom 1. April 1960 an Rente wegen Berufsunfähigkeit (Bescheid vom 6. Juli 1961); dabei blieb die Anwaltszeit des Klägers in Rumänien unberücksichtigt. Nach Klageerhebung stellte sie die Rente unter Anrechnung weiterer Versicherungszeiten mit Bescheid vom 4. September 1963 neu fest; nunmehr berücksichtigte sie die Anwaltstätigkeit des Klägers seit 1. November 1935 nach der Leistungsgruppe B 2 der Anlage 1 zu § 22 des Fremdrentengesetzes (FRG). Der Kläger begehrt eine höhere Rente; er macht - jetzt noch - geltend, daß er für die Zeit seiner Tätigkeit als selbständiger Rechtsanwalt (vom 1. Januar 1937 bis 19. Februar 1948) nach deren Merkmalen in die Leistungsgruppe B 1 einzustufen sei.

Das Sozialgericht (SG) verurteilte die Beklagte zur Erteilung eines neuen Bescheides; dabei sei davon auszugehen, daß für die Tätigkeit des Klägers als selbständiger Rechtsanwalt jedenfalls ab 1937 die Voraussetzungen zur Einstufung in die Leistungsgruppe B 1 erfüllt seien. Hinsichtlich der anderen - inzwischen erledigten - Streitpunkte entschied das SG nur teilweise zugunsten des Klägers. Gegen dieses Urteil legten die Beklagte Berufung und der Kläger Anschlußberufung ein. Die Beklagte führte mit Bescheid vom 9. Juli 1964 das erstinstanzliche Urteil durch, soweit sie es nicht mit der Berufung anfocht. Das Landessozialgericht (LSG) wies, was die jetzt noch streitige Einstufung des Klägers in die Leistungsgruppe B 1 anbetrifft, seine Klage ab; die Revision ließ es zu (Urteil vom 25. April 1967).

Nach der Ansicht des LSG können die Leistungen der selbständigen Rechtsanwälte an die Rechtsanwaltskammer in Rumänien bzw. an die bei der Union der Rechtsanwälte errichtete Zentralpensionskasse oder Zentralversicherungskasse nicht als "Beitrag" im Sinne von § 23 Abs. 1 FRG angesehen werden. Nach den Grundsätzen der Pflichtversicherung für Rechtsanwälte im Herkunftsland Rumänien sei die spätere Versicherungsleistung von der Höhe der Eigenleistungen des Versicherten unabhängig gewesen; deshalb müsse die Höhe der Eigenleistungen auch auf die Höhe der Leistungen nach dem FRG ohne Einfluß bleiben. Maßgeblich seien somit allein die Tätigkeitsmerkmale eines selbständigen Rechtsanwalts. Hiernach aber sei für die streitige Zeit die Leistungsgruppe B 2 der Anlage 1 zu § 22 FRG angemessen.

Der Kläger legte frist- und formgerecht Revision ein mit dem Antrag,

das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen, als seine Tätigkeit als selbständiger Rechtsanwalt nicht der Leistungsgruppe B 1 zugeordnet worden ist.

Er rügt die unrichtige Anwendung von § 22 Abs. 1 Buchst. b FRG iVm der Anlage 1 zu dieser Bestimmung. Seine Beitragsleistung in Rumänien habe mindestens die höchste Klasse (VIII) der allgemeinen rumänischen Sozialversicherung erreicht.

Die Beklagte beantragte die Zurückweisung der Revision.

Die Beteiligten erklärten sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1, 165 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

II

Die Revision des Klägers ist nach den §§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 SGG zulässig; sie ist auch insofern begründet, als der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden muß.

Die Anwendung des § 23 FRG setzt voraus - und hiervon ist auch das LSG zutreffend ausgegangen -, daß es sich bei der Rechtsanwälte-Versicherung des Klägers um eine gesetzliche Rentenversicherung im Sinne von § 15 Abs. 2 Satz 1 FRG handelt (vgl. § 1 Nr. 5 der Verordnung über die Anerkennung von Systemen und Einrichtungen der sozialen Sicherheit als gesetzliche Rentenversicherungen vom 11. November 1960 - BGBl I 849 - idF der Verordnung vom 8. April 1963 - BGBl I 194 -). Das LSG hat auch zu Recht angenommen, daß die Einstufung eines Versicherten in eine der Leistungsgruppen der Anlage 1 zu § 22 FRG der Nachprüfung durch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit unterliegt; es hat aber zu Unrecht bei der Einstufung des Klägers für die noch streitige Zeit seiner Tätigkeit als selbständiger Rechtsanwalt in Rumänien (1937 bis 1948) allein auf die Tätigkeitsmerkmale abgestellt.

