Leitsatz (amtlich)

Ist die Schädigung nach Beginn einer Hochschulausbildung eingetreten, so ist das vermutliche Durchschnittseinkommen nicht nach DV § 30 Abs 3 und 4 BVG § 7 vom 1964-07-30, sondern nach den Vorschriften der DV §§ 2 bis 5 zu ermitteln.

 

Leitsatz (redaktionell)

DV § 30 Abs 3 und 4 BVG § 7 vom 1964-07-30 beschränkt sich auf die Fälle, in denen infolge der Jugendlichkeit des Beschädigten sein (vermutlicher) Berufsweg überhaupt noch nicht erkennbar geworden ist und damit auch nicht mit Wahrscheinlichkeit beurteilt werden kann.

 

Orientierungssatz

Zur Frage, ob der Besuch einer Hochschule der Schulbildung oder der Berufsausbildung zuzurechnen ist.

 

Normenkette

BVG § 30 Abs. 3 DV § 4 Fassung: 1964-07-30, Abs. 3 u 4 DV § 5 Fassung: 1964-07-30; BVG§30Abs3u4DV § 2 Fassung: 1964-07-30; BVG § 30 Abs. 3 DV § 3 Fassung: 1964-07-30; BVG§30Abs3u4DV § 7 Fassung: 1964-07-30

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 4. Januar 1968 und des Sozialgerichts Duisburg vom 7. Juni 1966 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Klägerin, geboren am 2. April 1921 ist die Witwe des im Jahre 1947, in seinem 27. Lebensjahr, an Schädigungsfolgen verstorbenen B K (K.). K. erwarb vor seiner Einberufung zum Wehrdienst im Oktober 1939 die Hochschulreife; er studierte während seiner Wehrdienstzeit in den Jahren 1942 und 1943 an einer Technischen Hochschule und legte die Diplom-Vorprüfung ab.

Das Versorgungsamt Duisburg bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 25. November 1964 einen Schadensausgleich nach § 40a des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Es ermittelte das vermutliche Durchschnittseinkommen des K. nach § 3 der VO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG. Es ging hierbei davon aus, daß K. Dipl. Ingenieur geworden und daß er als solcher wahrscheinlich als technischer Angestellter "mit selbständigen Leistungen in verantwortlicher Tätigkeit mit eingeschränkter Dispositionsbefugnis" in der Industrie tätig gewesen wäre; das vermutliche Durchschnittseinkommen des K. sei daher der Leistungsgruppe II zu entnehmen.

Mit dem Widerspruch machte die Klägerin geltend, ihr habe ein Schadensausgleich unter Zugrundelegung des nach der Besoldungsgruppe A 14 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG) bewilligt werden müssen, weil dieses Einkommen nach § 7 Abs.1 der DVO aufgrund "vermutlicher abgeschlossener Hochschulbildung" zu ermitteln sei. Der Widerspruch blieb erfolglos (Bescheid des Landesversorgungsamts Nordrhein vom 1.4.1965).

Das Sozialgericht (SG) Duisburg hat den Beklagten verurteilt, bei der Berechnung des Schadensausgleichs von einem vermutlichen Einkommen des K. nach der Besoldungsgruppe A 14 auszugehen (Urteil vom 7.6.1966). Das SG hat die Auffassung vertreten, die Einstufung nach der Besoldungsgruppe A 14 könne zwar nicht auf § 7, wohl aber auf § 3 Abs. 3 der DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG (idF vom 30.7.1964) gestützt werden; K. hätte wahrscheinlich als Diplom-Ingenieur eine leitende Stellung mit Aufsichts- und Dispositionsbefugnis erreicht.

Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat mit Urteil vom 4. Januar 1968 wie folgt entschieden:

"Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 7. Juni 1966 abgeändert. Der Beklagte wird für verpflichtet erklärt, der Klägerin den Schadensausgleich nach § 40 a BVG unter Zugrundelegung eines Einkommens ihres verstorbenen Ehemannes nach Besoldungsgruppe A 13 ab 1. Januar 1964 und nach Besoldungsgruppe A 14 BBesG ab 1. Mai 1966 zu gewähren. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen."

