Leitsatz (amtlich)

1. Eine Versagung des Krankengeldes wegen Nichtbefolgung einer Weisung des Rentenversicherungsträgers im Rahmen der Tuberkulosebekämpfung (BSHG § 136 Abs 2) setzt nicht voraus, daß die Weisung bereits bindend geworden ist.

2. Die Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen eine Weisung nach BSHG § 136 Abs 2 S 1 hat keine aufschiebende Wirkung. Ob der Widerspruch gegen einen Bescheid, der wegen Nichtbefolgung der Weisung eine Barleistung versagt (BSHG § 136 Abs 2 S 2), aufschiebende Wirkung hat, bleibt unentschieden. Auf diese Frage kommt es nicht mehr an, wenn die Beteiligten - nach Erteilung des Widerspruchsbescheides - nur noch über dessen sachliche Richtigkeit streiten.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Versagung des Krankengeldes gemäß BSHG § 136 Abs 2:

Die durch BSHG § 136 Abs 2 S 2 für die zur Tuberkulosebekämpfung verpflichteten Stellen eröffnete Möglichkeit ua einem Tuberkulosekranken, der in grober Weise oder beharrlich gegen die Weisung eines Sozialversicherungsträgers verstößt, Barleistungen mit Ausnahme von Renten ganz oder teilweise zu versagen, solange der Kranke trotz schriftlichen Hinweises auf diese Folgen sein Verhalten fortsetzt, steht auch der KK zu und zwar auch dann, wenn die stationäre Heilbehandlung nicht von ihr, sondern - bei gleichzeitig rentenversicherten Mitgliedern - von dem Träger der Rentenversicherung gewährt wird und deshalb dieser, nicht die KK, eine Weisung iS des BSHG § 136 Abs 2 erteilt hat.

2. Die Einlegung eines Widerspruchs gegen die Anordnung des Rentenversicherungsträgers hindert die KK nicht daran, dem Versicherten bei einem Verstoß iS des BSHG § 136 Abs 2 das Krankengeld zu versagen.

 

Normenkette

BSHG § 136 Abs. 2 S. 2; SGG § 86 Abs. 2 Fassung: 1954-08-10; BSHG § 136 Abs. 2 S. 1; SGG § 86 Abs. 3 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Auf die Revision der beklagten Krankenkasse wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 12. März 1971 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Die beklagte Krankenkasse, deren Mitglied der Kläger ist, hat ihm für die Zeit vom 20. Februar bis zum 31. Mai 1968 das Krankengeld versagt, weil er sich geweigert hatte, eine von der beigeladenen Landesversicherungsanstalt (LVA) bestimmte Heilstätte aufzusuchen. Nachdem er im Juli 1967 wegen Verdachts von Lungentuberkulose krankgeschrieben, zunächst in mehreren Krankenhäusern gewesen und von dort im November 1967 mit der dringenden Empfehlung zur Vornahme einer Heilstättenbehandlung entlassen worden war, wollte die beigeladene LVA eine solche Behandlung in ihrem Sanatorium T durchführen lassen (Bescheid vom 24. Januar 1968, bestätigt am 28. Februar 1968). Der Kläger erhob gegen die Bestimmung der Heilstätte Widerspruch, weil er zu deren Ärzten kein Vertrauen habe, und beantragte, ihn in einer (von der Badischen Anilin- und Sodafabrik unterhaltenen) Heilstätte D zu behandeln. Während das Widerspruchsverfahren schwebte - am 20. Februar 1968 sollte der Kläger seine Kur in T antreten -, wies ihn die Beklagte mit Schreiben vom 29. Januar und 13. Februar 1968 auf die Folgen eines Nichtantritts der Kur hin und kündigte ihm im letzten Schreiben zugleich an, sie werde bei weiterer Weigerung die Krankengeldzahlung ab 20. Februar 1968 einstellen. Da der Kläger bei seiner Weigerung blieb, erhielt er von dem genannten Tage an kein Krankengeld mehr. Seinen Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 1. April 1968 zurück, nahm aber später (ab 1. Juni 1968) die Krankengeldzahlung wieder auf, nachdem ihr der Vertrauensärztliche Dienst mitgeteilt hatte, daß beim Kläger inzwischen ein gewisser Endzustand (Verschwartung der linken Lunge) eingetreten sei, der z. Zt. durch eine stationäre Behandlung nicht gebessert werden könne.

Das Sozialgericht hat die Klage nach Einholung einer Auskunft der Heilstätte D als unbegründet abgewiesen: Diese Heilstätte sei für den Kläger nicht geeignet, seine Weigerung, das Sanatorium T aufzusuchen, daher pflichtwidrig gewesen, so daß die Beklagte das Krankengeld nach § 136 Abs. 2 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) habe versagen dürfen (Urteil vom 4. März 1969).

Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) die Beklagte verurteilt, ihm das Krankengeld für die streitige Zeit nachzuzahlen: Die ihm erteilte Weisung, die Heilstätte T aufzusuchen, sei nicht bindend geworden, da seine Widersprüche gegen die Bescheide der Beigeladenen und der Beklagten aufschiebende Wirkung gehabt hätten. Solange aber keine bindende Weisung vorliege, dürfe das Krankengeld nicht wegen Nichtbefolgung der Weisung versagt werden (Urteil vom 12. März 1971).

Die Beklagte hat die zugelassene Revision eingelegt und u. a. geltend gemacht, die vom Kläger eingelegten Widersprüche hätten entgegen der Ansicht des LSG keine aufschiebende Wirkung gehabt. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Einweisung in eine bestimmte Heilstätte. Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen.

Die beigeladene LVA ist der Auffassung der Beklagten beigetreten.

Der Kläger hat sich vor dem Bundessozialgericht (BSG) nicht durch einen zugelassenen Prozeßbevollmächtigten vertreten lassen.

Alle Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

II

Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Ihre Verurteilung durch das LSG kann mit der im angefochtenen Urteil gegebenen Begründung nicht aufrechterhalten werden.

Die Beklagte hat die Versagung des Krankengeldes für die streitige Zeit (20. Februar bis 31. Mai 1968), während der der Kläger arbeitsunfähig war, in erster Linie auf § 136 Abs. 2 Satz 2 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) vom 30. Juni 1961 gestützt. Danach kann der Träger der Sozialversicherung - als eine der sonstigen zur Tuberkulosebekämpfung verpflichteten Stellen (Überschrift vor § 132 BSHG) - u. a. einem Tuberkulosekranken, der in grober Weise oder beharrlich gegen die Weisung eines Sozialversicherungsträgers verstößt, Barleistungen mit Ausnahme von Renten ganz oder teilweise versagen, solange der Kranke trotz schriftlichen Hinweises auf diese Folge sein Verhalten fortsetzt. Diese Versagungsbefugnis steht auch einer Krankenkasse zu, wenn die stationäre Heilbehandlung nicht von ihr, sondern - wie bei gleichzeitig rentenversicherten Mitgliedern - von dem Träger der Rentenversicherung gewährt wird (§ 1244 a Abse. 1 bis 3 RVO), und deshalb dieser, nicht die Krankenkasse, eine Weisung im Sinne der genannten Vorschrift erteilt hat (vgl. BSG 33, 130, 131 f mit weiteren Nachweisen). Befindet sich ein Kranker, wie hier der Kläger, während der fraglichen Zeit im ambulanter Behandlung und bezieht er Krankengeld von seiner Krankenkasse, so hat diese als einzige Stelle die Möglichkeit, einer Weisung des Rentenversicherungsträgers zum Aufsuchen einer Heilstätte durch Androhung einer Versagung des Krankengeldes oder, falls erforderlich, durch dessen tatsächliche Vorenthaltung Nachdruck zu verleihen. Im übrigen hat hier die Krankenkasse ein eigenes legitimes Interesse an der Anwendung von Beugezwang, weil ihre Verpflichtung zur Zahlung von Krankengeld mit dem Beginn der stationären Heilbehandlung und der damit verbundenen Zahlung von Übergangsgeld durch den Rentenversicherungsträger entfällt (§§ 1244 a Abs. 6, 183 Abs. 6 RVO).

Daß in solchen Fällen zwischen der Weisung des Rentenversicherungsträgers und der Maßnahme der Krankenkasse ein enger Zusammenhang besteht, ist nicht zu verkennen. Das LSG hat deswegen gefordert, die Weisung des Rentenversicherungsträgers müsse erst "bindend" geworden sein, bevor die Krankenkasse das Krankengeld versagen dürfe; diese Voraussetzung sei hier wegen der aufschiebenden Wirkung der vom Kläger eingelegten Widersprüche nicht erfüllt gewesen, die Beklagte habe deshalb das Krankengeld zu Unrecht versagt. Dem kann nicht beigetreten werden.

Abgesehen davon, daß die Frage, ob ein angefochtener Verwaltungsakt im Sinne des § 97 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bindend geworden ist oder nicht, nicht mit dem Hinweis auf die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs zu beantworten ist - auch Rechtsbehelfe ohne aufschiebende Wirkung hemmen den Eintritt der Bindung bzw. Rechtskraft (sog. Suspensiveffekt der Rechtsbehelfe als deren allgemeines Merkmal, vgl. Rosenberg-Schwab, Zivilprozeßrecht, 10. Auflage, § 135 S. 697) -, setzt die Versagung des Krankengeldes wegen Nichtbefolgung einer Weisung eines Rentenversicherungsträgers (§ 136 Abs. 2 Satz 2 BSHG) nicht voraus, daß die Weisung bereits bindend geworden ist. Müßte die Krankenkasse immer erst den Eintritt der Bindung abwarten, so läge es in der Hand des Kranken, durch Ausschöpfung aller Rechtsbehelfe gegen die ihm erteilte Weisung die Anwendung eines Zwangsmittels seitens der Krankenkasse auf unabsehbare Zeit hinauszuschieben. § 136 Abs. 2 Satz 2 BSHG hätte dann kaum noch praktische Bedeutung, obwohl gerade in Tuberkulosefällen eine umgehende Einleitung der Behandlung unter dem Gesichtspunkt ihrer größtmöglichen Wirksamkeit besonders dringend ist.

