Leitsatz (redaktionell)

Über die Grenzen des Unfallversicherungsschutzes bei betriebssportlicher Betätigung.

 

Normenkette

RVO § 548 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1963-04-30

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. Dezember 1962 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger beansprucht Entschädigung für die Folgen einer Verletzung, die er sich am 17. September 1954 bei einem Fußballspiel zugezogen hat. Hinsichtlich des Sachverhalts enthält das angefochtene Urteil des Landessozialgerichts (LSG) folgende Feststellungen:

Der im Jahre 1922 geborene Kläger ist von Beruf Schlosser. Er war im Jahre 1954 bei der Firma G GmbH in G tätig und gehörte der im Betrieb gebildeten Fußballmannschaft an. Bei einem von dieser Mannschaft am 17. September 1954 gegen die Mannschaft der Firma R in G ausgetragenen Freundschaftsspiel zog er sich einen Bänderriß am linken Knie zu.

Die Firma G beschäftigte seinerzeit 180 bis 200 Angestellte und Arbeiter. Eine eigentliche Betriebssportgemeinschaft bestand damals noch nicht. Es hatten sich aber etwa 25 bis 30 Betriebsangehörige freiwillig zusammengeschlossen, um Betriebssport zu treiben. Die Möglichkeiten der sportlichen Betätigung erschöpften sich in der Teilnahme am Tischtennis- oder Fußballspielen. Tischtennis wurde auf dem Gelände des Betriebes gespielt. Die Fußballspieler fanden sich etwa zweimal im Monat samstags im Anschluß an die Arbeitszeit - im Sommer auch zu einer späteren Tageszeit - meist auf den Städtischen Sportplätzen in G zusammen. Es war dann regelmäßig der Betriebsleiter H der Betriebssportwart D oder der Meister als Aufsichtsperson zugegen. Fußballschuhe und Sportkleidung wurden von der Firma G angeschafft. Sie stellte ferner monatlich einen Betrag von 100,- DM zur Verfügung, aus dem die laufenden Unkosten für die Durchführung der Spiele bestritten wurden. Von den Teilnehmern am Betriebssport wurden keine Beiträge erhoben. Ein regelrechtes Training fand nicht statt.

Es kam vor, daß an diesen Fußballspielen nur Betriebsangehörige der Firma G teilnahmen. Dann pflegten z.B. die Junggesellen gegen die Verheirateten oder die Angestellten gegen die Arbeiter des Betriebes mannschaftsweise anzutreten. Meistens wurden jedoch Spiele gegen die Fußballmannschaften anderer Betriebe aus G oder benachbarten Orten ausgetragen. Auf ein Spiel, an dem nur Angehörige der Firma G teilnahmen, entfielen etwa fünf Spiele, in denen eine Mannschaft der Firma G gegen die eines anderen Betriebes antrat. Spiele gegen andere Unternehmen wurden vorher durch den Betriebsleiter H oder den Zeugen D vereinbart. Die von der Firma G hierzu von Fall zu Fall entsandte Mannschaft rekrutierte sich aus einem Spielerstamm von etwa 18 bis 20 Betriebsangehörigen. Dabei wurden nicht immer die elf besten Spieler aufgestellt. Es konnten auch Betriebsangehörige teilnehmen, die keine besonders guten Fußballspieler waren.

Derartige Spiele wurden auch gegen die Firma R aus G ausgetragen, mit der man auf sportlichem Sektor durch Angestellte der beiden Firmen gelegentlich geschäftlicher Besprechungen in Berührung gekommen war. Betriebssportwart der Firma R war damals der Zeuge H; mit ihm wurden die Spiele vorher von Fall zu Fall vereinbart. Vor dem Unfall des Klägers am 17. September 1954 hatten die Fußballmannschaften der beiden Betriebe etwa zwei oder drei Spiele gegeneinander ausgetragen. Auch am 17. September 1954 fand ein solches Spiel statt. Hierzu waren von der Firma G elf Spieler eingeteilt worden.

