Leitsatz (redaktionell)

Die Einlegung des Widerspruchs und die Klageerhebung durch einen nicht durch schriftliche Vollmacht ausgewiesenen Bevollmächtigten ist rechtswirksam, wenn der Beschädigte oder ein durch schriftliche Vollmacht ausgewiesener anderer Bevollmächtigter die Vertretung ausdrücklich oder stillschweigend bis zum Abschluß des Widerspruchsverfahrens bzw des Klageverfahrens genehmigt hat.

 

Normenkette

KOVVfG § 10 Abs. 3 S. 2 Fassung: 1955-05-02; SGG § 73 Abs. 3 S. 2 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 17. Mai 1961 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die Klägerin, deren Ehemann Josef H (H.) an den Folgen eines sich verschlimmernden Magenleidens (Magendurchbruch) am 1. September 1942 gestorben ist, beantragte im September 1952 Witwenrente. Sie machte geltend, die Verschlimmerung des Magenleidens sei auf Einflüsse einer Dienstleistung zurückzuführen, zu der ihr Ehemann auf Grund der Notdienstverordnung verpflichtet worden sei. Der Antrag wurde durch Bescheid vom 10. Juli 1953 abgelehnt, weil es sich nicht um eine Dienstleistung auf Grund der Notdienstverordnung (§ 3 Abs. 1 Buchst. k des Bundesversorgungsgesetzes - BVG -) gehandelt habe. Der Widerspruch hatte keinen Erfolg. Durch Urteil vom 4. Oktober 1960 verurteilte das Sozialgericht (SG) Gießen den Beklagten zur Zahlung der Witwenrente. Es hielt die Voraussetzungen einer Dienstleistung im Sinne des § 3 Abs. 1 Buchst. k BVG für gegeben und kam auf Grund des Gutachtens von Dr. H zu der Überzeugung, daß der Tod des Ehemannes der Klägerin auf eine Verschlimmerung des Magenleidens und dieses wiederum auf die Dienstleistung zurückzuführen sei. Auf die Berufung des Beklagten wurde diese Entscheidung durch Urteil des Hessischen Landessozialgerichts (LSG) vom 17. Mai 1961 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Das LSG bezweifelte nicht, daß H. militärähnlichen Dienst im Sinne des § 3 Abs. 1 Buchst. k BVG geleistet habe. Es ist auf Grund der Angaben der Klägerin und der Zeugen, insbesondere des Zeugen W davon ausgegangen, daß der von H. geleistete Dienst zwar mit einer Überbeanspruchung verbunden gewesen sei, jedoch sei dennoch der ursächliche Zusammenhang des Magenleidens und des darauf zurückgeführten Todes mit diesen Einwirkungen des militärähnlichen Dienstes nicht als wahrscheinlich anzusehen. Zu Recht habe der Beklagte insoweit auf die herrschende medizinische Beurteilung des Zusammenhangs von Magengeschwürsleiden mit äußeren Einwirkungen hingewiesen. Prof. Dr. K lehne einen solchen Zusammenhang in der Regel nicht nur bei militärischem Dienst in der Heimat ab, sondern erkenne ihn auch bei Vorliegen von Frontdienst nur im Falle außergewöhnlicher Belastungen (langdauernde besonders schwierige Dienstleistung, auch unter Mitwirkung erheblicher psychischer Belastungen, schwer komplizierte Schäden in der Gefangenschaft, Verwundungen und Infektionskrankheiten) an (vgl. Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen, Neuausgabe 1958, Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, S. 98). Seine Auffassung entspreche weitgehend der herrschenden Lehre, von der abzuweichen der Senat keinen Anlaß habe. Der Auffassung des Dr. H könne deshalb nicht beigetreten werden. Die Revision wurde nicht zugelassen.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 14. Juni 1961 zugestellte Urteil mit Schriftsatz vom 30. Juni 1961, beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangen am 1. Juli 1961, Revision eingelegt. Sie beantragt mit dem in diesem Schriftsatz gestellten, im Schriftsatz vom 28. Juli 1961 ergänzten Antrag,

