Leitsatz (amtlich)

Bei der Prüfung, ob die Regelbemessung des Arbeitslosengeldes unbillig hart ist (§ 112 Abs 7 AFG), sind für die Feststellung der überwiegend ausgeübten beruflichen Tätigkeiten beitragspflichtige Zeiten einer abgeschlossenen Berufsausbildung und eines anschließenden Zivildienstes zusammenzurechnen (Fortführung von BSG vom 11.6.1987 - 7 RAr 29/86 = BSGE 62, 43 = SozR 4100 § 112 Nr 31).

 

Orientierungssatz

Unbillige Härte iS von § 112 Abs 7 AFG - Zivildienst:

1. Zeiten, in denen der Arbeitslose als Wehr- oder Zivildienstleistender nach § 168 Abs 2 AFG beitragspflichtig war, sind als Zeiten beruflicher Tätigkeiten iS des § 112 Abs 7 AFG anzusehen (vgl BSG vom 11.2.1988 - 7 RAr 75/86 = SozR 4100 § 112 Nr 35).

2. Bei der Prüfung, ob eine unbillige Härte iS von § 112 Abs 7 AFG vorliegt, ist für die Zeit des beitragspflichtigen Zivildienstes von dem Entgelt auszugehen, das der Zivildienstleistende nach seinen beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten hätte erzielen können, wenn er nicht zum Zivildienst einberufen worden wäre (vgl BSG vom 11.2.1988 - 7 RAr 75/86 = SozR 4100 § 112 Nr 35).

 

Normenkette

AFG § 112 Abs. 7, § 168 Abs. 2

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 30.10.1986; Aktenzeichen L 3 Ar 45/85)

SG Kiel (Entscheidung vom 14.01.1985; Aktenzeichen S 3 Ar 85/84)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe des dem Kläger zu gewährenden Arbeitslosengeldes (Alg).

Der Kläger war vom 1. September 1978 bis zum 16. Februar 1982 zur Berufsausbildung als Tischler beschäftigt und hat diese mit der Gesellenprüfung abgeschlossen. Während dieser Ausbildung erhielt er nach den tatsächlichen Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) ein monatliches Arbeitsentgelt von 514,00 DM. Vom 1. März 1982 bis zum 30. Juni 1983 war er Zivildienstleistender. Danach war er bis zum 31. Juli 1983 ohne Beschäftigung. Vom 1. August 1983 bis 31. Oktober 1983 arbeitete er als Praktikant in einem landwirtschaftlichen Betrieb und erhielt ein monatliches Arbeitsentgelt in Höhe von 528,30 DM. Anschließend war er bis 14. März 1984 ohne Beschäftigung. Danach übte er eine Tätigkeit als Tischler aus.

Am 17. November 1983 meldete sich der Kläger arbeitslos und beantragte Alg. Mit Bescheiden vom 23. November 1983 und 23. Dezember 1983 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Januar 1984 bewilligte ihm die Beklagte für 312 Kalendertage Alg ab 17. November 1983 in Höhe von 67,20 DM wöchentlich. Der Bemessung der Leistung legte sie ein wöchentliches Arbeitsentgelt von 120,-- DM zugrunde (528,30 DM x 3 : 13 = 121,90 DM; gerundet: 120,-- DM).

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger ab 17. November 1983 Alg nach einem gerundeten wöchentlichen Bemessungsentgelt von 520,-- DM zu zahlen. Es hat in seinem Urteil vom 14. Januar 1985 die Berufung zugelassen. Dieses von der Beklagten eingelegte Rechtsmittel hatte keinen Erfolg. Das LSG hat sein Urteil vom 30. Oktober 1986 im wesentlichen wie folgt begründet:

Die Feststellung des der Berechnung des Alg zugrunde zu legenden Bemessungsentgelts habe nach der Ausnahmeregelung des § 112 Abs 7 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) zu erfolgen. Mit Rücksicht auf die vom Kläger in den letzten drei Jahren vor der Arbeitslosmeldung überwiegend ausgeübte berufliche Tätigkeit sei es im Sinne dieser Vorschrift unbillig hart, das dem Kläger zustehende Alg nach § 112 Abs 2 und 3 AFG zu bemessen und hierbei die Praktikantenvergütung zugrunde zu legen. Der Kläger habe in dem hier maßgeblichen Dreijahreszeitraum vom 17. November 1980 bis 16. November 1983 15 Monate in Berufsausbildung gestanden, ein dreimonatiges Praktikum absolviert und 16 Monate Zivildienst geleistet. Diese Zivildienstzeit sei die vom Kläger überwiegend ausgeübte berufliche Tätigkeit iS des § 112 Abs 7 AFG. Für das Erfordernis des Überwiegens einer Tätigkeit genüge es, wenn dieses relativ sei, dh bei mehr als zwei Tätigkeiten in dem maßgeblichen Dreijahreszeitraum überwiege die, die am längsten gedauert habe. Hierauf sei jedenfalls dann abzustellen, wenn eine Zeit vorliege, die nicht viel weniger als die Hälfte des Gesamtzeitraums erfasse. Das sei hier die Zeit des Zivildienstes, in der der Kläger beitragspflichtig gewesen sei. Die Zivildienstzeit habe 16 Monate gedauert und damit die Zeit der beiden anderen Tätigkeiten in dem maßgeblichen Dreijahreszeitraum überwogen und annähernd dessen Hälfte umfaßt. Da somit die Zivildienstzeit als die vom Kläger überwiegend ausgeübte Tätigkeit anzusehen sei, bedeute es für ihn eine unbillige Härte, wenn die Bemessung seines Alg-Anspruchs auf der Grundlage des Bemessungsentgelts nach § 112 Abs 2 und 3 AFG erfolge. Zwar ergebe sich diese unbillige Härte nicht aus dem Vergleich der jeweils tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte, da sich das Entgelt aus der Praktikantentätigkeit von der Ersatzdienstvergütung nur unwesentlich unterscheide. Jedoch sei nicht auf das während der Zivildienstzeit vom Kläger tatsächlich erzielte Entgelt abzustellen, sondern auf das, was er hätte erhalten können, wenn er nicht Zivildienst hätte leisten müssen, sondern in seinem erlernten Tischlerberuf hätte arbeiten können. Die Berücksichtigung dieses fiktiv erzielbaren Arbeitsentgelts stehe im Einklang mit dem Wortlaut des Gesetzes und dem gesetzessystematischen Zusammenhang. Sie entspreche auch dem Zweck des § 112 Abs 7 AFG. Diese Auffassung finde ihre Bestätigung in § 112 Abs 5 Nr 9 AFG, der einen Sonderfall der unbilligen Härte regele und bestimme, daß für die Zeit, in der der Arbeitslose als Wehr- oder Zivildienstleistender nach § 168 Abs 2 AFG beitragspflichtig gewesen sei, von dem fiktiv erzielbaren Arbeitsentgelt nach § 112 Abs 7 AFG auszugehen sei. Für sie spreche auch, daß der Kläger durch die Aufnahme der Praktikantentätigkeit nicht schlechter gestellt werden dürfe, als dies der Fall gewesen wäre, wenn er unmittelbar im Anschluß an den Zivildienst arbeitslos geworden wäre. Infolgedessen müsse bei der Frage, ob eine unbillige Härte iS von § 112 Abs 7 AFG vorliege, das Regelbemessungsentgelt dem Arbeitsentgelt gegenübergestellt werden, das dem Kläger bei einer Beschäftigung als Tischler tariflich zugestanden hätte, falls er keinen Zivildienst geleistet hätte. Der Kläger habe auf der Grundlage des zur Zeit der Arbeitslosmeldung gültigen Tarifvertrages für gewerbliche Arbeitnehmer des holz- und kunststoffverarbeitenden Handwerks in Schleswig-Holstein vom 11. November 1983 bei einem Stundenlohn von 13,06 DM für Facharbeiter im ersten Gesellenjahr ein gerundetes wöchentliches Arbeitsentgelt von 520,-- DM erzielen können. Hiernach sei das erzielbare tarifliche Arbeitsentgelt um rund 300 vH höher als die Vergütung während der Zivildienstzeit. Dieser mit der Ableistung des Zivildienstes verbundene Lohnausfall stelle bereits für sich allein ein Opfer dar. Durch eine Berechnung des Alg nach der Maßgabe des Regelbemessungsentgelts würde es sich unbillig hart erhöhen. Daher entspreche es der Billigkeit, das Alg nach Maßgabe des erzielbaren Arbeitsentgelts zu berechnen. Ob die Rechtslage anders zu beurteilen sei, wenn sich der Kläger im Zeitpunkt der Arbeitslosmeldung bereits endgültig vom erlernten Beruf abgewandt hätte, sei nicht zu entscheiden gewesen. Der Kläger sei nämlich im Jahre 1984 erneut als Tischlergeselle versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Das SG habe hiernach zutreffend ein gerundetes wöchentliches Arbeitsentgelt von 520,-- DM bei der Berechnung des Alg zugrunde gelegt.

Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 112 Abs 7 AFG. Dem Alg-Anspruch des Klägers sei entgegen der Auffassung des LSG gemäß § 112 Abs 2 und 3 AFG das im Oktober 1983 erzielte Arbeitsentgelt als Praktikant in Höhe von 528,30 DM zugrunde zu legen. Eine unbillige Härte iS des § 112 Abs 7 AFG folge hieraus nicht. Dies setze voraus, daß der Kläger im maßgeblichen Dreijahreszeitraum überwiegend eine wesentlich höher entlohnte berufliche Tätigkeit ausgeübt habe. Daran fehle es hier, da die Zivildienstzeit des Klägers unberücksichtigt bleiben müsse. Der Zivildienst sei keine berufliche Tätigkeit iS des § 112 Abs 7 AFG. Soweit das AFG in bezug auf die Berücksichtigung des Zivildienstes bei der Leistungsbemessung in § 112 Abs 5 Nr 9 AFG besondere Regelungen getroffen habe, seien deren Voraussetzungen nicht erfüllt, da der Kläger im unmittelbaren Anschluß an den Zivildienst als Praktikant beitragspflichtig gewesen sei. Sinn des § 112 Abs 7 AFG sei es nicht, einen indirekt durch den Zivildienst eingetretenen Nachteil auszugleichen. Der Wortlaut dieser Vorschrift verbiete es, für Zeiten des Zivildienstes, in denen der Kläger keine berufliche Tätigkeit ausgeübt und deshalb kein Arbeitsentgelt erzielt habe, ein fiktives Arbeitsentgelt zu berücksichtigen. Nur aus einem Vergleich der tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte könne sich eine unbillige Härte ergeben. Dies sei hier nicht der Fall, da der Kläger im maßgeblichen Dreijahreszeitraum für die Dauer von 18 Monaten ein Arbeitsentgelt in Höhe von 528,30 DM und weniger erzielt habe und lediglich für 16 Monate ein höheres Arbeitsentgelt als dieses hätte erzielen können. Somit überwiege die Zeit, in der das Arbeitsentgelt des Klägers gleich hoch oder niedriger als das Bemessungsentgelt gewesen sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts vom 30. Oktober 1986 sowie das Urteil des Sozialgerichts vom 14. Januar 1985 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und weist ergänzend darauf hin, daß die Einstufung des Zivildienstes als berufliche Tätigkeit iS des § 112 Abs 7 AFG bereits aus der Bestimmung des § 107 Abs 1 Nr 1 AFG zu folgern sei. Diese Regelung und § 112 Abs 5 Nr 9 AFG seien Ausdruck des gesetzgeberischen Willens, daß ein Arbeitsloser durch die Ableistung einer allgemeinen Dienstpflicht keine Nachteile erleiden solle. Dies wäre jedoch der Fall, wenn die Bestimmung des § 112 Abs 7 AFG nicht zur Anwendung komme.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.

Nach den Feststellungen des LSG hat der Kläger dem Grunde nach Anspruch auf Alg ab 17. November 1983. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig. Die angefochtenen Bescheide haben jedoch die Höhe des Alg-Anspruches rechtswidrig zu niedrig festgesetzt.

Die Höhe des Alg richtet sich nach näherer Bestimmung des § 111 AFG und konkretisiert sich in einem bestimmten Prozentsatz des um pauschale Abzüge geminderten Arbeitsentgelts nach § 112 (§ 111 Abs 1 AFG). Der § 111 Abs 2 AFG stellt bestimmte Leistungsgruppen auf, die von den auf der Lohnsteuerkarte des Antragstellers eingetragenen Merkmalen ausgehen. Der individuelle Leistungssatz ergibt sich aus tabellarisch aufgestellten Leistungssätzen, die dem maßgeblichen Entgelt zugeordnet sind. Dies geschieht durch Rechtsverordnung (§ 111 Abs 2 AFG). Vorliegend ist maßgebend die Leistungsverordnung 1983 vom 23. Dezember 1982 (BGBl I 2038) und deren Anlage 2 (§ 1 Nr 2 der Leistungsverordnung 1983) und für die Zeit ab 1. Januar 1984 die Leistungsverordnung 1984 vom 13. Januar 1984 (BGBl I 49) und deren Anlage 2 (§ 1 Nr 2 der Leistungsverordnung 1984). Im Falle des Klägers hat die Beklagte zu Unrecht bei der Bemessung des Alg-Anspruchs das Arbeitsentgelt aus seiner Praktikantentätigkeit zugrunde gelegt und hierauf die Ermittlung des konkreten Leistungssatzes gestützt.