Das LSG hat ausgeführt: es sei zwar wahrscheinlich, daß K. sein Studium fortgesetzt und die Prüfung als Diplom-Ingenieur abgelegt hätte; es beständen jedoch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, daß er eine Stellung mit Aufsichts- und Dispositionsbefugnissen erreicht hätte und damit (vor seinem 47. Lebensjahr) ein Einkommen nach der Besoldungsgruppe A 14 erzielt hätte. Es stehe fest, daß eine nicht geringe Anzahl von Diplom-Ingenieuren als technische Angestellte (nur) eine Stellung mit einem Einkommen nach Leistungsgruppe II erreiche. Das vermutliche Durchschnittseinkommen sei jedoch im vorliegenden Falle nicht nach § 3, sondern nach § 7 der DVO zu ermitteln, weil K. seine Schulausbildung, zu der auch die Hochschulausbildung gehöre, noch nicht abgeschlossen gehabt habe und deshalb noch kein beruflicher Werdegang mit einem bestimmten wahrscheinlichen Erfolg ermittelt werden könne. Nach § 7 der DVO sei das fiktive Durchschnittseinkommen bei "vermutlicher abgeschlossener Hochschulausbildung nach der Besoldungsgruppe A 13 und nach Vollendung des 45. Lebensjahres nach der Besoldungsgruppe A 14 zu bemessen"

Der Beklagte hat fristgemäß und formgerecht Revision eingelegt. Er beantragt,

die Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 4. Januar 1968 und des SG Duisburg vom 7. Juni 1966 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Er rügt, das LSG habe § 7 der DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG verletzt. Das LSG habe den Charakter dieser Vorschrift verkannt und nicht beachtet, daß es sich hierbei um eine "lex specialis" handele, nach deren Sinn und Zweck die Einstufung in der dort vorgesehenen Weise nur erfolgen solle, wenn mangels konkreter Anhaltspunkte eine Einstufung nach §§ 3 bis 5 DVO nicht möglich sei.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Der Beklagte hat mitgeteilt, daß der Klägerin nach § 40 a BVG iVm § 30 Abs. 7, § 3 Abs. 5 DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 idF vom 28. März 1968 vom 1. Januar 1967 an der Schadensausgleich unter Zugrundelegung der Besoldungsgruppe A 14 bewilligt worden sei.

Die Revision des Beklagten ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -); sie ist auch begründet.

Der Beklagte hat die Klägerin insoweit klaglos gestellt, als er ihr (nach dem Inkrafttreten der DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 idF vom 28.2.1968, also) vom 1. Januar 1967 an einen Schadensausgleich unter Zugrundelegung eines Einkommens ihres verstorbenen Ehemannes K. aus der Besoldungsgruppe A 14 gewährt hat. Streitig ist danach nur noch, ob für den Schadensausgleich in der Zeit vom 1. Januar 1964 bis 31. Dezember 1966 als vermutliches Einkommen des K. nach § 3 der DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 idF vom 30. Juli 1964 die Leistungsgruppe II eines technischen Angestellten zugrunde zu legen ist, wie es der Beklagte in den angefochtenen Bescheiden getan hat, oder ob dieses fiktive Einkommen (für die Klägerin günstiger) nach § 7 der DVO vom 1. Januar 1964 an nach der Besoldungsgruppe A 13 und (bereits) vom 1. Mai 1966 an (nachdem K. das 45. Lebensjahr vollendet hätte) nach der Besoldungsgruppe A 14 BBesG zu bemessen ist, wie das LSG entschieden hat.