Zu der festgelegten Abfahrtszeit fanden sich aber nur insgesamt sieben Spieler ein. Obwohl diese keine komplette Fußballmannschaft stellen konnten, fuhren sie doch zu dem vereinbarten Treffen nach G und traten dort gegen die Mannschaft der Firma R an. Dabei wurde die Mannschaft der Firma G durch vier Spieler der Firma R aufgefüllt. Bei diesem Spiel zog sich der Kläger den Bänderriß am linken Knie zu.

Die Beklagte lehnte die Entschädigungsansprüche des Klägers durch Bescheid vom 8. Juni 1955 mit der Begründung ab, daß nach den Richtlinien des früheren Reichsversicherungsamts ein Betriebssport nicht mehr anzunehmen sei, wenn die Sportbetätigung über den Rahmen des Betriebes hinausgehe, insbesondere dann, wenn Wettspiele mit Mannschaften verschiedener Betriebe ausgetragen würden.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger Klage beim Sozialgericht (SG) Münster erhoben. Zur Begründung hat er im wesentlichen vorgetragen: Bei der Firma G habe eine Betriebssportgemeinschaft bestanden, die von dem Unternehmen gefördert und von einem Beauftragten des Unternehmens überwacht worden sei. Sie habe im wesentlichen Fußball und Tischtennis betrieben. Bei der geringen Anzahl der Fußballspieler würde das Interesse am Spiel bald erlahmt sein, wenn nur innerhalb der Sportgemeinschaft gespielt worden wäre, so daß es notwendig gewesen sei, Freundschaftsspiele ohne kampfbetonten Charakter mit den Mannschaften anderer Betriebe zu vereinbaren. Auch diese Spiele hätten lediglich dem Ausgleich und der Körperertüchtigung gedient. Das SG hat die im Unternehmen der Firma G tätigen Zeugen B und D sowie den im Unternehmen der Firma R beschäftigten H vernommen und durch Urteil vom 1. April 1957 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das SG u.a. ausgeführt, bereits dadurch, daß gegen einen anderen Betrieb gespielt werde, werde der eigentliche Zweck des Betriebssports als Ausgleichssport durch das in solchen Begegnungen dominierende betriebsfremde rein sportliche Interesse verdrängt. Der Zusammenhang mit dem Betrieb sei nicht mehr gegeben, wenn der Sport unter Beteiligung betriebsfremder Kräfte ausgeübt werde. Der Fall einer großen Betriebssportgemeinschaft, die mehrere Betriebe umfasse, sei nicht gegeben.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung beim LSG Nordrhein-Westfalen eingelegt. Dieses hat nochmals die Zeugen D und H vernommen und durch Urteil vom 11. Dezember 1962 die Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen.

Zur Begründung hat das LSG u.a. ausgeführt, es bestünden bereits insoweit Bedenken, als es sich beim Fußballspiel um eine Sportart handele, die ihrer Natur nach bereits leicht wettkampfähnlichen Charakter annehme. Auf jeden Fall aber fehle es an der Voraussetzung, daß die Teilnehmer an der Sportveranstaltung auf die Beschäftigten des veranstaltenden Unternehmens beschränkt gewesen seien. Es liege auch nicht ein Zusammenschluß von mehreren Unternehmen zur gemeinsamen Durchführung eines regelmäßig wiederkehrenden Ausgleichssports innerhalb eines im wesentlichen gleichbleibenden Kreises von Beteiligten vor. Die Fußballmannschaften der beiden Betriebe hätten zwar bereits zwei- bis dreimal gegeneinander gespielt. Die Mannschaft der Firma G habe jedoch ebenso auch gegen andere Betriebe gespielt und diese Spiele seien jeweils nur von Fall zu Fall besonders festgesetzt worden. Eine Organisation mehrerer Betriebe zur gemeinsamen Durchführung des Betriebssports habe also nicht bestanden. Bei dem Fußballspiel in Gelsenkirchen habe es sich infolgedessen nicht um versicherten Betriebssport gehandelt. Auch der Fall einer Gemeinschaftsveranstaltung des Unternehmens der Firma G liege nicht vor, da sich an der Fahrt nach G von den 180 - 200 Betriebsangehörigen der Firma G nur sieben Fußballspieler beteiligt hätten.