Die Grundregel für die Bestimmung des für den Alg-Anspruch maßgeblichen Arbeitsentgelts enthält § 112 Abs 2 AFG, der hier in der seit dem 1. Januar 1982 geltenden Fassung des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes (AFKG) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1497) anzuwenden ist. Danach ist von dem dort näher bestimmten Arbeitsentgelt des Bemessungszeitraumes auszugehen. Nach § 112 Abs 3 Satz 1 AFG (hier ebenfalls anzuwenden in der Fassung des AFKG) sind Bemessungszeitraum die letzten vor dem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Beschäftigungsverhältnis abgerechneten, insgesamt 20 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt umfassenden Lohnabrechnungszeiträume der letzten die Beitragspflicht begründenden Beschäftigungsverhältnisse vor der Entstehung des Anspruchs. Der Anspruch des Klägers ist am 17. November 1983 entstanden. Den Feststellungen des LSG ist zu entnehmen, daß davor zuletzt der Monat Oktober 1983 seiner Praktikantentätigkeit in dem landwirtschaftlichen Betrieb abgerechnet war und in diesem Monat mindestens 20 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt lagen. Dieser Monat ist daher nach § 112 Abs 3 Satz 1 AFG der hier maßgebliche Bemessungszeitraum. Dennoch kommt das in diesem Zeitraum von dem Kläger erzielte Entgelt in Höhe von 528,30 DM für die Bemessung seines Alg-Anspruchs nicht in Betracht.

Diese Rechtsfolge ergibt sich aus § 112 Abs 7 AFG, der hier anzuwenden ist. Hiernach ist das Alg nach dem am Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort des Arbeitslosen maßgeblichen tariflichen oder mangels einer tariflichen Regelung nach dem ortsüblichen Arbeitsentgelt derjenigen Beschäftigung zu bemessen, für die der Arbeitslose nach Lebensalter und Leistungsfähigkeit unter billiger Berücksichtigung seines Berufes und seiner Ausbildung nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes in Betracht kommt, wenn es mit Rücksicht auf die von dem Arbeitslosen in den letzten drei Jahren vor der Arbeitslosmeldung überwiegend ausgeübte berufliche Tätigkeit unbillig hart wäre, von dem Arbeitsentgelt nach den Absätzen 2 bis 6 auszugehen.

Es muß sich also aus der Regelbemessung eine unbillige Härte für den Arbeitslosen ergeben. Dabei kann jede Bemessung aus den Absätzen 2 bis 6 des § 112 AFG in Betracht kommen (BSGE 62, 43, 48 = SozR 4100 § 112 Nr 31; BSG SozR 4100 § 112 Nr 35). Maßstab für die Bestimmung des Rechtsbegriffs der unbilligen Härte ist der Vergleich zwischen den in den letzten drei Jahren vor der Arbeitslosmeldung von dem Arbeitslosen ausgeübten beruflichen Tätigkeiten und den daraus erzielten Entgelten. Erst ein deutlich höheres Entgelt aus in dieser Zeit überwiegend ausgeübten beruflichen Tätigkeiten als aus der Tätigkeit im Bemessungszeitraum spricht für eine unbillige Härte der Regelbemessung mit der Rechtsfolge des § 112 Abs 7 AFG (vgl dazu die Nachweise in BSGE 62, 43, 48 = SozR 4100 § 112 Nr 31 und BSG SozR 4100 § 112 Nr 35). Daher muß, um ein Mißverhältnis zwischen dem im Bemessungszeitraum erzielten geringeren Arbeitsentgelt und dem früheren Arbeitsentgelt aus einer höher bezahlten Tätigkeit bejahen zu können, diese höher bezahlte Tätigkeit die vom Arbeitslosen überwiegend ausgeübte berufliche Tätigkeit iS des § 112 Abs 7 AFG sein. Das ist hier der Fall.

Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß neben dem dreimonatigen Praktikum auch die Zeit des Zivildienstes vom 1. März 1982 bis 30. Juni 1983 als berufliche Tätigkeit iS des § 112 Abs 7 AFG zu werten und daher für die Beurteilung der Frage, ob die Bemessung des Alg nach der Praktikantenvergütung eine unbillige Härte darstellt, mit heranzuziehen ist. Wie der Senat bereits entschieden hat, sind Zeiten, in denen der Arbeitslose als Wehr- oder Zivildienstleistender nach § 168 Abs 2 AFG beitragspflichtig war, als Zeiten beruflicher Tätigkeiten iS des § 112 Abs 7 AFG anzusehen (BSGE 63, 153, 160; BSG SozR 4100 § 112 Nr 35). Der Kläger war in der o.a. Zeit seines Zivildienstes beitragspflichtig; denn er war unmittelbar vor Dienstantritt arbeitslos und für länger als drei Tage einberufen worden (§ 168 Abs 2 Nr 3 AFG).

In den Vergleich zwischen den vom Kläger in dem hier maßgeblichen Dreijahreszeitraum überwiegend ausgeübten beruflichen Tätigkeiten ist neben dem 16 Monate dauernden Zivildienst und dem dreimonatigen Praktikum auch die Zeit der Berufsausbildung von 15 Monaten einzubeziehen. Dies folgt daraus, daß auch sie der Beitragspflicht zur Bundesanstalt für Arbeit -BA- unterlag (§ 168 Abs 1 Satz 1 AFG; § 173a AFG iVm § 7 Abs 2 des Sozialgesetzbuches - Viertes Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - SGB 4). Für Zeiten der beruflichen Bildung hat der Senat bereits entschieden, daß diese als berufliche Tätigkeiten iS des § 112 Abs 7 AFG anzusehen sind, wenn sie der Beitragspflicht zur BA unterliegen oder den Zeiten einer beitragspflichtigen Beschäftigung gleichstehen (BSGE 62, 43, 48 = SozR 4100 § 112 Nr 31). Nichts anderes gilt für die betriebliche Berufsbildung.

Im Verhältnis zu der Praktikantentätigkeit vom 1. August bis 31. Oktober, deren Entgelt für die Bemessung des Alg-Anspruchs gemäß § 112 Abs 2 und 3 AFG maßgeblich wäre, war der Kläger in den letzten drei Jahren vor dem 17. November 1983 fünfzehn Monate als Auszubildender im Tischlerhandwerk und sechzehn Monate als Zivildienstleistender beschäftigt. Sein monatliches Entgelt aus der Praktikantentätigkeit betrug 528,30 DM. Während der Ausbildung zum Tischler erhielt er 514,-- DM.

Zutreffend hat das LSG erkannt, daß im Rahmen der Härteprüfung für die Zeit des Zivildienstes nicht auf die vom Kläger insoweit tatsächlich erzielte Vergütung abgestellt werden kann, sondern darauf, was er während dieser Zeit bei einer Beschäftigung im erlernten Beruf aufgrund der zu diesem Zeitpunkt maßgeblichen tariflichen Regelungen hätte verdienen können, wenn er nicht Zivildienst geleistet hätte. Die gegenteilige Auffassung der Beklagten, daß insoweit im Rahmen der Vergleichsbetrachtung nicht auf das vom Zivildienstleistenden fiktiv erzielbare, sondern auf das von ihm tatsächlich erzielte Entgelt abzustellen sei, ist abzulehnen. Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 11. Februar 1988 (BSG SozR 4100 § 112 Nr 35) näher ausgeführt und im einzelnen begründet hat, ist bei der Prüfung, ob eine unbillige Härte iS von § 112 Abs 7 AFG vorliegt, für die Zeit des beitragspflichtigen Zivildienstes von dem Entgelt auszugehen, das der Zivildienstleistende nach seinen beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten hätte erzielen können, wenn er nicht zum Zivildienst einberufen worden wäre.