nach den in der Vorinstanz gestellten Anträgen zu entscheiden,

hilfsweise,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Klägerin hat die Revision mit Schriftsatz vom 28. Juli 1961, beim BSG eingegangen am 30. Juli 1961, begründet. Sie rügt als wesentliche Verfahrensmängel ausdrücklich eine Verletzung des § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), sinngemäß vor allem aber eine Verletzung des § 128 SGG. Sie trägt dazu vor, das LSG habe den Zusammenhang des Magenleidens, das zu dem Magendurchbruch und zum Tode des H. geführt hat, mit Einwirkungen des Notdienstes nicht ausreichend geklärt. Es hätte weitere Beweise erheben müssen. Auf keinen Fall habe es sich auf Grund der allgemeinen Betrachtung medizinischer Ansichten und unter Bezugnahme auf die Fachliteratur über das überzeugende Gutachten des Dr. H hinwegsetzen dürfen. Nach der Rechtsprechung des BSG seien Gutachten stets auf den konkreten Fall abzustellen, die Auswertung medizinischer Fachliteratur durch die Richter als Ersatz für ein abschließendes Gutachten sei unzulässig. Im übrigen sei die von Prof. K vertretene Ansicht nicht unbestritten. Das LSG habe auch viel zu wenig die Aussagen des zum Nachfolger des H. bestellten Zeugen W berücksichtigt, der infolge der mit dieser Tätigkeit verbundenen außerordentlichen Belastungen unter ähnlichen Krankheitserscheinungen gelitten habe wie H. Unter den gegebenen Umständen hätte die Zusammenhangsfrage eingehend geprüft werden müssen und nicht unter kurzer Verweisung auf die Literatur abgetan werden dürfen. In Übereinstimmung mit dem Gutachten von Dr. H sei auf Grund der besonderen bisher bekannten Umstände der Zusammenhang als wahrscheinlich und der Anspruch auf Witwenrente als begründet anzusehen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision als unzulässig zu verwerfen.

Er hält die Rügen der Klägerin für nicht gerechtfertigt.

Die Revision ist frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden. Da sie vom LSG nicht zugelassen worden ist, ist sie nur statthaft, wenn ein wesentlicher Mangel im Verfahren des LSG gerügt wird (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG; BSG 1, 150), oder wenn bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung oder des Todes mit einer Schädigung im Sinne des BVG das Gesetz verletzt ist (§ 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG).

Die Klägerin hat als wesentliche Verfahrensmängel Verstöße gegen die §§ 103, 128 SGG gerügt. Für die Statthaftigkeit der Revision genügt es, wenn eine dieser Verfahrensrügen durchgreift; auf weitere Verfahrensrügen braucht in einem solchen Falle nicht mehr eingegangen zu werden (vgl. BSG in SozR SGG § 162 Bl. Da 36 Nr. 122).

Die Klägerin wendet sich vor allem gegen die Beweiswürdigung, soweit das LSG den Zusammenhang des Magenleidens und des darauf zurückzuführenden Todes des H. mit Einwirkungen des militärähnlichen Dienstes im Sinne des § 3 Abs. 1 Buchst. k BVG verneint hat. Sie bringt dazu vor, der allgemeine Hinweis auf medizinische Ansichten und die Berufung auf die Fachliteratur, insbesondere auf die von Prof. Dr. K vertretene Ansicht, hätte das LSG nicht berechtigt, das überzeugende Gutachten von Dr. H als widerlegt zu betrachten. Das LSG hätte vielmehr dieses Gutachten und den Sachverhalt unter Berücksichtigung der nach herrschender medizinischer Auffassung erheblichen Umstände im einzelnen näher würdigen müssen. Die Klägerin rügt insoweit vornehmlich Mängel in der Beweiswürdigung nach § 128 SGG. Diese Rüge ist auch gerechtfertigt.