Die Entscheidung hängt davon ab, ob das LSG zu Recht die Auffassung vertreten hat, das Durchschnittseinkommen, das der Ehemann der Klägerin erzielt hätte, sei nicht nach § 3, sondern § 7 der DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG idF vom 30. Juli 1964 zu ermitteln. Dieser Auffassung des LSG vermag der Senat jedoch nicht zu folgen. Nach § 7 Abs. 1 DVO erfolgt die Einstufung eines Beschädigten, der infolge einer vor Abschluß der Schulausbildung erlittene Schädigung in seinem beruflichen Werdegang verhindert worden ist, nach seiner Veranlagung und seinen Fähigkeiten, hilfsweise auch unter Berücksichtigung der beruflichen und sozialen Stellung seiner Eltern, durch Zuordnung zu einer bestimmten Besoldungsgruppe des BBesG; bei vermutlicher abgeschlossener Hochschuldbildung erfolgt sie durch Zuordnung zur Besoldungsgruppe A 13 und nach Vollendung des 45. Lebensjahres zur Besoldungsgruppe A 14. Die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Vorschrift sind nicht erfüllt. Der Ehemann der Klägerin, der nach der Reifeprüfung an einer Technischen Hochschule studiert hat (und bereits eine Diplom-Vorprüfung abgelegt hatte) ist nicht infolge einer vor Abschluß der Schulausbildung erlittenen Schädigung in seinem beruflichen Werdegang behindert worden.

Der Begriff "Schulausbildung", der auch in Vorschriften der gesetzlichen Unfall- und Rentenversicherung enthalten ist, wie zB in §§ 573 Abs. 1, 583 Abs. 3, 1262 Abs. 3, 1267 der Reichsversicherungsordnung (RVO) 39, 44 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG), wird dort zwar unterschiedlich ausgelegt. Zum Teil wird zur Schulausbildung auch der Besuch einer Hochschule gerechnet (so Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-6. Aufl. Bd. III S. 690 a; aA Jantz-Zweng, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten 1. Aufl. zu § 1262 RVO Anm. II 2 b S. 124). Im Beamtenbesoldungsrecht, an das die Regelung des Berufsschadensausgleichs vielfach anknüpft, ist jedoch anerkannt, daß als Schulausbildung (nur) die Ausbildung an allgemeinbildenden Schulen (Volksschulen, Mittel- und Oberschulen) anzusehen ist und daß die Ausbildung an einer Hochschule (Universität) der Berufsbildung zuzuordnen ist, weil sie bereits auf ein bestimmtes Berufsziel ausgerichtet ist (Rundschr. des BdF vom 30.9.1957 - MinBlFin 1957 Nr. 34 S. 1172 II, Nr. 12 zu § 18 Abs. 2 BBesG; Verw. Vorschriften zum BBesG vom 9.3.1959 - GMBl 1959 S. 134 (142) zu § 18 Nr. 6; Anz-Faber-Renk-Dietrich, Das Besoldungsrecht des Bundes 1958 zu § 18 BBesG Anm. 10 und 11; ebenso Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl. Bd. I zu § 583 RVO Anm. 17 S. 486). Auch im Steuerrecht wird der Besuch einer Hochschule der Berufsausbildung zugerechnet (Blümich-Falk, Einkommenssteuergesetz 9. Aufl. Bd II Anm. 5 zu § 32 EStG, S. 1833). Nur so, d.h. beschränkt auf die allgemeinbildende Schule und nicht unter Einschluß der Hochschule, ist auch der Begriff "Schulausbildung" i.S. des § 7 Abs. 1 der DVO zu verstehen. Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift (ebenso auch Kempe, KOV 1968 S. 153, 157). Die Ermittlung des vermutlichen Einkommens nach den in § 7 der DVO bezeichneten (unsicheren und schwer erfaßbaren) Anknüpfungspunkten soll als eine "Notlösung" nur dann in Betracht kommen, wenn mangels konkreter Anhaltspunkte für den wahrscheinlichen Berufsweg die Regelermittlung nach den §§ 2 - 5 der DVO nicht möglich ist; sie soll sich auf die Fälle beschränken, in denen infolge der Jugendlichkeit des Beschädigten sein (vermutlicher) Berufsweg überhaupt noch nicht erkennbar geworden ist und damit auch nicht mit Wahrscheinlichkeit beurteilt werden kann. Wenn aber eine Schulausbildung (mit dem Reifezeugnis) abgeschlossen worden ist und bereits ein Fachstudium auf einer Hochschule begonnen worden ist, so fehlt es nicht mehr an konkreten Anhaltspunkten für die Ermittlung nach den §§ 2 - 5 der DVO. Mit dem Beginn des Hochschulstudiums ist jedenfalls in aller Regel die Nachzeichnung des vermutlichen Berufsweges insoweit möglich, als daraus Schlußfolgerungen gezogen werden können, welcher Berufs- oder Wirtschaftsgruppe der Betroffene wahrscheinlich angehört hätte und welchen Berufserfolg er darin wahrscheinlich erreicht hätte. Auch in diesen Fällen schließt die Ermittlung nach § 3 DVO ein Ergebnis, das zur Anwendung des § 3 Abs. 3 der DVO (idF vom 30.7.1964) führt, nicht aus. Der Umstand, daß nach der Beendigung der Berufsausbildung und dem Beginn der beruflichen Tätigkeit sichere Anhaltspunkte für die Ermittlung nach § 3 DVO vorliegen, rechtfertigt es nicht, von der Regelermittlung nach § 3 DVO abzugehen, wenn eine Berufstätigkeit noch nicht begonnen hat; für die Wahrscheinlichkeitsprüfung im Sinne des § 3 DVO ist auch der "bisher betätigte Ausbildungswille" maßgebend (§ 30 Abs. 4 BVG). Der Beklagte weist auch mit Recht darauf hin, daß es unbefriedigend wäre, wenn ein Beschädigter, der zwar sein Studium begonnen, aber noch nicht beendet habe, nach § 7 DVO auf Grund "vermutlicher abgeschlossener Hochschulausbildung" besser eingestuft werden würde als nach § 3 DVO ein Beschädigter, der seine Hochschulausbildung tatsächlich schon abgeschlossen habe (und möglicherweise schon in dem studierten Beruf tätig gewesen sei).

