Leitsatz (amtlich)

Der Grundsatz, daß das Beharren der Verwaltung auf ihrem ablehnenden Standpunkt in Form des Klageabweisungsantrags kein Ersatz für das Vorverfahren ist, gilt auch für die Fälle, in denen - wie regelmäßig in der Kriegsopferversorgung - Widerspruchsbehörde und Vertretungsbehörde identisch sind (Anschluß BSG 1958-07-17 5 RKn 39/57 = BSGE 8, 3).

 

Leitsatz (redaktionell)

Aus dem ersatzlosen und nicht irgendwie eingeschränkten Wegfall der Fristvorschriften durch das 1. NOG-KOV Fassung: 1960-06-27 (BGBl 1, 1960 453) ist zu schließen, daß die Anwendung der Rechtswohltat dieses Gesetzes nicht auf bisher noch nicht angemeldete Ansprüche beschränkt sein soll, sondern daß jedenfalls die für den Versorgungsberechtigten günstigen Rechtsänderungen, die dieses Gesetz gebracht hat, auch in schwebenden Verfahren mit Wirkung vom 1960-06-01 anzuwenden sind.

 

Normenkette

SGG § 78 Fassung: 1953-09-03; BVG § 59 Fassung: 1956-06-06, § 57 Fassung: 1955-01-19, § 58 Fassung: 1953-08-07, § 56 Fassung: 1950-12-20; KOVNOG 1 Fassung: 1960-06-27

 

Tenor

Die Anschlußrevision des Beklagten wird als unzulässig verworfen.

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 29. Januar 1959 aufgehoben.

Die Sache wird insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Am 7. Dezember 1951 verstarb der ... 1887 geborene Ehemann der Klägerin (H.) an chronischer Nierenentzündung, Herz- und Bronchialasthma, Hypertonie und Stauungsorganen. Er war als Soldat 1916 verschüttet worden und hatte 1918 einen Schußbruch des linken Unterschenkels mit anschließender hartnäckiger Eiterung, mehrfacher Sequesterausstoßung und 11-tägiger Wundrose erlitten. Für die Folgen einer Schußverletzung des linken Ober- (richtig: Unter-) schenkels wurde ihm 1921 Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v. H. bewilligt als weitere, die MdE nicht erhöhende Schädigungsfolge wurde Schwerhörigkeit rechts anerkannt. 1930 lehnte es das Versorgungsamt (VersorgA) ab, Nierenerkrankung und deren Begleiterscheinungen als zusätzliche Schädigungsfolgen anzuerkennen, da Nierenerscheinungen erst seit 1927 beobachtet worden seien. 1935 wurde auch ein Zusammenhang dieser Gesundheitsstörungen mit der Beinverletzung und der nachfolgenden Eiterung verneint. Ende 1935 wurden Entzündungen am Unterschenkel festgestellt und die MdE deswegen zunächst auf 100 v. H. und später auf 70 v. H. festgesetzt. 1936 und 1937 waren die Entzündungen abgeklungen; es fanden sich jedoch mäßige Veränderungen im linken Kniegelenk, die 1937 neben den übrigen Schädigungsfolgen als mittelbare Folgen anerkannt und mit einer Gesamt-MdE um 50 v. H. bewertet wurden.

Über den im März 1951 gestellten Antrag, Nephrosklerose und Stauungsorgane als Schädigungsfolgen anzuerkennen, wurde vor dem Tode des H. nicht mehr entschieden. Im Dezember 1951 beantragte die Klägerin Zahlung des erhöhten Bestattungsgeldes von 240,- DM, der Bezüge für das Sterbevierteljahr und der Hinterbliebenenrente. Mit Bescheid vom 29. Februar 1952 setzte das VersorgA die Bezüge für das Sterbevierteljahr fest, sah von einer Umanerkennung wegen der nach früherem Recht höheren Bezüge ab und verweigerte die Anerkennung des Nierenleidens, weil dieses bereits früher rechtskräftig abgelehnt worden war. Mit weiterem Bescheid vom gleichen Tage wurden nur 120,- DM Bestattungsgeld zugebilligt, da der Tod des H. mit anerkannten Schädigungsfolgen nicht ursächlich zusammenhänge.