Der Umstand, daß der Kläger die ihm erteilte Weisung angefochten hatte, so daß diese zunächst nicht bindend werde, hinderte mithin die Anwendung von Beugezwang in Gestalt der Versagung des Krankengeldes nicht. Rechtswidrig ist allerdings eine Zwangsmaßnahme, die der Durchsetzung eines Ge- oder Verbotes dienen soll, dessen Rechtswidrigkeit seinerseits festgestellt ist oder später festgestellt wird. Das folgt schon aus dem Funktionszusammenhang von Zweck und Mittel. Andererseits kann allein die Einlegung eines Rechtsbehelfs, mit dem die Rechtswidrigkeit einer Weisung nach § 136 Abs. 2 Satz 2 BSHG behauptet wird, die Verhängung einer Beugemaßnahme nicht ausschließen, wenn die genannte Vorschrift nicht wirkungslos werden soll.

Entgegen der Ansicht des LSG hatte der Widerspruch des Klägers gegen die ihm erteilte Weisung auch keine aufschiebende Wirkung. Den einschlägigen Bestimmungen des Sozialgerichtsgesetzes, insbesondere den § 86 Abs. 2 und 3 und § 97, ist nicht zu entnehmen, daß der Widerspruch oder die Klage gegen eine Weisung nach § 136 Abs. 2 BSHG aufschiebende Wirkung haben. Unter den einzelnen - enumerativ aufgeführten - Fällen der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen ist die Anfechtung einer Weisung gegenüber einem Tuberkulosekranken nicht genannt. Auch sinngemäß kann dieser Fall keinem der ausdrücklich geregelten zugeordnet werden.

Unentschieden kann bleiben, ob der Widerspruch des Klägers insofern aufschiebende Wirkung hatte, als er sich nicht gegen die Weisung der LVA, sondern gegen den Versagungsbescheid der Beklagten richtete. Wäre dies in unmittelbarer oder in entsprechender Anwendung des § 86 Abs. 2 SGG anzunehmen ("Der Widerspruch gegen Verwaltungsakte, welche ... in der Sozialversicherung eine laufende Leistung entziehen, hat aufschiebende Wirkung"), so wäre die Beklagte zwar vorläufig , d. h. bis zum Erlaß ihres Widerspruchsbescheides, - nach Erhebung der Klage hätte der Vollzug des Versagungsbescheides allenfalls durch das Gericht auf Antrag des Klägers ausgesetzt werden können (§ 97 Abs. 2 SGG) - zur Weiterzahlung des Krankengeldes verpflichtet gewesen. Auf diese Frage kommt es jedoch nicht mehr an, nachdem die Beklagte den Widerspruchsbescheid am 1. April 1968 erteilt, der Kläger ihn angefochten hat und nunmehr der Streit der Beteiligten nur noch darum geht, ob dem Kläger das Krankengeld für die fragliche Zeit in der Sache zu Recht versagt worden ist. Dies hat das LSG bisher nicht geprüft.

Die Entscheidung darüber hängt zunächst davon ab, ob der Kläger sich seinerzeit mit Recht geweigert hat, die Heilstätte T aufzusuchen, weil er, wie er meint, einen triftigen Grund gehabt hat, eine Heilbehandlung dort abzulehnen. Hatte er einen solchen Grund, wäre die Weisung der Beigeladenen zum Aufsuchen der genannten Heilstätte und damit zugleich der zu ihrer Durchsetzung erlassene Versagungsbescheid der Beklagten rechtswidrig gewesen. Im anderen Fall wäre weiter zu prüfen, ob der Kläger während der fraglichen Zeit einer stationären Behandlung bedurfte und ob er, wie es scheint, in genügend deutlicher Form auf die Konsequenzen einer Nichtbefolgung der von der Beigeladenen erteilten Weisung hingewiesen worden ist (vgl. das Urteil des Senats vom 23. Juni 1972, 3 RK 7/70). Zur Nachholung der entsprechenden Feststellungen hat der Senat den Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen. Dieses wird auch, sofern nicht alle Voraussetzungen für eine Anwendung des § 136 Abs. 2 Satz 2 BSHG vorgelegen haben sollten, zu prüfen haben, ob die Versagung des Krankengeldes nach § 184 RVO (Ersetzungsbefugnis der Krankenkasse) gerechtfertigt war (vgl. das zuletzt genannte Urteil des Senats).

 

Fundstellen

BSGE, 129

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