Der Beklagte hat in den angefochtenen Bescheiden das Durchschnittseinkommen des K. zu Recht nach § 3 DVO ermittelt; er ist auch zutreffend davon ausgegangen, daß K. nach abgelegter Diplomprüfung wahrscheinlich als technischer Angestellter (mit selbständigen Leistungen in verantwortungsvoller Tätigkeit mit eingeschränkter Dispositionsbefugnis) tätig gewesen wäre und daß damit sein Durchschnittseinkommen (für die Zeit vor dem 1.1.1967) nach der Leistungsgruppe II zu bemessen gewesen ist. Soweit der Beklagte nicht als wahrscheinlich angesehen hat, daß K. eine Stellung mit Aufsichts- und Dispositionsbefugnis - erreicht hätte - bei der ohne Rücksicht auf das Lebensalter ein Einkommen nach der Besoldungsgruppe A 14 zugrunde zu legen wäre (§ 3 Abs. 3 der DVO), ist ihm auch das LSG - zu Recht - gefolgt. Insoweit sind auch von der Klägerin keine Einwendungen erhoben worden. Bei der zutreffen Ermittlung der Durchschnittseinkommen nach § 3 DVO idF vom 30. Juli 1964 zu § 30 Abs. 3 und 4 hat der Schadensausgleich der Klägerin erst (vom angenommenen) 47. Lebensjahr ihres Ehemannes, also erst vom 1. Mai 1968, unter Zugrundelegung der Besoldungsgruppe A 14 berechnet werden können (§ 3 Abs. 4 DVO); nach der Änderung der DVO (idF vom 28.2.1968), durch die anstelle des 47. Lebensjahres das 45. Lebensjahr getreten ist, steht der Klägerin der Schadensausgleich unter Zugrundelegung der Besoldungsgruppe A 14 seit dem 1. Januar 1967 zu (§§ 3 Abs. 5, 15 DVO nF). Dem hat der Beklagte Rechnung getragen. Eine (weitere) Rückwirkung dieser Leistungsverbesserung sieht die neue Regelung nicht vor; sie kommt auch nach allgemeinen Grundsätzen nicht in Betracht. Für die Zeit vor dem 1. Januar 1967 sind die angefochtenen Bescheide in denen die Leistungsgruppe II zugrunde gelegt worden ist - entgegen der Auffassung des LSG - rechtmäßig. Die Klage konnte daher keinen Erfolg haben.

Die Revision der Beklagten ist daher begründet; sie mußte zur Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen führen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2226418

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