Mit der Berufung alten Rechts, die bei Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Klage auf das Sozialgericht (SG) überging, beantragte die Klägerin, den Beklagten zur Anerkennung des Nierenleidens und des Todes ihres Ehemannes als Schädigungsfolge sowie zur Gewährung höherer Rente, höheren Bestattungsgeldes und der Hinterbliebenenversorgung zu verurteilen. Die Klägerin vertrat die Auffassung, das infolge jahrelanger Eiterung seiner Verwundung entstandene Nierenleiden habe zum Tode ihres Ehemannes geführt. Das Gericht holte ein Gutachten der Internisten Dr. N, Dr. H vom Krankenhaus Achern ein, das einen Zusammenhang mit der Verwundung von 1918 als sehr unwahrscheinlich ansah. Die Klägerin hielt dem die von Zeugen bestätigten jahrelangen Eiterungen am Bein entgegen und beantragte, Prof. Dr. B als Sachverständigen zu hören. Auch in diesem Gutachten wurden eine genuine Hypertonie und ihre Begleiterscheinungen als wahrscheinliche Todesursachen angesehen.

Mit Bescheid vom 10. Februar 1954 lehnte das VersorgA auch den Antrag auf Hinterbliebenenrente ab; die Rechtsbehelfsbelehrung enthielt den Hinweis, daß gegen den Bescheid Widerspruch statthaft sei. Der damalige Prozeßbevollmächtigte der Klägerin vertrat in einem Schreiben an das VersorgA und das SG vom 2. März 1954 die Auffassung, der Bescheid vom 10. Februar 1954 sei Gegenstand des anhängigen Verfahrens geworden. Das SG forderte darauf den Beklagten zur Aktenübersendung auf. Es wies die Klage zunächst durch Vorbescheid und nach Antrag der Klägerin auf mündliche Verhandlung durch Urteil vom 25. Juli 1956 ab. Der Anerkennung des Nierenleidens und Gewährung einer höheren Beschädigtenrente stehe nach § 85 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) die Bindung an die ablehnenden Bescheide von 1930 und 1935 entgegen. Wegen dieser Bescheide sei auch die Anmeldung des Anspruchs auf Hinterbliebenenrente nach § 58 Abs. 2 BVG unzulässig; das höhere Bestattungsgeld stehe der Klägerin nicht zu, weil jedenfalls ein Zusammenhang zwischen dem Tod und den bei H. anerkannten Schädigungsfolgen fehle.