Nach § 128 SGG entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung; in seinem Urteil hat es die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Verfahrensrechtlich fehlerhaft ist die Beweiswürdigung, wenn das Gericht die Grenzen seines Rechts auf freie Beweiswürdigung überschritten hat. Dabei braucht es nicht ausdrücklich auf jedes einzelne Vorbringen einzugehen und sich ausdrücklich damit auseinanderzusetzen; aus dem Urteil muß sich jedoch ergeben, daß es die für seine Entscheidung maßgebenden Umstände sachentsprechend gewürdigt hat (vgl. BSG 1, 91). Das Gericht überschreitet die Grenzen seines Rechts auf freie Beweiswürdigung auch dann, wenn es ärztlichen Darlegungen Ausführungen entnimmt, die in der von ihm angenommenen Form nicht darin enthalten sind, und aus einer insoweit fehlerhaften Beurteilung des Inhalts medizinischer Darlegungen zu unrichtigen Schlußfolgerungen gelangt (vgl. BSG in SozR SGG § 128 Bl. Da 5 Nr. 12).

Es bestehen schon Bedenken, ob sich das LSG unter den besonderen Umständen dieses Falles zur abschließenden Würdigung der Zusammenhangsfrage gegenüber dem eingehenden Gutachten des Dr. H mit der allgemeinen Berufung auf die herrschende medizinische Auffassung und die Ansichten von Prof, Dr. K über die Zusammenhänge zwischen Dienstleistungen im Kriege und Magengeschwüren begnügen durfte, ohne darzulegen, inwiefern Dr. H bei seinem Gutachten von der herrschenden Lehre abgewichen ist (BSG in SozR SGG § 128 Bl. Da 1 Nr. 2). Dies braucht hier aber nicht erörtert zu werden. Selbst wenn es nämlich verfahrensmäßig nicht zu beanstanden ist, daß das Gericht gegenüber einem eingeholten Fachgutachten seine Überzeugung allgemein auf eine herrschende Lehrmeinung stützt, die von einem bekannten Arzt und Hochschullehrer vertreten werde, so überschreitet es jedenfalls dann die Grenzen seines Rechts zur freien Beweiswürdigung, wenn es diesen Quellen seiner Überzeugungsbildung Ansichten unterstellt, welche in diesen Quellen nicht oder jedenfalls nicht uneingeschränkt in der wiedergegebenen Art geäußert worden sind. Die Rechtslage kann in einem solchen Falle nicht anders beurteilt werden als in dem Fall, in dem das Gericht einem ärztlichen Zeugnis eine Erklärung entnommen hat, die darin nicht enthalten ist, und damit den § 128 SGG verletzt hat (SozR SGG § 128 Bl. Da 5 Nr. 12). Das LSG hat seine Entscheidung über den Zusammenhang zwischen dem Wehrdienst und dem Magengeschwürsleiden des H. auf die herrschende Lehre gestützt, wie sie von Prof. Dr. K vertreten werde, der einen Zusammenhang zwischen Magengeschwürsleiden und militärischem Dienst nicht nur bei einem Dienst in der Heimat in der Regel ablehne, sondern auch bei Frontdienst nur außergewöhnlichen Belastungen einen Einfluß auf die Entwicklung des Leidens einräume. Auf eine solche angeblich von Prof. Dr. K geäußerte Auffassung in dem Werk von Fischer/Herget/Molineus, "Das ärztliche Gutachten im Versicherungswesen" Band II, S. 1026 hatte der Beklagte in seiner Berufungsschrift hingewiesen, so daß es sich bei dem Hinweis des LSG auf Prof. K nur um einen Hinweis auf die von Prof. K in jenem Werk geäußerten Ansichten handeln kann. In jenem Werk hat aber Prof. Dr. K andere und vor allem differenziertere Ansichten dargelegt, als sie das LSG seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat. Er unterscheidet bei der Betrachtung der Zusammenhänge zwischen Wehrdienst und Magengeschwüren zwischen der Entstehung eines Ulcus, die er zunächst auf der Seite 1026 erörtert und den im Verlauf eines Ulcusleidens auftretenden, in einer Verschlimmerung sich äußernden Schüben. Seiner Ansicht nach kann für die Entstehung eines Ulcus nicht der Wehrdienst in der Heimat und in den rückwärtigen Gebieten als Ursache angenommen und insoweit eine Wehrdienstbeschädigung nicht anerkannt werden; selbst Fronteinsatz und Gefangenschaft begünstigten im allgemeinen nicht die Entstehung eines Ulcus und dessen Chronischwerden (vgl. aaO S. 1026). Von diesem Satz gebe es nur wenige Ausnahmen, und eine Anerkennung im Sinne der Entstehung sei nur möglich, wenn es sich um besonders schwere psychische Belastungen in Verbindung mit Hungerzuständen oder um Magengeschwüre im Anschluß an schwere Infektionskrankheiten handle (vgl. aaO S. 1027). Hinsichtlich der Rezidive einer schon vor der Dienstleistung bestehenden Ulcuskrankheit ist Prof. Dr. K dagegen der Ansicht, daß Wehrdienstleistungen auch im Heimatgebiet und gerade dort zahlreiche das Auftreten solcher Rezidive begünstigende Momente enthielten; er meint deshalb, daß man solche im Wehrdienst auftretenden Schübe eines alten Ulcusleidens als Schädigungsfolge im Sinne einer Verschlimmerung anerkennen sollte (vgl. aaO S. 1027, 1028). Diese von Prof. Kalk hinsichtlich der Ursachen von Magengeschwüren hervorgehobenen Unterschiede hat das LSG bei der Beweiswürdigung übersehen, wobei dahingestellt bleiben kann, worauf dies beruht. Dabei kann das LSG nicht übersehen haben, daß es im vorliegenden Falle gerade auf die Unterscheidung zwischen der Entstehung oder der Verschlimmerung des Ulcusleidens des H. ankommt. Wie das LSG gleich im Eingang des Tatbestandes hervorhebt, hatte die Klägerin den Tod ihres Ehemannes auf die Arbeiten im Dienst zurückgeführt, durch die "ein Magenleiden, das er gehabt habe, verschlimmert worden sei ...". Hinzu kommt, daß nach der im Tatbestand des Urteils wörtlich wiedergegebenen Erklärung der Klägerin deren Ehemann H. etwa zwei bis drei Monate vor seinem Tode schon einmal wegen plötzlicher Magenbeschwerden erkrankt und im Krankenhaus zwei Wochen lang behandelt worden war.