Hierbei ist allerdings nicht, wie es das LSG getan hat, auf das erzielbare Arbeitsentgelt im Zeitpunkt der Arbeitslosmeldung abzustellen. Maßgebend ist vielmehr, was der Kläger als Tischlergeselle in der Zeit, in der er Zivildienst geleistet hat, also vom 1. März 1982 bis 30. Juni 1983, hätte verdienen können. Angesichts dessen, daß der Kläger nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG bereits im Zeitpunkt der Arbeitslosmeldung ein tarifliches Arbeitsentgelt hätte erzielen können, das um das Mehrfache höher gewesen wäre als das Zivildienstentgelt, ist ohne weiteres davon auszugehen, daß das für die gesamte Zivildienstzeit anzusetzende Tarifentgelt wenigstens dieser Größenordnung entsprochen hätte. Dieses würde angesichts seiner Höhe im Vergleich zum Praktikantengehalt offenkundig den Tatbestand der unbilligen Härte iS von § 112 Abs 7 AFG erfüllen; der Senat hat dies bereits bei einer Differenz von 25 % angenommen (BSG SozR 4100 § 112 Nr 19). An diesem Ergebnis ändert sich nichts wegen der notwendigen Einbeziehung der in den Dreijahreszeitraum fallenden Ausbildungszeiten des Klägers in die Betrachtung.

Allerdings vermag der Senat nicht die Auffassung des LSG zu teilen, für die Feststellung der überwiegend ausgeübten beruflichen Tätigkeit müsse bei mehr als zwei Tätigkeiten in dem Dreijahreszeitraum des § 112 Abs 7 AFG regelmäßig diejenige als maßgeblich angesehen werden, die relativ überwiege; das müsse jedenfalls dann der Fall sein, wenn, wie hier, diese Tätigkeit nicht viel weniger als die Hälfte des Dreijahreszeitraumes ausmache. Diese Auslegung ergibt keinen geeigneten Maßstab; wie das LSG selbst einräumt, kann seine Auffassung zu unbilligen Ergebnissen führen. Abgesehen davon ist die Auslegung nicht praktikabel. Sie läßt nicht für alle Fälle eindeutig erkennen, wo die zeitliche Begrenzung der relativ überwiegenden Tätigkeit liegen soll. Sie berücksichtigt zudem nicht, daß auch dann unbillige Härten denkbar sind, wenn ein Arbeitnehmer noch nicht mehr als eineinhalb Jahre beschäftigt war und er gerade im Bemessungszeitraum ein wesentlich geringeres Arbeitsentgelt erzielt hat als sonst. Derartige Unwägbarkeiten bei der Rechtsanwendung stehen nicht im Einklang mit dem von § 112 Abs 7 AFG grundsätzlich verfolgten Zweck, unbilligen Härten bei der Bemessung des Alg zu begegnen. Dementsprechend hat der Senat in seinem Urteil vom 21. April 1988 (BSGE 63, 153, 160) entschieden, daß eine von mehreren beruflichen Tätigkeiten in drei Jahren überwiegend auch dann ausgeübt worden sein kann, wenn sie weniger als achtzehn Monate gedauert hat.

Im vorliegenden Fall kommt es jedoch auf die getrennte Betrachtung von mehr als zwei verschiedenen beruflichen Tätigkeiten für die Rechtsfolgen aus § 112 Abs 7 AFG nicht an. Der Kläger ist nämlich im Rahmen dieser Vorschrift so zu behandeln, als habe er nur zwei Tätigkeiten ausgeübt, von denen die eine 31 Monate mit einem erheblich höheren durchschnittlichen monatlichen Arbeitsentgelt aufweist als die andere mit drei Monaten, die der Bemessung des Alg nach § 112 Abs 2 und 3 AFG zugrunde zu legen wäre.

Dies ergibt sich als Folge davon, daß die Zeiten, in denen der Kläger als Zivildienstleistender und als Auszubildender in dem Dreijahreszeitraum tätig war, zusammenzurechnen sind. Das wäre zwar nicht gerechtfertigt, wenn es allein auf das Arbeitsentgelt ankäme, welches der Kläger als Auszubildender in dem Dreijahreszeitraum erhalten hat. Dieses Entgelt war noch geringer als die Praktikantenvergütung. § 112 Abs 7 AFG stellt jedoch für die Frage, ob eine unbillige Härte vorliegt, auf die überwiegend ausgeübte berufliche Tätigkeit ab. Schon hieraus folgt, daß für die Ermittlung der Vergleichswerte bei der Anwendung des § 112 Abs 7 AFG rechtlich selbständige berufliche Tätigkeiten nicht stets getrennt zu betrachten sind. Infolgedessen hat der Senat schon früher jedenfalls mehrere beruflich gleichartige Tätigkeiten als Einheit angesehen und deren Wertigkeit im Sinne ihres Entgeltdurchschnitts dem Wert der Tätigkeit im Bemessungszeitraum gegenübergestellt (vgl BSGE 45, 49, 54 = SozR 4100 § 112 Nr 6).