Mit der Berufung machte die Klägerin geltend, sie habe nicht behauptet, ihr Ehemann sei an den Folgen einer chronischen Nierenentzündung gestorben, vielmehr habe die eitrige Beinwunde von Zeit zu Zeit Aussaaten in die Niere gemacht, die schließlich zum Tode führten. Der Antrag auf höhere Beschädigtenrente wurde fallen gelassen. Die Klägerin beantragte, den Beklagten unter Aufhebung des angefochtenen Urteils, des zweiten Bescheides vom 29. Februar 1952 und des Bescheides vom 10. Februar 1954 zur Zahlung des vollen Bestattungsgeldes und der Hinterbliebenenrente zu verurteilen. Das Landessozialgericht (LSG) holte ein Gutachten des Prof. Dr. A ein, in dem der Zusammenhang des Todes mit der Schußverletzung des H. im Jahre 1918 bejaht wurde. Die langdauernde Infektion des linken Unterschenkelknochens habe eine chronische Nierenentzündung verursacht, die den zum Tode führenden Bluthochdruck bewirkt habe. Das Leben des H. sei bei vorsichtiger Beurteilung zumindest um ein Jahr verkürzt worden. Das LSG wies mit Urteil vom 29. Januar 1959 die Berufung zurück und ließ die Revision zu. Der Bescheid vom 10. Februar 1954 sei zwar nicht nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden. Im Schreiben vom 2. März 1954 an das SG sei jedoch eine Klageerweiterung zu erblicken, auf die sich der Beklagte eingelassen habe (§ 99 SGG). Gleichzeitig enthalte dieses Schreiben einen fristgerechten Widerspruch den das Landesversorgungsamt, das Prozeßvertreter des Beklagten und Widerspruchsstelle zugleich sei, durch seinen Antrag auf Klageabweisung zurückgewiesen habe. Die Anmeldung des Anspruchs auf Hinterbliebenenrente und auf Bestattungsgeld von 240,- DM sei nach § 58 Abs. 2 BVG unzulässig. Diese Vorschrift gelte nach ihrem Wortlaut zwar nur für die Hinterbliebenenrente, müsse aber auf das Bestattungsgeld entsprechend angewandt werden, da es nicht dem Sinn des Gesetzes entspreche, die Nachprüfung des Anspruchs auf Bestattungsgeld in weiterem Ausmaß zuzulassen als die Nachprüfung der Ansprüche auf Beschädigten-, Hinterbliebenen- und Elternrente. Danach sei es nur zulässig, Ansprüche wegen der aus einer vor dem 1. September 1939 erlittenen Schädigung herrührenden Gesundheitsstörung anzumelden, wenn die Gesundheitsstörung als Schädigungsfolge anerkannt sei oder mit einer anerkannten Gesundheitsstörung in ursächlichem Zusammenhang stehe. Daran fehle es im vorliegenden Fall. Eine Eiterung sei bei H. nie als Schädigungsfolge anerkannt worden, denn bei der Erstanerkennung seien die Eiterungen von 1918/1919 abgeklungen gewesen und die in den Jahren 1930 bis 1935/36 aufgetretenen Entzündungsvorgänge am Knie hätten nur zu einer Erhöhung der MdE, nicht aber zur Erweiterung der Leidensbezeichnung geführt und seien auch wieder völlig abgeklungen. 1942 sei dann für einen ähnlichen Entzündungsvorgang nur Heilbehandlung zugestanden worden. Aber selbst wenn man annehmen wolle, auch die Eiterungen seien als "Folgen einer Schußverletzung" mit anerkannt gewesen, so sei doch den Gutachten von Dr. N und Prof. Dr. B vor dem Gutachten des Prof. Dr. A der Vorzug zu geben. Es sei zwar möglich, daß sich aus einer bei H. abgelaufenen akuten Nierenentzündung eine chronische Nierenentzündung in schleichender Form entwickelt habe; Prof. Dr. A verkenne aber, daß der nicht mögliche Ausschluß dieser Entwicklung sie noch nicht wahrscheinlich mache. Andererseits sei der Bluthochdruck in einem Alter festgestellt worden, in dem eine Bluthochdruckkrankheit auf konstitutioneller Basis nicht selten zum Ausbruch komme. Ein ursächlicher Zusammenhang des Todes mit den seit 1930 aufgetretenen Entzündungen auf variköser Grundlage scheide nach übereinstimmender Auffassung aller Sachverständigen aus.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung der §§ 78, 80, 85 SGG und des § 36 Abs. 2 BVG. Rechtsirrig habe das LSG das Vorverfahren hinsichtlich des Bescheides vom 10. Februar 1954 als durchgeführt und den Klageabweisungsantrag des Beklagten als Widerspruchsbescheid angesehen. Es habe demnach insoweit zu Unrecht sachlich entschieden, denn das Fehlen des Vorverfahrens sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) von Amts wegen zu beachten und führe zur Abweisung der Klage als unzulässig. Nach BSG 8, 3 sei hier das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen, da die Abweisung der Klage als unzulässig prozeßökonomisch untunlich sei. Die Zurückverweisung vermeide einen neuen Rechtsstreit und versetze die Klägerin in die Lage, das fehlende Vorverfahren nachzuholen. Materiell-rechtlich sei die analoge Anwendung des § 58 Abs. 2 BVG auf den Anspruch auf Bestattungsgeld unzutreffend. In § 36 BVG sei nirgends die Rede davon, daß dieser Anspruch irgendwelchen Fristbestimmungen unterworfen werde. Alleinige Voraussetzung für den Anspruch auf das erhöhte Bestattungsgeld sei nach § 36 Abs. 1 Satz 2 BVG der ursächliche Zusammenhang zwischen einer Schädigung und dem Tod des Beschädigten; ein Ursachenzusammenhang des Todes mit einer als Schädigungsfolge anerkannten Gesundheitsstörung sei nicht erforderlich. Die Klägerin beantragt, die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Mit der Anschlußrevision beantragt der Beklagte neben der Zurückweisung der Revision der Klägerin, die Urteile des LSG und SG aufzuheben, soweit darin über den Bescheid vom 10. Februar 1954 entschieden sei, und die Klage insoweit als unzulässig abzuweisen. Er ist der Auffassung, das fehlende Vorverfahren müsse hinsichtlich des Anspruchs auf Hinterbliebenenrente zur Abweisung der Klage als unzulässig führen.