Nach § 23 FRG ist bei einem pflichtversicherten Selbständigen für die Zuordnung der Tabellenwerte § 22 FRG unter Berücksichtigung der Beitragsleistung entsprechend anzuwenden (§ 23 Abs. 1 FRG) oder es sind, falls die Höhe der Beitragsleistung nicht nachgewiesen ist, an deren Stelle die Berufstätigkeit und die Einkommensverhältnisse zu berücksichtigen (§ 23 Abs. 2 Satz 1 FRG). Das LSG meint, die Eigenleistungen des Klägers wie überhaupt der selbständigen Rechtsanwälte in Rumänien an die dortige Rechtsanwaltskammer bzw. an die bei der Union der Rechtsanwälte errichtete Zentralpensionskasse oder Zentralversicherungskasse seien nicht als Beitragsleistung im Sinne des § 23 Abs. 1 FRG anzusehen, weil die spätere Versicherungsleistung - unabhängig von der Höhe jener Eigenleistungen - einheitlich in gleicher Höhe gewährt werde und nur von der Dauer der Versicherung beeinflußt werden könne; deshalb komme es für die Einstufung des Klägers allein auf die Tätigkeitsmerkmale eines selbständigen Rechtsanwalts an. Der Senat vermag dieser Rechtsauffassung des LSG nicht zu folgen.

Nach § 23 Abs. 1 FRG kommt es für die Einstufung sowohl der pflichtversicherten Selbständigen als auch der freiwillig Versicherten auf deren Beitragsleistung an. Dabei kann offenbleiben, ob - wie der 1. Senat in seinem Urteil vom 19. November 1965 - 1 RA 44/63 - entschieden hat (BSG 24, 99, 101 = SozR Nr. 1 zu § 23 FRG) - jedenfalls bei einem pflichtversicherten Selbständigen in erster Linie auf die Merkmale der von ihm ausgeübten Tätigkeit abzustellen und erst dann zu prüfen ist, ob die Beitragsleistung eine Korrektur der für den vergleichbaren unselbständig Beschäftigten maßgebenden Leistungsgruppe rechtfertigt oder ob - jedenfalls bei pflichtversicherten Selbständigen - allein oder doch in erster Linie die Beitragsleistung entscheidend ist. Denn auf jeden Fall richtet sich die Gleichstellung sowohl der pflichtversicherten Selbständigen als auch der freiwillig Versicherten auch nach der Höhe ihrer Beitragsleistung; sie sollen so behandelt werden wie abhängig Beschäftigte mit gleicher Beitragsleistung im Herkunftsland. Es kann daher entgegen der Auffassung des LSG nicht darauf ankommen, welche Versicherungsleistungen der Kläger aufgrund seiner Beitragsleistung im Herkunftsland vom dortigen Versicherungsträger zu erwarten hatte. Das LSG verkennt, daß bei einer Rentenversicherung im Sinne des Fremdrentenrechts großzügigere Maßstäbe gelten als bei der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung. Darauf, ob die Versicherungsleistungen an die Berechtigten auf deren Beiträgen beruhen und sich nach der Höhe dieser Beiträge richten, kommt es nicht an (vgl. BSG 6, 263, 265). Der Begriff "Beitrag" ist vielmehr weit auszulegen; darunter ist jedes Beitragen zur finanziellen Deckung eines gesetzlichen sozialen Sicherungssystems zu verstehen, das geeignet ist, ein Versicherungsverhältnis zu begründen und das dem Erwerb eines Rechtsanspruches dient (vgl. Verbandskommentar, Anm. 11 zu § 15 FRG). Diesen Merkmalen aber entsprechen die Eigenleistungen des Klägers; dabei wird allerdings zu unterscheiden sein zwischen den der Pflichtversicherung der Rechtsanwälte tatsächlich zugeflossenen Beträgen und denjenigen, die anderen Zwecken dienten; letztere könnten nicht als Beiträge im Sinne von § 23 FRG angesehen werden. In welcher Höhe wirkliche Beitragsleistungen an die Versicherungseinrichtung erfolgt sind, ist streitig. Das LSG hatte von seiner Rechtsauffassung her keine Veranlassung, insoweit Feststellungen zu treffen. Dem Revisionsgericht ist jedoch ohne genaue tatsächliche Feststellungen über die Höhe der zu berücksichtigenden Beitragsleistungen des Klägers eine abschließende Entscheidung nicht möglich. Der Rechtsstreit muß daher zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil des LSG vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1650410

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