Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewährung von Rehabilitationsleistungen durch den Rentenversicherungsträger

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Gewährung von Rehabilitationsmaßnahmen durch den Rentenversicherungsträger setzt stets voraus, daß die Erwerbsfähigkeit des Versicherten infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte gefährdet oder gemindert ist.

2. Der Rentenversicherungsträger kann einem unterschenkelamputierten Versicherten, bei dem weder die Erwerbsfähigkeit gemindert ist noch Anzeichen für eine Gefährdung der Erwerbsfähigkeit gegeben sind, keine Schwimmprothese als Hilfsmittel gewähren; allein die Möglichkeit, daß der Versicherte bei der Ausübung des Schwimmsports ohne Schwimmprothese einmal verunglücken könnte, begründet keine Gefährdung der Erwerbsfähigkeit.

 

Normenkette

AVG § 13 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23, § 14 Nr. 4 Fassung: 1974-08-07, § 84 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1236 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23, § 1237 Nr. 4 Fassung: 1974-08-07, § 1305 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 8. Februar 1974 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Beklagte die Kosten einer neuen Schwimmprothese für den Kläger zu tragen hat.

Der 1914 geborene Kläger hat als Kind einen Unfall erlitten; in dessen Folge wurde ihm das rechte Bein im Unterschenkel amputiert. Er ist als Buchhalter beschäftigt. Die Beklagte übernahm bereits 1964 und wieder 1968 die Kosten einer Schwimmprothese (eine für den Weg von der Kabine zum Schwimmbecken bestimmte unbeschuhte Prothese). Den im April 1972 erneut gestellten Antrag lehnte die Beklagte dagegen durch Bescheid vom 23. Mai 1972 ab, weil es sich nicht um ein Hilfsmittel im Sinne ihrer Richtlinien handele. Der Widerspruch des Klägers wurde zurückgewiesen. Das Sozialgericht (SG) hob beide Bescheide auf. Auf die zugelassene Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) die Klage abgewiesen und dazu ausgeführt:

Nach § 13 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) könne die Beklagte Maßnahmen im Rahmen des § 14 AVG gewähren, wenn die Erwerbsfähigkeit des Versicherten infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte gemindert oder wenigstens gefährdet sei. Das sei nicht der Fall. Die neuere Rechtsprechung zur Krankenversicherung (Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 15. November 1973 - 3 RK 77/72 - SozR Nr. 3 zu § 187 RVO) lasse es allerdings genügen, wenn das Hilfsmittel die Fähigkeit, am allgemeinen gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, fördere. Ob diese Rechtsgedanken auf die §§ 13, 14 AVG in erweiternder Auslegung übertragbar seien, bleibe offen; denn auch dann ändere sich am Ergebnis nichts, weil für den Kläger eine Ausübung des Schwimmsports ohne Schwimmprothese nicht unzumutbar sei. Der Kläger könne seinen Anspruch schließlich nicht auf § 84 AVG stützen.

Mit der zugelassenen Revision beantragt der Kläger,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung der Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen.

Sein Anspruch gründe sich auf § 14 Abs. 2 AVG; die Entscheidung des BSG vom 15. November 1973 habe eine andere Rechtsgrundlage. Der Versicherungsträger müsse auf Grund seiner Treuepflicht dafür sorgen, daß der Kläger den Schwimmsport möglichst gefahrlos ausüben könne; eine Ausübung ohne Schwimmprothese sei ihm nicht zumutbar.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Kostenübernahmen von 1964 und 1968 keine Bindung für die Zukunft bewirkten.

Es hat auch zu Recht angenommen, die Gewährung von Rehabilitationsmaßnahmen nach §§ 13, 14 AVG setze stets voraus, daß die Erwerbsfähigkeit des Versicherten infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte gefährdet oder gemindert ist. Hierzu hat das LSG festgestellt, der Gesundheitszustand des Klägers sei ausgezeichnet, seine Erwerbsfähigkeit nicht gemindert und es seien keine Anzeichen für eine Gefährdung gegeben. Diese tatsächlichen Feststellungen sind nicht angegriffen und deshalb für das Revisionsgericht bindend (§ 163 SGG). Das LSG mußte danach zu dem Ergebnis kommen, daß die Beklagte eine Leistung nach den §§ 13, 14 AVG ermessensfehlerfrei versagt hat, weil die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen hierfür nicht vorgelegen haben. Rechtsbegriffe hat das LSG dabei nicht verkannt. Allein die Möglichkeit, daß der Kläger bei Ausübung des Schwimmsports ohne Schwimmprothese einmal verunglücken könnte, begründet keine Gefahr für seine Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 13 Abs. 1 AVG. Hierfür kommen nur Gefahren in Betracht, die sich unmittelbar aus dem Gesundheitszustand für die Erwerbsfähigkeit ergeben. Da somit die Voraussetzungen zur Anwendung des § 13 AVG fehlen, erübrigt es sich, auf § 14 AVG näher einzugehen.

Die vom LSG erörterte erweiternde Auslegung der §§ 13, 14 AVG entsprechend den Erwägungen des BSG zu dem - inzwischen aufgehobenen - § 187 Nr. 3 der Reichsversicherungsordnung - RVO - (BSG 33, 263) ist nicht möglich. Für die Berechtigung einer solchen erweiternden Auslegung sind vom LSG und vom Kläger Gründe weder vorgetragen noch ersichtlich. Dagegen spricht auch das inzwischen erlassene Rehabilitations-Angleichungsgesetz vom 7. August 1974 (BGBl I 1881). Nach dem neu gefaßten § 182 b RVO hat jetzt in der Krankenversicherung der Versicherte Anspruch auf Ausstattung mit den Hilfsmitteln, die erforderlich sind, u. a. um "eine körperliche Behinderung auszugleichen" (§ 21 Nrn. 7 und 13). Demgegenüber ist in der Rentenversicherung gesetzliche Voraussetzung weiterhin die Minderung oder Gefährdung der Erwerbsfähigkeit geblieben (§ 22 Nr. 5). Unter diesen Umständen kann auf sich beruhen, ob im Revisionsverfahren Rechtsänderungen durch das Gesetz vom 7. August 1974 zu berücksichtigen wären; denn jedenfalls an den Voraussetzungen in § 13 Abs. 1 AVG für die Gewährung von Rehabilitationsmaßnahmen hat sich nichts geändert.

Das LSG hat auch zu Recht eine Anwendung des § 84 AVG verneint. Wie der Senat zu einer vergleichbaren Vorschrift im Altershilferecht für Landwirte bereits entschieden hat (SozR Nr. 2 zu § 9 GAL 1965), geben Vorschriften dieser Art für sich allein keine Anspruchsgrundlage, auch nicht für einen Anspruch auf eine bestimmte Ermessensausübung. Nur wenn die Beklagte auf Grund des § 84 AVG Richtlinien für gesetzliche Leistungen erlassen, diese Richtlinien aber zum Nachteil des Klägers (möglicherweise unter Verletzung des Gleichheitssatzes) nicht angewandt hätte, könnte der Kläger nach dieser Vorschrift Rechte geltend machen. Auf den Kläger anwendbare Richtlinien hat die Beklagte jedoch nicht erlassen.

Soweit schließlich der Kläger sich auf eine "Treuepflicht" der Beklagten beruft, ist nicht erkennbar, inwiefern eine solche Rechtsgrundlage für die begehrte Kostenübernahme sein könnte.

Die Revision des Klägers muß deshalb zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1647669

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