Die durch Zulassung statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und daher zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 SGG). Die Anschlußrevision ist dagegen wegen verspäteter Einlegung unzulässig. Wie das BSG bereits entschieden hat, ist die Revisionsanschlußschrift beim BSG bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist einzureichen (BSG 8, 29; § 556 der Zivilprozeßordnung - ZPO -, § 202 SGG). Diese Frist hat der Beklagte nicht gewahrt. Die Revisionsbegründungsfrist der Klägerin lief nach Verlängerung gemäß § 164 Abs. 1 Satz 2 SGG am 19. Mai 1959 ab; die Anschlußrevision ist erst am 8. August 1959 eingegangen. Die Anschlußrevision des Beklagten ist daher wegen Fristversäumnis nach § 169 Satz 1 und 2 SGG als unzulässig zu verwerfen.

Die Revision ist teilweise begründet. Sie rügt zutreffend, das LSG habe über den Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenrente nicht sachlich entscheiden dürfen, da die Prozeßvoraussetzung des durchgeführten Vorverfahrens fehle. Nach § 78 SGG sind Verwaltungsakte in den gesetzlich vorgesehenen Fällen vor Erhebung der Klage in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Diese Bestimmung trifft nach § 80 Nr. 1 SGG grundsätzlich auf die Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung zu. Das demnach notwendige Vorverfahren ist - entgegen der Auffassung des LSG - nicht durchgeführt worden, ein Widerspruchsbescheid ist nicht ergangen. Das BSG hat bereits entschieden, daß das Beharren der Verwaltungsbehörde auf ihrem ablehnenden Standpunkt keinen Ersatz für das Vorverfahren darstellt (BSG 8, 10), weil die den Prozeß führende Verwaltungsstelle oft eine andere als die zur Entscheidung über den Widerspruch berufene Stelle ist, so daß es durchaus möglich ist, daß die Widerspruchsstelle die Sache anders beurteilt als die den Prozeß führende Verwaltungsstelle. In Umkehrung dieser Überlegung hat das LSG im vorliegenden Fall in dem Klageabweisungsantrag des Landesversorgungsamtes auch einen ablehnenden Widerspruchsbescheid gesehen, da das Landesversorgungsamt sowohl zur Entscheidung über den Widerspruch (§ 85 Abs. 2 Nr. 1 SGG) als auch zur Vertretung des Beklagten im Prozeß (Bek. vom 17. Januar 1955 - Wü.-Bad. GBl S. 9 Abschn. I) zuständig sei. Dem kann nicht gefolgt werden. In BSG 8, 10 ist durchaus erkannt worden, daß als Widerspruchsstelle und Vertretungsbehörde in bestimmten Fällen auch die gleichen Verwaltungsstellen fungieren. Gleichwohl ist der Grundsatz aufgestellt worden, das Beharren der Verwaltung auf ihrem ablehnenden Standpunkt sei kein Ersatz für das Vorverfahren. Dies ergibt sich aus der zwingenden Natur des Vorverfahrens als Prozeßvoraussetzung (§ 78 SGG; BSG 3, 227, 293; 8, 9), die der Gesetzgeber zur Entlastung der Sozialgerichtsbarkeit eingeführt hat (BT-Drucks. 4357, 1. Wahlperiode, S. 22 zu 5; Anlage zur BT-Drucks. 4567, 1. Wahlperiode, S. 3 zu II). Würde mit dem LSG angenommen, das Vorverfahren könnte dann durch Klage und Klageabweisungsantrag des Beklagten ersetzt werden, wenn Widerspruchsstelle und Vertretungsbehörde identisch sind, so hätte das in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung praktisch den generellen Wegfall des Vorverfahrens zur Folge, weil hier eine Identität von Widerspruchs- und Vertretungsbehörde in aller Regel gegeben ist. Es stünde dann im Belieben des Klägers, Widerspruch oder Klage zu erheben, obwohl ihm das Gesetz - von den Ausnahmefällen des § 81 SGG abgesehen - zunächst nur den Rechtsbehelf des Widerspruchs einräumt (§ 80 Nr. 1 SGG). Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, der Gesetzgeber habe bei Schaffung des SGG nicht mit der Identität von Widerspruchsstelle und Vertretungsbehörde im Bereich der Kriegsopferversorgung rechnen müssen, weil er nur die Widerspruchsstelle festgelegt, auf die in die Kompetenz der Landesgesetzgebung fallende Bestimmung der Vertretungsbehörde aber keinen Einfluß gehabt habe. Wenn diese Identität für den Bundesgesetzgeber vielleicht auch nicht ohne weiteres voraussehbar war, so hat sie sich doch nach dem Inkrafttreten des SGG und der landesrechtlichen Normen über die Vertretung der Länder in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung alsbald herausgestellt und hätte dem Bundesgesetzgeber Anlaß geben können, für diese Fälle auf ein Vorverfahren zu verzichten. Dies ist indes nicht geschehen. Damit ist zum Ausdruck gekommen, daß auch in Fällen der Identität von Widerspruchs- und Vertretungsbehörde das zur Entlastung der Rechtsprechung bestimmte Vorverfahren durchzuführen ist. Im übrigen ergibt sich auch aus § 85 Abs. 2 Nr. 1 SGG, daß selbst dann eine doppelte Überprüfung im Verwaltungsverfahren gewollt ist, wenn der Widerspruchsbescheid von der Behörde zu erlassen ist, die den der Kontrolle des Widerspruchsverfahrens zu unterwerfenden Verwaltungsakt erlassen hat; eine Ausnahme gilt nur für die Verwaltungsakte der obersten Bundes- und Landesbehörden (§ 81 Nr. 1 SGG). Ein Ersatz des Widerspruchsbescheides durch den Klageabweisungsantrag kann aber auch mit Rücksicht auf die unterschiedliche Natur dieser Erklärungen nicht angenommen werden. Der Widerspruchsbescheid ist ein Verwaltungsakt (vgl. § 95 SGG), also ein hoheitlicher Ausspruch dessen, was im Verhältnis zwischen Antragsteller und Versorgungsverwaltung rechtens sein soll; der Klageabweisungsantrag dagegen ist Prozeßhandlung, d. h. die auf den Ablauf des Prozesses gerichtete Erklärung eines Prozeßbeteiligten gegenüber dem Gericht. Der Klageabweisungsantrag läßt auch nicht in jedem Fall die Überzeugung der Verwaltung von der Rechtmäßigkeit des strittigen Verwaltungsaktes erkennen, denn er kann auf Abweisung der Klage als unzulässig gerichtet oder sonst ausschließlich durch die Verfahrenslage bedingt sein. Es besteht hier - anders als beim Widerspruchsbescheid (vgl. § 85 Abs. 3 Satz 1 SGG) - auch kein gesetzlicher Begründungszwang. Schließlich ist es auch nicht ausgeschlossen, in der Praxis sogar wahrscheinlich, daß der Widerspruch von anderen Bediensteten des Landesversorgungsamtes als denjenigen, die Klagen und Rechtsmittel zu bearbeiten haben, verbeschieden wird. Hierdurch kann sich im Einzelfall auch eine andere Verwaltungsentscheidung ergeben. Endlich ist noch zu berücksichtigen, daß die Behörde im Rahmen des Vorverfahrens den Sachverhalt - soweit notwendig - aufzuklären hat (vgl. Peters/Sautter/Wolff, Komm. z. SGb Anm. 5 zu § 85 SGG), während im Prozeßverfahren diese Verpflichtung dem Gericht obliegt. Sonach erscheint es nach Auffassung des erkennenden Senats gerechtfertigt, den in BSG 8, 10 aufgestellten Grundsatz, daß das Beharren der Verwaltung auf ihrem ablehnenden Standpunkt in Form des Klageabweisungsantrags kein Ersatz für das Vorverfahren sein kann, auch auf die Fälle anzuwenden, in denen - wie regelmäßig in der Kriegsopferversorgung - Widerspruchsbehörde und Vertretungsbehörde identisch sind. Somit hat das LSG sachlich über den Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenrente entschieden, obwohl die Prozeßvoraussetzung des durchgeführten Vorverfahrens fehlte. Insoweit leidet sein Verfahren daher an einem wesentlichen Mangel, der von Amts wegen zu beachten (vgl. BSG 8, 9), zudem auch von der Klägerin gerügt ist. Er führt zur Aufhebung des LSG-Urteils und läßt keine eigene Entscheidung zur Sache durch den erkennenden Senat zu, weil andernfalls auch dessen Urteil wegen Nichtbeachtung der Prozeßvoraussetzung des § 78 SGG fehlerhaft wäre (BSG 3, 297).