Das LSG hat somit seiner Beweiswürdigung, insbesondere gegenüber dem vom SG eingeholten Gutachten des Dr. H, Auffassungen zugrunde gelegt, die Prof. Dr. K nicht oder jedenfalls nicht in der vom LSG dargestellten Weise zum Ausdruck gebracht hat. Es hat damit gegen § 128 SGG verstoßen.

Die Rüge der Klägerin ist daher gerechtfertigt und ihre Revision schon aus diesem Grunde statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG), ohne daß auf die weiter geltend gemachten Verfahrensrügen eingegangen zu werden braucht. Die sonach zulässige Revision ist auch begründet. Das angefochtene Urteil beruht auf dem gerügten wesentlichen Verfahrensmangel. Es ist möglich, daß das LSG bei verfahrensrechtlich einwandfreier Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens, insbesondere der medizinischen Unterlagen - unter Umständen nach Ergänzung der Beweise - eine andere Entscheidung getroffen hätte. Das Urteil des LSG mußte daher mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben werden. In der Sache selbst konnte der Senat nicht entscheiden, weil es nunmehr nach dem erfolgreichen Angriff der Klägerin an einer Feststellung über den Zusammenhang des militärähnlichen Dienstes des H. mit seinem Magengeschwürsleiden und Tod fehlt. Diese Feststellung aber hat das LSG zu treffen. Die Sache war daher zur erneuten Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380339

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