Das Urteil des LSG ist dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 28. Dezember 1962 zugestellt worden. Der Kläger hat am 3. Januar 1963 gegen das Urteil Revision eingelegt mit dem Antrag,

das Urteil des LSG, das Urteil des SG Münster und den Bescheid der Beklagten aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen,

den Unfall des Klägers als Arbeitsunfall zu entschädigen.

Am 29. Januar 1963 haben die Prozeßbevollmächtigten des Klägers die Revision begründet.

Sie führen u.a. aus: Die Fußballsportler der Firma G hätten eine festumrissene Gruppe innerhalb des Betriebes gebildet, die vom Unternehmen wirtschaftlich durch Zuschüsse gefördert worden sei. Das Unternehmen habe auch durch einen Beauftragten die Leitung bei der Ausübung des Fußballspiels übernommen. Die Übungszeiten an jedem zweiten Samstag nach der Arbeitszeit auf einem Städtischen Sportplatz hätten auch in einem dem Ausgleichszweck entsprechenden Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit gestanden. Der Fußballsport könne auch als Ausgleichssport anerkannt werden. Die Auffassung sei zu eng, daß nur "gezielter" Sport geeignet sei, Versicherungsschutz zu begründen. Es sei Aufgabe des Betriebssportwartes, die richtigen Ausgleichsübungen in das Fußballspiel einzulegen. Außerdem sei allein schon das Spiel in frischer Luft und das Laufen geeignet, Verkrampfungen entgegenzuwirken, die Lungen und Muskeln zu kräftigen; auch sei das Ballspiel geeignet, geistige und nervliche Belastungen ausgleichend zu korrigieren. Der Unfall habe sich allerdings bei einem Spiel gegen die Betriebssportgemeinschaft eines anderen Unternehmens ereignet und eine versicherte Gemeinschaftsveranstaltung habe nicht vorgelegen. Hierbei sei aber zu berücksichtigen, daß die Sportgemeinschaft nur aus 18 - 20 Spielern bestanden habe und infolgedessen nicht einmal zwei vollständige Mannschaften hätte stellen können. Bei einem so beschränkten Teilnehmerkreis würde jeder Reiz fehlen, mit dem Ballspiel anzufangen. Es sei vielmehr naturnotwendig, einen geeigneten Partner zu finden, auch andere Sportarten setzten einen Gegner voraus, ohne daß das Spiel einen Wettkampfcharakter annehmen müsse. Auch Medizinball werde häufig in zwei Mannschaften gespielt. Daß hier kein echter Wettkampf vorgelegen habe, ergebe sich deswegen gerade daraus, daß Spieler des anderen Betriebes in der eigenen Mannschaft mitgespielt hätten.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die durch Zulassung statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und somit zulässig. Sie hatte jedoch keinen Erfolg.