Obwohl der erkennende Senat in der Lage gewesen wäre, über die wegen Fehlens des Vorverfahrens unzulässige Klage selbst zu entscheiden, hat er davon abgesehen, weil er eine solche Entscheidung aus prozeßökonomischen Gründen für untunlich hielt (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG). Nach Abweisung der unzulässigen Klage wäre die Klägerin gezwungen, vom Beklagten einen Widerspruchsbescheid zu fordern, um sodann den Rechtsweg erneut zu beschreiten; hierdurch würde die Erledigung des Rechtsstreits u. U. wesentlich verzögert. Aus Gründen der Prozeßwirtschaftlichkeit und der Beschleunigung des Verfahrens macht der Senat daher von der ihm verfahrensrechtlich gegebenen Möglichkeit Gebrauch, den Rechtsstreit wegen des Hinterbliebenenrentenanspruchs der Klägerin gemäß § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG an das LSG zurückzuverweisen, damit das Vorverfahren noch nachgeholt werden kann (vgl. BSG in SozR SGG § 78 Bl. Da 1 Nr. 5). Dadurch wird ein neuer Rechtsstreit vermieden und die Sachentscheidung beschleunigt.

Der Mangel des Vorverfahrens betrifft nicht den Anspruch der Klägerin auf höheres Bestattungsgeld, weil am 29. Februar 1952 das SGG noch nicht galt. Der Senat hielt gleichwohl eine ihm an sich mögliche Entscheidung auch über diesen Anspruch für untunlich (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG), weil für den Anspruch auf Hinterbliebenenrente, hinsichtlich dessen eine Zurückverweisung an das LSG erfolgt, die Frage des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Schädigungsfolge und Tod des H. ebenso von entscheidender Bedeutung ist wie für den Anspruch auf das höhere Bestattungsgeld. Selbst wenn der Bescheid über den letzteren Anspruch aus formellen Gründen bindend würde, könnte sich die Versorgungsbehörde nicht auf die hier ausgesprochene Verneinung des Kausalzusammenhangs berufen, wenn sie diesen bei dem Anspruch auf Hinterbliebenenrente bejahen müßte; denn dies würde pflichtgemäßem Verwaltungsermessen widersprechen (vgl. BSG 7, 152; Urteil des erkennenden Senats vom 15. November 1961 in SozR SGG § 77 Bl. Da 17 Nr. 30).