Ein solcher Sachverhalt ist auch hier gegeben. Dafür ist zunächst die im Gesetz selbst enthaltene Unterstellung zu berücksichtigen (§ 112 Abs 5 Nr 9 AFG), daß der Kläger als Tischler gearbeitet hätte, wenn er nicht zum Zivildienst einberufen worden wäre (BSGE 63, 153, 162). Grundlage hierfür ist seine abgeschlossene Ausbildung für diesen Beruf. Die Ausbildungszeiten haben daher versicherungsrechtlich einen stärkeren Bezug zur fiktiven Tätigkeit des Klägers als Tischler als zu der zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Praktikant. Das gilt jedenfalls dann, wenn sie - wie das hier der Fall ist - unmittelbar vor dem Zivildienst liegen. Für den stärkeren Bezug der Ausbildungszeiten zu der Tätigkeit als Tischler spricht auch, daß die Ausbildungszeiten leistungsrechtlich einen höheren Wert repräsentieren, als dies bei einer Ausbildung ohne Abschlußprüfung der Fall ist. Bei einer Feststellung des Arbeitsentgelts nach § 112 Abs 5 Nr 2 AFG wären nämlich insoweit 75 vH des Arbeitsentgelts nach § 112 Abs 7 AFG (jetzt 50 %, s Art 17 Nr 17 des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 vom 22. Dezember 1983 -BGBl I 1532), mindestens aber das Arbeitsentgelt aus der Beschäftigung zur Berufsausbildung zugrunde zu legen. Dies rechtfertigt es, die hier in Betracht kommenden Zeiten der Ausbildung zum Tischler mit denen der Tätigkeit als Zivildienstleistender zur Feststellung der überwiegend ausgeübten Tätigkeit iS von § 112 Abs 7 AFG als einen einheitlichen Komplex anzusehen und sie deshalb zusammenzuzählen. Diese Zeiten hat der Kläger im Verhältnis zu den für die Regelbemessung maßgeblichen Zeiten als Praktikant iS von § 112 Abs 7 AFG überwiegend ausgeübt.

Angesichts der Höhe der dem Kläger während der oa überwiegend ausgeübten Tätigkeiten zurechenbaren Entgelte ergibt sich, daß die Bemessung nach dem Entgelt während der Praktikantenbeschäftigung unbillig hart wäre. Hierbei ist, wie bereits ausgeführt wurde, bei der Bewertung des Zivildienstes von einem Entgelt auszugehen, das der Kläger iS von § 112 Abs 7 AFG nach seinen beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten hätte erzielen können, hier also als Tischler. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG hätte der Kläger in der Zeit, in der er Zivildienst geleistet hat, auf jeden Fall als Tischler monatlich rund 2.000,-- DM brutto verdienen können. Aus der Summe der fiktiv erzielbaren Entgelte als Tischler und des erzielten Entgelts als Auszubildender ist ein monatlicher Durchschnitt zu bilden, um Zufallsergebnisse zu vermeiden (siehe BSGE 45, 49, 57 ff = SozR 4100 § 112 Nr 6). Dieser liegt hier bei rund 1.280,-- DM /(16 x 2.000,--) + (15 x 514,--) : 31/, ist also erheblich mehr als das Doppelte der Praktikantenvergütung von 528,30 DM. Damit ist der Tatbestand der unbilligen Härte erfüllt. Diesen hat der Senat, wie schon aufgezeigt wurde, bereits bei einer Differenz von 25 vH anerkannt (BSG SozR 4100 § 112 Nr 19).

Hiernach hat das LSG im Ergebnis zutreffend die Entscheidung des SG bestätigt, daß die Höhe des Alg gemäß § 112 Abs 7 AFG zu bestimmen ist. Es ist hierbei zutreffend von dem einschlägigen Tariflohn eines Tischlers zur Zeit der Arbeitslosmeldung ausgegangen.

Die Revision der Beklagten muß deshalb zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1665215

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