Jede sportliche Betätigung, die zweckmäßig und maßvoll betrieben wird, d.h. an die Leistungsfähigkeit des einzelnen angepaßt ist und ihn nicht überfordert, wird in der Regel sich auch auf die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit günstig auswirken und geeignet sein, die Beanspruchung durch die versicherte Tätigkeit im Unternehmen auszugleichen. Das Interesse des Unternehmens an einer vernünftigen und gesundheitsgemäßen Lebensführung der in ihm Beschäftigten reicht jedoch nicht aus, um die sportliche Betätigung der versicherten Tätigkeit im Unternehmen zurechnen zu können, wenn sich in einem Unternehmen Beschäftigte zu gemeinsamer sportlicher Betätigung zusammenfinden und hierbei vom Unternehmen gefördert werden. Der erkennende Senat hat im Urteil vom 28. November 1961 (BSG 16, 1) ausführlich dargelegt, welche Merkmale seiner Auffassung nach für eine Abgrenzung des versicherten Betriebssports von einer Sportausübung, die mit dem Betriebsinteresse nicht ausreichend eng verknüpft ist, maßgebend sein müssen. In diesem Urteil, auf das wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, hat der Senat u.a. dargelegt, daß eine sportliche Betätigung von Betriebsangehörigen dann als versicherte Tätigkeit im Unternehmen unter Versicherungsschutz steht, wenn sie geeignet ist, die körperliche oder geistige Beanspruchung durch die Arbeit auszugleichen, mit einer gewissen Regelmäßigkeit stattfindet und auch durch den im wesentlichen auf Betriebsangehörige beschränkten Teilnehmerkreis sowie durch Zeit und Dauer der Übungen in einem dem Ausgleichszweck entsprechenden Zusammenhang mit der Tätigkeit im Unternehmen steht.

Das LSG hat Bedenken geäußert, ob der Fußballsport überhaupt geeignet ist, dem Ausgleich für die körperliche und geistige oder nervliche Belastung durch die Betriebstätigkeit zu dienen. Dabei ist im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, daß weder die Feststellungen des LSG noch der Vortrag der Beteiligten in den Tatsacheninstanzen einen Anhalt dafür geben, daß bei dem Fußballspielen der Angehörigen der Firma G neben dem Spiel mit dem Ball zusätzlich ein ausgleichendes "Konditionstraining" durch gezielte Übungen betrieben wurde. Allerdings hat die Revision zutreffend darauf hingewiesen, daß eine größere Anzahl von Sportarten einen Gegner oder das Gegeneinanderspielen zweier Mannschaften voraussetzen und nicht schon deshalb von der Anerkennung als versicherter Betriebssport ausgeschlossen werden können. Doch bedarf diese Frage auch nach der Auffassung des erkennenden Senats im vorliegenden Fall keiner eingehenden Erörterung.

Abgesehen davon, daß die am Fußballspiel interessierten Betriebsangehörigen der Firma G nicht mit einer solchen Regelmäßigkeit zu sportlichen Betätigungen zusammenkamen, wie sie für einen wirksamen Ausgleichssport wünschenswert ist, hat der erkennende Senat u.a. als wesentlich angesehen, daß das Spiel am Unfalltag gegen die Mannschaft eines anderen Unternehmens ausgetragen worden ist, die mit der Mannschaft der Firma G nicht durch eine beide Unternehmen umfassende Organisation zur gemeinsamen Durchführung des Betriebssportes verbunden war. Dazu kommt, daß die Fußballspieler der Firma G um dieses Spiel zu ermöglichen, von dem Ort, an dem sie beschäftigt waren, in einen anderen, wenn auch benachbarten Ort, fahren mußten. Der erkennende Senat stimmt mit den Vorinstanzen im Ergebnis darin überein, daß jedenfalls die Teilnahme an dem Spiel in G den Rahmen eines betriebsbezogenen Ausgleichssports überschritten hat.

Das LSG hat ohne Rechtsirrtum entschieden, daß die Teilnahme an dem Fußballspiel in G nicht unter dem Gesichtspunkt des Betriebssports der versicherten Tätigkeit des Klägers im Unternehmen der Firma G zugerechnet werden kann.

Daß die Fahrt nach Gelsenkirchen keine unter Versicherungsschutz stehende betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung des Unternehmens der Firma G gewesen ist (vgl. hierzu BSG 1, 179), hat das LSG - wie auch die Revision nicht verkennt - gleichfalls ohne Rechtsirrtum entschieden. Der Unfall des Klägers vom 17. September 1954 hat sich somit nicht bei einer versicherten Tätigkeit ereignet (vgl. § 542 RVO aF). Die Revision ist unbegründet und war zurückzuweisen (§ 170 SGG).

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens ergeht auf Grund von § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2373387

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