Sonach war der Rechtsstreit in vollem Umfang an das LSG zurückzuverweisen. Dieses wird bei seiner erneuten Entscheidung auch das nunmehr geltende Recht berücksichtigen müssen. Rechtsänderungen, die vorher wirksam geworden sind, sind zu beachten, sofern das streitige Rechtsverhältnis von ihnen erfaßt wird (BSG 2, 188; 3, 237). Es wird daher darauf ankommen, ob durch den Wegfall der §§ 56 bis 59 BVG bei Inkrafttreten des Ersten Neuordnungsgesetzes vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453), am 1. Juni 1960, auch die Ansprüche der Klägerin berührt werden. Die Beschränkung der Anmeldung von Versorgungsansprüchen wegen Schädigungen vor dem 1. September 1939 ist bei Inkrafttreten des Ersten Neuordnungsgesetzes ersatzlos weggefallen (vgl. hierzu BT-Drucks. 1825, 3. Wahlperiode S. 9 zu §§ 56 bis 59). Neben der allgemeinen Voraussetzung des Ursachenzusammenhangs der Schädigung und ihrer Folgen (Gesundheitsstörungen) mit einem versorgungsrechtlich geschützten Tatbestand besteht nunmehr die weitere Voraussetzung nicht mehr, daß die Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung bereits anerkannt gewesen oder mit einer anerkannten Gesundheitsstörung in ursächlichem Zusammenhang gestanden haben muß (§ 58 Abs. 2 BVG aF). Der Gesetzgeber hat nicht näher geregelt, ob bzw. inwieweit sich der Wegfall der Ausschlußfristen auf anhängige Verfahren auswirken soll. Art. IV § 1 des Gesetzes bestimmt lediglich, daß die Neuregelung grundsätzlich für die laufende Versorgung gilt; neue, erst aus diesem Gesetz sich ergebende Ansprüche bedürfen der Anmeldung (vgl. Art. IV § 1 Abs. 2). Aus dem ersatzlosen und nicht irgendwie eingeschränkten Wegfall der Fristvorschriften ist jedoch auf den Willen des Gesetzgebers zu schließen, daß die Anwendung der Rechtswohltat des Ersten Neuordnungsgesetzes nicht auf bisher noch nicht angemeldete Ansprüche beschränkt sein soll (vgl. zu einem ähnlichen Fall BSG 3, 238), sondern daß jedenfalls die für den Versorgungsberechtigten günstigen Rechtsänderungen, die das Erste Neuordnungsgesetz gebracht hat, auch in schwebenden Verfahren anzuwenden sind. Da das Erste Neuordnungsgesetz erst am 1. Juni 1960 in Kraft getreten ist, kann sich die für die Klägerin günstige Rechtsänderung jedoch erst ab diesem Zeitpunkt auswirken. Dies ergibt sich schon aus dem Grundgedanken des Art. IV § 1 Abs. 2 des Ersten Neuordnungsgesetzes.

Entgegen der Auffassung der Revision hat das LSG zu Recht angenommen, daß die Vorschrift des § 58 Abs. 2 BVG aF sinngemäß auch für den Anspruch auf erhöhtes Bestattungsgeld gilt. Denn dieser Anspruch gründet sich auf die gleiche Voraussetzung wie der Hinterbliebenenrentenanspruch (vgl. § 36 Abs. 1, § 38 Abs. 1 BVG) und unterliegt daher auch den gleichen zeitlichen Einschränkungen wie dieser. Das bedeutet, daß sich der Anspruch auf Bestattungsgeld, der beim Tode des Ehemannes der Klägerin, also 1951, entstanden und fällig geworden ist, ausschließlich nach altem Recht richtet. Die Vorschrift des § 58 Abs. 2 BVG aF ist sonach für das Bestattungsgeld in vollem Umfange und für die Hinterbliebenenrente bis 31. Mai 1960 anzuwenden. Das LSG wird sonach die Frage des ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Tod des Ehemannes der Klägerin und dem Wehrdienst nur hinsichtlich des Anspruchs auf Hinterbliebenenrente und nur für die Zeit ab 1. Juni 1960 ohne Einschränkung zu prüfen, im übrigen aber die Vorschrift des § 58 Abs. 2 BVG aF zu beachten haben. Es wird dabei davon ausgehen müssen, daß die am 13. Juli 1921 anerkannte Gesundheitsstörung - "Folgen" einer Schußverletzung des linken Ober- (richtig: Unter-) schenkels - auch die im Zusammenhang mit der Schußverletzung aufgetretenen Eiterungen mit umfaßt, zumal sie nach den Feststellungen des LSG 1918/1919, also noch vor der Anerkennung, aufgetreten waren. Demgemäß hat auch der Bescheid des VersorgA Karlsruhe vom 12. April 1935 offensichtlich die Eiterung als Verletzungsfolge angesehen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem den Rechtsstreit abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

NJW 1963, 1374

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